Kapitel 22

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Songempfehlung: Novo Amor - Keep me

»Hattet ihr ernsthaft Sex im Poolhaus?«, aus großen, neugierigen Augen stierte Reya uns über den Frühstückstisch hinweg an und ich verschluckte mich beinahe an meinem Kaffee. Hastig stellte ich die Tasse wieder zurück auf den Tisch, während Julian links von mir laut seufzte. Um ein Haar hätte ich Reyas Nonchalance vergessen.

»Kümmere dich um deinen eigenen Kram, Nervensäge«, maßregelte Julian seine kleine Schwester, während er sich ein Stück Obst in den Mund schob und sich dann in seinem Stuhl demonstrativ nach hinten lehnte. Seinen Arm legte er hinter meinem Rücken auf meiner Stuhllehne ab.

»Du nennst mich eine Nervensäge?«, Reya schnaubte empört und zupfte das Croissant auf ihrem Teller in hundert Einzelteile. »Ich bin nicht diejenige, die die halbe Nachbarschaft mitten in der Nacht mit meinem Stöhnen aufgeweckt hat.«

Lydia hüstelte laut und Julians Dad Joseph hielt die Zeitung in seinen Händen ein Stückchen höher, um sein Gesicht zu verbergen, als könnte er dem nicht salonfähigen Gespräch somit aus dem Weg gehen.

»Du bist ja nur neidisch, weil dein Liebesleben so gut wie nicht existent ist«, konterte Julian und bedachte seine Schwester mit einem vielsagenden Blick.

Damit traf er wohl direkt ins Schwarze.

Reyas Blick verdunkelte sich und einen Moment später landete ein Stück ihres Croissants in Julians Gesicht.

»Herrgott, Kinder! Wo sind eure Manieren geblieben? Könnt ihr euch nicht einmal beim Frühstück benehmen?«, Lydias Stimme fegte über den Tisch hinweg, wie ein eisiger Sturm und im Bruchteil einer Sekunde herrschte Stille im Esszimmer. Ganz eindeutig, wer hier das Familienoberhaupt war.

Reya zog eine Schippe, ließ es sich jedoch nicht nehmen, ihren Bruder mit einem letzten bösen Blick zu strafen.

»Er hat angefangen!«, murmelte sie noch, ehe sie begann, wieder mürrisch ihr Croissant zu zerlegen.

»Es ist mir gleich, wer von euch angefangen hat. Wir diskutieren das Liebesleben deines Bruders bestimmt nicht beim Frühstückstisch«, mahnte Lydia mit strengem Blick, der sich eine Sekunde später voller Missbilligung auf Reyas Teller richtete. »Und dein Croissant sollst du essen, nicht zerrupfen wie ein Huhn.«

Reya blickte zerknirscht auf ihren Teller und ließ entmutigt die Schultern sinken. Dann zwang sie sich ein paar Bissen herunter, was Lydia wohl mit zufriedenem Gesichtsausdruck zur Kenntnis nahm. Offenbar war auch Lydia Reyas Gewichtsverlust in den letzten Wochen nicht verborgen geblieben, denn der besorgte Unterton ihrer Worte schien keinem am Tisch entgangen zu sein. Immerhin schien Reya ihre spitze Zunge allmählich wiederzufinden, was ich - auch wenn es auf meine Kosten ging - freudig zur Kenntnis nahm. Ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Nachdem Julian und ich letzte Nacht von seiner Mutter im Poolhaus erwischt worden waren, hatten wir die Nacht im Anwesen der Wrights verbracht. Julians Kinderzimmer hatte mich überrascht. Statt Poster, Spielkonsolen oder anderem Teeniekram fand ich mich in einem schlichten, blau gestrichenen Zimmer mit Bücherregalen und Kampfsporttrophäen wieder. Nun ja, was war jedoch auch anderes von jemandem zu erwarten, der sich mit neunundzwanzig Jahren schon einen Professor nennen durfte?

Das restliche Frühstück verlief relativ ruhig und ereignislos. Julian und Reya schienen ihr Kriegsbeil Lydia zuliebe begraben zu haben. Dennoch lag eine Anspannung in der Luft, die mit Händen förmlich zu greifen war. Eine Anspannung, die der Tatsache geschuldet war, dass Julian und mir noch ein Gespräch bevorstand. Ein Gespräch, das gleichermaßen peinlich wie auch unangenehm sein würde. Während des gesamten Frühstücks zerbrach ich mir den Kopf darüber, was Lydia wohl besprechen wollte. Julian hingegen wirkte völlig tiefenentspannt, als hätte seine Mutter uns nicht mitten in der Nacht in ihrem Poolhaus erwischt, womit wir uns sicherlich eine saftige Gardinenpredigt einhandelten.

His HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt