Songempfehlung: Kapa Boy - Fine Line (instrumental)
Das restliche Abendessen verlief relativ ereignislos.
Mom und Chloe unterhielten sich über alte Fälle in der Kanzlei - Mom und Chloe waren Partnerinnen - während Dad und Cam nach ihrem vierten Bier und einer vom Alkohol geröteten Nase in der Garage verschwanden, um nach dem Problem an Dads kirschrotem vierundsechziger Ford Mustang zu schauen, der seit letztem Herbst nicht mehr ansprang.
Tja, und so saßen Josh und ich schweigend nebeneinander.
Eigentlich hatten wir ein Ritual für Weihnachten. Es lief jedes Jahr genau gleich ab: Sobald unsere Dads zu tief ins Glas geschaut hatten und unsere Moms in ellenlange Debatten über die Arbeit verfielen, gingen Josh und ich dazu über, uns am Fernseher in meinem Zimmer den alten Weihnachtsfilm How the Grinch stole Christmas anzuschauen. Schon seit wir zum ersten Mal in der Lage waren, einen DVD Player zu bedienen, war dies unser jährlicher Brauch. Wir stopften uns die Bäuche voll mit Moms selbstgebackenen Zimtsternen und kämpften damit, sie in unserem Magen zu behalten, als das grüne Männchen in dem Film eine rohe Zwiebel verspeiste. Definitiv eine ekelhafte Szene, für die die Schreiber gelyncht gehörten.
Aber ja, genau das bedeutete für mich Weihnachten.
Doch dieses Jahr... dieses Jahr war alles anders.
Zwar hatten Dad und Cam einen in der Krone sitzen und Mom und Chloe diskutierten über den Profitabilitätsabstand zwischen Großsozietäten und einem Durchschnittsanwalt - keine Ahnung was das bedeutete - aber Josh und ich hatten uns noch nicht in mein Zimmer verkrümelt, wie wir es zu dieser Uhrzeit eigentlich schon längt getan hätten. Außerdem hatten wir auch noch kein einziges Wort miteinander gewechselt. Nein, stattdessen saßen wir steif am Tisch, sprachen nicht miteinander und lauschten Moms und Chloes Anwaltsdebatten, als seien sie das Interessanteste, was uns seit langer Zeit zu Ohren kam. Nun ja, zumindest Josh schien sich hier und da versuchen einzubringen, wenngleich sein Chemiestudium an der Stanford nicht besonders viel mit Jura gemein hatte. Ich hingegen gab mir nicht einmal Mühe, interessiert zu wirken. Ich betrachtete lieber die blinkenden Lichter des Weihnachtsbaums, die von Rot auf Blau, von Blau auf Grün, von Grün auf Gelb und von Gelb wieder auf Rot wechselten. Es dauerte exakt zehn Sekunden, bis jede Farbe einmal aufleuchtete, was wiederum bedeutete, dass sich jede Farbe nur etwa zwei Sekunden lang zeigte. Aber leider vermochten nicht einmal mathematische Rechnungen über das System von Lichterketten meine Stimmung zu heben. Im Gegenteil. Es führte mir nur noch mehr vor Augen, wie beschissen dieses verdammte Fest doch war. Wie fehl ich mich hier am Platz fühlte. Auch half es mir nicht dabei zu vergessen, wie ich vorhin mit meiner linken Hand nach meinem Wasserglas hatte greifen wollen und den gesamten Inhalt über Joshs Pullover leerte, weil meine Hand wieder einmal von heftigen Myoklonien erfasst wurde.
Doch all das war nichts im Vergleich zu der Leere, die sich in meinem Herzen ausgebreitet hatte, seit ich Julian gesehen hatte.
Julian.
An ihn zu denken, fühlte sich an, als explodiere eine Granate in meinem Herzen und ließ es in tausend Stücke zersplittern. Ich kannte Liebeskummer bisher immer nur aus Filmen oder Büchern, nie aber hatte ich es am eigenen Leib erfahren. Bis jetzt. Zu sagen, dass es weh tat, war die reinste Untertreibung. Schrecklich, furchtbar oder schmerzhaft beschrieben nicht einmal im Ansatz, was gerade in mir vorging.
Julian von mir zu stoßen, war keine leichte Entscheidung gewesen. Doch es war die Einzige, die infrage gekommen war. Denn wie sollte ich mit jemandem zusammen sein, der mir das genommen hatte, was mir am Wichtigsten war?
Meine Freiheit. Mein letzter Wille. Meine Autonomie.
Richtig. Mit so jemandem konnte ich keine Beziehung führen. Auch wenn es da diese andere Stimme in meinem Kopf gab. Eine Stimme, die mir zuflüsterte, nicht so streng mit Julian zu sein. Die Stimme, die mich fragte, ob ich nicht dasselbe getan hätte, wären die Rollen vertauscht gewesen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, geisterten mir immerzu Moms Worte im Kopf herum.
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His Heart
RomanceDer zweite Band der Hearts-Reihe! Nachdem Laney Taylor dem Tod ein weiteres Mal nur knapp entkommen ist, erscheint ihr Leben grau und trostlos. Sie weiß mit der kurzen Zeit, die ihr noch bleibt, nichts so richtig anzufangen. Denn der Verrat des einz...