Kapitel 9 - Beweisvernichtung

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Mein Gewand war ruiniert, die Haare verknotet. Ich sah wahrscheinlich schrecklich aus. Der Blick der Bediensteten bestätigte das, welche mich bei meiner Rückkehr zum Herrenhaus schockiert beobachtete. Ihr Mund öffnete sich in eine stumme Frage, doch sie brachte keine Worte raus. Ich schaute ihr tief in die Augen. Sie hatte mir nach meiner Hochzeitsnacht nicht geholfen, aber vielleicht würde sie es jetzt.

Ich wusste die Hoffnung war vergeblich, doch trotzdem flehte ich. „Bitte erzählen sie nichts davon, dass ich das Anwesen verlassen habe und in diesem Aufzug zurückgekehrt bin". Für einen Moment verglasten sich ihre Augen, dann ging sie mit einem kurzen „In Ordnung" und ich schaute ihr sprachlos hinterher.

Bevor mich noch jemand in diesem Aufzug sehen konnte, sprintete ich schnell hoch in das Schlafzimmer und schloss die Tür mit einem tiefen Atemzug zu. Hm, dachte ich. Diese neue Geschwindigkeit schien mir bereits viel leichter zu fallen. Hastig entledigte ich mich meiner ruinierten Kleidung und nahm ein schnelles Bad, um den rechtlichen Schmutz von mir zu entfernen. Dann setzte ich mich mit neuem Gewand bekleidet auf eine der Sessel am Fenster, bevor ich schnell auf den anderen wechselte.

Ich wollte nicht da sitzen, wo es Willfried vor ein paar Wochen getan hatte.

Das ruinierte Kleid in meinem Schoß liegend, überlegte ich fiebernd, was ich damit machen sollte. Der Kamin war keine Option. Über die Sommermonate brannte das Feuer nicht. Es den Bediensteten zum waschen zu händigen stand außer Frage. Das Kleid im Haus zu verstecken war zu riskant. Es könnte von jemandem gefunden werden. Vielleicht könnte ich es im Wald positionieren?

Auch den Gedanken verwarf ich schnell. Was, wenn jemand die Leiche des Jägers fand und die Polizei auf Spurensuche das Kleid fand? Da der Mord ihnen sicherlich durch den hohen Blutverlust des Toten Fragen aufwerfen würde und der Tatort sich in der Nähe des Eckerhard Anwesens befand, würde eine oberflächliche Untersuchung für die Authoritäten nicht infrage kommen.

Was, wenn sie das Reh fanden und eins und eins zusammenzählten? Mein Atem wurde bei dem Gedanken daran schneller, ein Druck bildete sich in meinem Brustkorb. Nein, dachte ich. Vielleicht hatte ich Glück und die Überreste würden von den Waldtieren konsumiert werden. Unabhängig davon würden sie keine Verbindung zu mir herstellen können.

Damit zwang ich mich, meine Atmung zu normalisieren und nahm einige tiefe Atemzüge. Dann dachte ich an die Situation mit der Bediensteten. So wie ich sie eingeschätzt hatte, wäre sie mir niemals für mich gegen Willfrieds Anordnungen gegangen. Was hatte sie also dazu bewegt zu tun, was ich ihr gesagt hatte? Aus Respekt mir gegenüber war es sicher nicht gewesen.

In diesem Haus wurde ich nicht respektiert. Dann fielen mir wieder ihre Augen ein. Sie waren für einen Moment glasig geworden, unfokussiert. Hatte es vielleicht etwas mit den seltsamen Änderungen zutun, die ich im Wald entwickelt hatte? Vielleicht hatte ich mir den Kopf gestoßen und mir das alles nur eingebildet. Nachdenklich betrachtete ich das Kleid. Nein, es war wirklich passiert. So unerklärlich wie es auch für mich war, die Beweise lügten nicht.

Ich hätte gerne meine Gedanken aufgeschrieben. Aber die Sorge war zu groß, dass jemand meine Aufschriften lesen würde. Meine erste Aufgabe war es, meine Theorie zu testen. Hatte ich die Bedienstete in irgendeiner Weise beeinflusst? Dafür müsste ich mit etwas kleinem, unauffälligem beginnen.

Sollte meine Idee nicht funktionieren durfte niemand mein Verhalten als seltsam ansehen und Willfried darüber informieren. Ich könnte sie fragen was sie anraten würde, für meinen Ehemann zu kochen, wenn er wiederkam. Vorgeben, dass ich unsicher war, was ihn glücklich machen würde. Zugegeben war das leider nur eine halbe Lüge. Willfried löste in mir Unsicherheit und Angst aus.

Entschlossen erhob ich mich und machte mich auf den Weg zur Küche, in der die Bedienstete meistens zu finden war. Ich wusste nicht mal ihren Namen, stellte ich beschämt fest. Dort angekommen fand ich sie das Frühstück für den nächsten Morgen vorbereitend vor. Sie blickte gelangweilt auf als ich kam und schulte ihren Blick schnell als sie mich erkannte. „Frau Eckerhard. Was kann ich für Sie tun?" Ihre Stimme war wie immer emotionslos. Ich fragte mich kurz, was es mit der jungen Frau wohl auf sich hatte, bevor ich den Gedanken verwarf. Dafür war ich nicht hergekommen, und es ging mich nichts an.

„Ich habe eine Bitte" begann ich langsam, bedacht den Blickkontakt aufrechtzuerhalten. „Sagen Sie mir bitte was ich meinem Ehemann bei seiner Rückkehr am besten kochen kann, um ihn glücklich zu stimmen"

Wie zuvor stellte ich mit erstaunen fest, dass ihre Augen glasig wurden und sie antwortete. „Kochen Sie ihm sein Lieblingsessen. Fleisch mit Kartoffeln und Rotkohl. Servieren Sie ihm keinen Alkohol, davon wird er aggressiver". Erfreut stellte ich fest, dass sich meine These bestätigte. Zur Sicherheit versuchte ich es erneut.

„Warum sind Sie so kalt mir gegenüber?" fragte ich zaghaft. Ihr Verhalten hatte mich bereits seit Wochen beschäftigt.

„Weil Herr Eckerhard es verbietet. Ich verstand mich mit der früheren Frau Eckhard sehr gut, was mir von ihrem Ehemann ein paar Schläge einbrachte. Es bereitete mir Trauer zu sehen, wie die anfangs so lebensfrohe Frau Eckhard langsam verschwand, aber ich brauche diese Arbeitsstelle. Es ist eine der einzigen Möglichkeiten, wie ich als Frau Geld verdienen kann. Daher habe ich mich zunehmend zurückgezogen und halte mich möglichst viel aus allem heraus. Es liegt nicht an Ihnen" sprach sie monoton.

Bevor ich meine Meinung ändern konnte fuhr ich fort. Über ihre Worte würde ich später nachdenken. „Folgen Sie mir leise" orderte ich nun sicherer und beobachtete mit ein paar Schritten Richtung Flur fasziniert, wie sie es tatsächlich tat. Schnell lief ich die Treppen und ging den Gang runter zur Schlafzimmertür.

Im Raum angekommen schloss ich hinter ihr die Tür und drehte mich zu ihr um. Ihre Augen waren weiter glasig. „Warten Sie auf weitere Anweisungen" forderte ich leise und holte das Kleid aus meinem temporären Versteck. Dann ging ich zurück zu ihr und traf ihren Blick.

„Verbrenn das Kleid diskret. Keiner darf davon erfahren. Sobald du damit fertig bist vergisst du alles, was du getan hast, seit dem ich zu dir und die Küche kam. Hast du verstanden?" sie nickte stumm, woraufhin ich erleichtert ausatmete.

„Exzellent. Eine letzte Frage habe ich an dich. Wie ist dein Name?"

Schatten der Vergangenheit - Viktorias VermächtnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt