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Ohne Schlaf stand ich auf und machte mich bereit, um zur Uni zu gehen. Mir ging es seit gestern nicht mehr aus dem Kopf, dass ausgerechnet Ates mein Nachbar ist.
Je mehr ich mich von meiner Vergangenheit distanzieren möchte, desto mehr vernichtet er mir das ganze.
Es kann sein, dass nur ich so empfinde und mir als einzige Gedanken darüber mache, aber trotzdem kann ich das alles nicht mehr. Ich will doch endlich andere Gedanken haben, außer an ihn oder meine Familie denken zu müssen. Ich will auch mal wieder glücklich sein, ohne an die grauen Tage denken zu müssen.
Nachdem ich mich angezogen hatte, ging ich aus meiner Wohnung raus und schloss die Tür ab. Als ich mich wieder umdrehte, knallte ich fast gegen sein Rücken, doch konnte mich noch kurz davor abbremsen. Er drehte sich zu mir um und blickte auf mich nur emotionslos herab. Er wollte grade anfangen zu reden, aber ich versuchte an ihm vorbeizulaufen bevor wir in einem Gespräch verwickelt waren, jedoch hielt er mich am Arm fest. Mir entwich ein Schrei, da es sehr unerwartet kam. Ich hätte nicht erwartet, dass er mich zurück halten wird. 
Mit gespannten Blicken schaute ich ihn an und erwartete, dass er endlich begann zu reden, doch er tat es nicht und blieb leise, aber sein emotionsloser Blick änderte sich. 
"Möchtest du mir noch etwas sagen? Sonst würde ich dich bitten mein Arm loszulassen." "Möchten wir weiterhin so tun, als würden wir uns nicht kennen?" "Ich habe dir schon vor einigen Monaten gesagt, dass ich mit meiner Vergangenheit abschließen möchte und ich kein Platz mehr für euch in meinem Leben habe. Außerdem hat es dich nicht viel interessiert, als ich weg war. Hast dich ja wieder mit deiner ach so wundervollen Lia wieder vertragen." "Ich habe mich nicht mit ihr vertragen." "Ach und was waren das für Bilder, die wieder von euch im Internet waren?" "Rede nicht, wenn du nicht die komplette Wahrheit kennst Ilayda." "Ach und was wäre die Wahrheit? Hör auf mich anzulügen Ates. Hör auf allgemein mit mir darüber zu reden." "Hör auf mit mir so zu reden Ilayda." "Ach und wie rede ich denn? Ich rede so, wie du es verdienst Ates. Und jetzt bitte ich dich, mich in Ruhe zu lassen. Ich denke mal uns geht es definitiv besser, wenn wir nicht miteinander reden und so tun als würden wir uns nicht kennen." Ich wollte mein Arm losreißen, jedoch zog Ates mich näher an sich ran. Er packte mich an meiner Hüfte und zog mein Gesicht an sein Gesicht. "Was wird das jetzt schon wieder?" Ates schwieg und sprach nicht, was mich sehr wütend machte. Ich find an ihn zu schlagen. "Rede jetzt oder lass mich verdammt nochmal los." "Dann gib mir endlich eine Chance. Lass mich beweisen, dass ich ein genauso guter Freund sein kann, wie dieser Typ mit dem du jeden Tag chillst." Ich lachte spöttisch auf und tippte ihm auf seine wundervolle, trainierte Brust. "Du wirst niemals so sein, wie er. Nicht mal sein Zeh wirst du sein können. Nichts wirst du von Hakan übertreffen können. So einen wundervollen Charakter wirst du niemals besitzen können." "Mach mich nicht verrückt Ilayda. Hör auf mit mir so zu reden. Es macht mich fertig und ich will dich umso mehr haben. Ich muss dich haben, verstehst du das nicht? Ich muss endlich wissen, wie es sich anfühlt dich als Freundin zu haben. Ich brauche deine Zuneigung und deine Liebe. Bitte gib mir nur noch eine Chance Ilayda. Ich werde dir zeigen, dass ich auch sehr anders sein kann."
Er zog mich noch näher an sich ran und unsere Nasen berührten sich schon. Ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren, als auf sein Gesicht. Mein Herz schlug so schnell, wie noch nie. Eigentlich will ich ihn von mir stoßen, aber irgendwie will ich ihn auch die ganze Zeit so nah an mir haben. Ich will seine Lippen spüren, aber es darf nicht so weit kommen, es darf niemals passieren. Wir beide dürfen niemals näher als das kommen. Ich kann ihm das, was er möchte nicht geben, nicht mehr. Auch wenn ich es so gerne würde. Ich vertraue ihm einfach nicht. Ich habe Angst, dass er mich genau wie seine anderen Freundinnen verlassen wird, weil er nicht ohne Lia kann.
Trotzdem meinen Gedanken voller Zweifel, sank ich immer mehr in seine Augen und er in meine. Irgendwann kam er mir immer näher mit seinem Gesicht. Ich wollte ihn wegschubsen, aber meine Hände konnten sich nicht wieder finden. Mein Körper wollte ihn wie noch nie zuvor. Dieser Mann vor mir schafft es jedes mal mich aus der Fassung zu bringen.
Und genau wo sich unsere Lippen fast trafen, kam Hakan hoch gelaufen und störte diesen Moment, zum Glück.
Noch nie in meinem Leben war ich so froh wie jetzt. Ates ließ widerwillig von mir ab und ich lief sofort die Treppen runter. Hakan lief mir direkt hinterher.
Als wir in seinem Auto waren, atmete ich endlich wieder wie ein normaler Mensch und spürte schon wie rot ich war. Hakan grinste nur blöd und ich schlug auf ihn ein. "Lach nicht so wie ein Affe." "Hey was habe ich denn jetzt gemacht? Tut mir leid, dass ich euren Moment gestört habe." "Nein, nein ich bin dankbar dafür. Es wäre ein großer Fehler gewesen, wenn du nicht gekommen wärst." "Wieso denn? Du hast sehr zufrieden ausgesehen?"
Ich atmete tief ein und aus und wiederholte diesen Vorgang einige male, bis ich wieder bei mir war und etwas beschloss. Ich wollte Hakan endlich meine ganze Geschichte erzählen. Er soll mir helfen rauszukommen.
"Ich denke es ist endlich die Zeit gekommen, dass ich dir von meiner Vergangenheit erzähle. Ich kann diese Last nicht mehr nur für mich behalten. Ich brauche jemanden der mir endlich raus hilft." Hakan wurde ernster und startete das Auto. "Gut dann fahren wir heute mal in eine andere Stadt, sodass wir ungestört miteinander reden können." Ich nickte und meine Tränen sammelten sich langsam wieder.
Wie konnte mir das nur passieren? Fast hätte ich zugelassen, dass er mich küsst. Ich wäre fast wieder schwach geworden. Wann hör ich endlich auf ihn zu lieben? Wann hört dieses Herz auf endlich für ihn zu schlagen? Es sind schon Jahre vergangen, wieso vergesse ich ihn nicht endlich? Ich denke mal das Gefühl, dass er mich endlich beachtet, ist stärker, als die Wahrheit, dass er es sowieso nicht ernst mit mir meint. Jeder an meiner Stelle würde sofort auf ihn springen, aber es ist nicht so einfach. Ich kenne ihn schon seit einigen Jahren, ich weiß einfach, dass er es mit niemandem ernst meint, außer mit ihr. Er hatte oft neue Beziehungen, die für paar Monate hielten, aber sie endeten alle, weil er nicht ohne sie konnte. Sie ist seine erste Liebe und er ihre. Die beiden finden immer wieder zueinander und deswegen kann ich es nicht zulassen, dass ich bei ihm schwach werde. Ich muss meine Distanz zu ihm bewahren und ab heute noch mehr.
Irgendwann stoppte Hakan das Auto und wir stiegen aus. "So wir sind jetzt in der Nachbarstadt. Hier sind wir ungestört. Komm ich kenne hier ein Restaurant, da kennt uns keiner." 
Wir liefen zum Restaurant und es war sehr leer, was mich eigentlich nicht wundert, da um dieser Uhrzeit die meisten arbeiten oder noch schlafen. Es waren trotz der Uhrzeit noch paar Männer da, die ich von draußen sah, doch als ich das Restaurant betrat, wünschte ich mir, dass ich sie nicht erkannt und auf sie geblickt hätte. 
Dort saß mein Bruder mit seinen Freunden, die ich auch mal Bruder genannt habe.
Hakan wollte sich hinsetzen, doch ich hielt sein Arm fest. 
"Hey Prinzessin was ist los? Setz dich doch hin." Ich schüttelte meinen Kopf. "Lass uns bitte gehen. Ich habe Menschen gesehen, die ich nie wieder mehr sehen wollte." Hakan ließ es nicht noch ein weiteres mal sagen und so schnell wir im Restaurant waren, so schnell waren wir auch wieder draußen. 
Heute ist echt nicht mein Tag. Heute will mich meine Vergangenheit einfach einholen, ich merke es. Draußen wollten wir wieder zu Hakans Auto gehen, jedoch wurden wir aufgehalten. 
"Ilayda warte.", rief mir jemand hinter her und ich erkannte seine Stimme. Es war mein Bruder.
Er kam angerannt zu mir und signalisierte Hakan, dass er verschwinden soll. "Nein er bleibt neben mir. Mein Bruder hat immer das Recht neben mir zu bleiben, wenn ich mich neben Fremden unwohl fühle."
Sofort änderten sich die Gesichtsausdrücke von meinem Bruder. Er sah verletzt aus. Normalerweise hätte ich Mitleid mit ihm, aber mein altes Ich haben sie vor einiger Zeit getötet. Ich bin nicht mehr die alte Ilayda bei ihnen. Ich werde ihnen niemals verzeihen. Diese Enttäuschung habe ich nicht mal bei Ates gespürt. Bei Ates gibt es eine Wahrscheinlichkeit von 1%, dass ich ihm wieder vertrauen könnte, aber bei meinem Bruder und bei meiner Mutter sehe ich überhaupt keine Chance mehr. 
Sie haben mich nachdem Tod von meinem Vater ausgelöscht und ich habe dasselbe getan. Sie sind alle beide tot für mich.
"Möchten Sie noch etwas sagen oder kann ich endlich gehen. Ich mag es nicht mit fremden Menschen zu kommunizieren." "Nein will ich nicht. Tut mir leid fürs stören. Schönen Tag noch." 
Ohne etwas zu erwidern, nahm ich Hakan am Arm und lief einfach fort. Zum Glück widersetzte Hakan sich nicht und kam einfach mit mir mit. 
Ich bin so dankbar, dass ich ihn habe. Ich hoffe er bleibt für immer an meiner Seite.
In seinem Auto, wollte er direkt wieder losfahren, aber ich bat ihn einfach nur hier zu sitzen und mir so zuzuhören. "Nagut. So wie du es möchtest. Hauptsache du fühlst dich wohl." "Gut dann fang ich mal an dir meine Geschichte zu erzählen." Hakan nickte und ich begann. "Das ganze begann als ich mein Vater verlor. Nachdem er starb, teilte sich meine Familie auf. Der Typ, den du eben gesehen hast, er war mal mein Bruder. Nach dem Tod von meinem Vater, verließ er mich und meine Mutter, danach hörten wir eine sehr lange Zeit nichts mehr von ihm. Meine Mutter wurde nachdem mein Vater starb auch zu einem anderen Menschen. Sie arbeitete jeden Tag bis in die Nacht. Sie ist Ärztin, deswegen hat sie immer die Spätschichten meistens übernommen und hat dort gepennt. Sie war selten zu Hause. Ich habe sozusagen alleine dort gelebt. Irgendwann kam ich damit klar und ich habe versucht wenigstens in der Schule glücklich zu werden, aber das hat auch nicht geklappt. Dieser Mann, denn du vorhin gesehen hast. Er heißt Ates und ich liebe ihn, seit ich ihn das erste mal gesehen habe, aber das mit uns ist ein hoffnungsloser Fall. Er hat eine Freundin und sie haben seit Jahren eine on-off Beziehung. Das hat mich sowieso schon fertig gemacht. Dazu kam meine beste Freundin. Irgendwann hat sie mir den Rücken zugedreht, wegen einem Missverständnis und hat mich fertig gemacht. Dazu kam aber auch noch mein allerbester Freund, mit ihm bin ich wirklich aufgewachsen, jedoch hat er mich für die Freundin von Ates verlassen. Nur weil ich ihm meinte, dass sie keine Zukunft miteinander hätten, hat er seine Freundin, die er seit Jahren kennt, für eine Frau verlassen, die nicht von ihrem EX Freund ablassen kann.
Nachdem auch mein Schulzeit am Arsch war, habe ich mich entschlossen mein Bruder zu finden und meine Familie wieder zusammen zu bringen. Während meiner Recherche habe ich leider herausgefunden, dass mein Bruder in Italien lebt und jeder aus der Familie Bescheid wusste nur ich nicht, sogar meine Mutter wusste Bescheid und ging ihn regelmäßig besuchen. Nachdem ich mein Abi in der Hand hatte, flog ich nach Italien und konfrontierte sie, damit ich erfuhr, dass sie mich bewusst nie gerufen haben. Sie hassten mich alle, da ich nicht die leibliche Tochter meiner Mutter war. Ich erfuhr dort, dass mein Vater, meiner Mutter fremdgegangen ist und ich das Produkt einer Affäre war. Sie schmissen mich raus und ich durfte in Deutschland auch nicht mehr in dem Haus wohnen, ich musste ausziehen. Sie wollten mich nicht mehr sehen. Ich akzeptierte es und ging fort. In Deutschland suchte ich meine leibliche Mutter auf, aber sie wollte nichts mit mir zu tun haben. Sie bat mir Geld an, aber ich lehnte es ab und ging für immer fort aus dieser Stadt. Ab und zu fahre ich dort hin, um mein Vater zu besuchen, sonst bin ich wie immer hier, wie du weißt. Und ja das war meine Geschichte. Es klingt vielleicht nicht so schlimm, aber wer es fühlt, der wird genauso leiden, was ich niemandem wünsche." 
"Oh Gott Ilayda was redest du da? Mein Herz ist allein beim zuhören tausend mal zerbrochen. Wie hast du es solang alleine und ohne Unterstützung geschafft?" "Mein Hass und meine Wut auf jeden hat mich zu dem gemacht, was ich bin und aus diesem Grund will ich nie wieder mehr auf jemanden zugewiesen sein oder wie früher werden. Ich möchte nie wieder mehr mein altes Ich sehen, nie wieder in die Vergangenheit schauen und deswegen kann ich Ates nicht in mein Leben lassen. Erstens besteht die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder zurück zu seiner Ex geht und zweitens verbinde ich mit ihm genauso nur negative Erinnerungen. Ich brauche nur positive, genau wie bei dir." "Naja unser Anfang war jetzt auch nicht so positiv." "Mit dir verbinde ich nur eine negative Sache, mit ihm verbinde ich jahrelanger Leid und Trauer. Ich bin grade noch nicht bereit überhaupt einen Mann kennenzulernen." "Ja verstehe ich, aber was wäre so schlimm daran ihm doch eine Chance zu geben?" "Ich kann es grade einfach nicht. Manche können mich deswegen Dramaqueen nennen, aber ich bin einfach mental nicht dazu bereit Hakan. Das alles hat mich einfach fertig gemacht. Ich brauche wieder positiven Einfluss und muss erstmal wieder zu mir finden. Dieses Leid, was ich in den Jahren erleiden musste, verfolgt mich immer noch. Ich weine mich immer wieder in den Schlaf, weil ich einfach nicht abschließen kann." "Es tut mir leid. Ich müsste das ja am besten verstehen. Genau wie ich keine Frauen kennenlernen möchte, ist es bei dir mit den Männern. Erst müssen wir beide unsere Traumata überstehen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir beide es gemeinsam durchstehen werden, danach können wir uns wieder mit solchen Themen beschäftigen. Ich glaube an uns." Ich lächelte Hakan an. "Und ich glaube auch tief und fest an uns." Er lächelte mich auch an und wir fuhren wieder zurück. Vor meiner Wohnung, parkte Hakan und kam mit mir hoch in meine Wohnung. Ich hatte nämlich Angst ihn wieder zu sehen, was sich auch bestätigte, jedoch ging er mir dieses mal direkt aus dem Weg, ohne mich zu beachten. Irgendwie machte mich das traurig. Genau aus diesem Grund will ich ihn nicht. Mal ist er so und mal so. Ich kann ihn nicht richtig einschätzen, aber ich war auch etwas hart zu ihm.
Als Hakan und ich in der Wohnung waren, schickte ich ihn in das Wohnzimmer und wollte in die Küche gehen, wurde aber von einem klingeln unterbrochen. Hm wer ist das denn wohl?
Ohne nachzugucken öffnete ich die Tür und sah mein Bruder. Was sucht er denn hier?

Böyle BitmesinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt