Kapitel 3 - die Hochzeit

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Die kommenden Wochen vergingen viel zu schnell. Es fühlte sich an als hätte ich lediglich einmal geblinzelt, und plötzlich war der Tag der Hochzeit gekommen. Ab morgen wäre ich Viktoria Eckerhard. Mutter hatte mich die vergangenen zwei Wochen unermüdlich auf diesen Tag vorbereitet.

Sie hatte mir gesagt was ich wann und wo zu tun hatte und dass meine wichtigste Aufgabe des Tages wäre zu lächeln und allen Anwesenden zu zeigen wie glücklich ich doch über die arrangierte Ehe war. Vater hatte ich fast gar nicht gesehen. Wenn er nicht bei der Arbeit war, verbarrikadierte er sich in seinem Büro und reagierte nicht auf meine mehrfachen Versuche mit ihm zu reden. Es fühlte sich an, als hätte ich die wichtigste Person in meinem Leben verloren.

Mutter und ich hatten nie eine enge Beziehung entwickelt. Ich war durch und durch die Tochter meines Vaters und das verabscheute sie. Mein Interesse in Politik und Wirtschaft hatte sie häufig zur Weißglut getrieben. Doch all das würde jetzt wohl enden. Mit Willfried würde ich sicherlich nicht die aktuelle Wirtschaftslage diskutieren oder über politische Umschwünge reden können.

Mutter hatte mir das nochmal unmissverständlich klar gemacht. Zwar war mir das schon zuvor klar gewesen, allerdings hatte ich immer noch versucht an der Hoffnung festzuhalten, es würde besser werden. Dass Willfried sich ändern würde. Wunschdenken, das wusste ich. Und auch wenn ich gerne in Tagträumen verschwand und Bücher über ferne Welten las, war ich nicht naiv. Zumindest dachte ich das.

Nun stand ich in einem kleinen Warteraum vor dem Hochzeitssaal, in einem pompösen weißen Kleid mit abscheulichen Rüschen. Mutter hatte sich das Gewand ausgesucht, die Braut hatte kein Sagen in der Hochzeitsplanung. Ich musste mich wohl daran gewöhnen, dass mein Leben ab sofort so aussehen würde.

Vater stand neben mir, der Blick starr auf die Tür gerichtet. Wir waren die einzigen in dem Raum und doch fühlte ich mich, als wäre ich alleine. Er hatte auf dem Weg zur Kirche kein Wort mit mir gewechselt und es schien, als würde sich das auch jetzt nicht ändern. Mit einem traurigen Seufzen schaute ich mich im Vorraum um, wo wir gerade auf unser Signal warteten.

Ich hatte Kirchen noch nie gemocht. Gegensätzlich zu meiner streng religiösen Mutter hatte ich nie den Wunsch danach gehabt, mich einem allmächtigen zu unterwerfen und nach den Prinzipien eines Jahrhunderte alten Buches zu leben. Eine Sache, die meine Eltern zum Glück nicht wussten. Es war verpönt, nicht jeden Sonntag zur Kirche zu gehen. Viele Leute gingen sogar öfter als das. Gott öffentlich den Rücken zuzukehren? Ein sozialer Suizid.

„Viktoria" hörte ich die Stimme, die ich schon seit Wochen vermisste. Überrascht drehte ich mich zu Vater, welcher seinen Blick nun auf den Boden gesenkt hatte. „Es tut mir leid" murmelte er. Ich öffnete gerade meinen Mund um zu antworten, als er weiterfuhr. „Der Grund warum ich so lange nicht mit dir geredet habe ist der, dass ich dir nicht in die Augen sehen konnte. Nicht mit dem Wissen, dass ich dich an einen abscheulichen Mann abgeben werde."

Damit schaute er mich das erste Mal seit Wochen an. Seine gerade Haltung verschwand und mit Erschrecken beobachtete ich wie mein sonst so starker Vater mit jeder Faser seines Seins Entrüstung und Trauer ausstrahlte.

Mit seinen nächsten Worten schaute er nervös nach links und rechts, um mir dann direkt in die Augen zu schauen. Mit gesenkter Stimme sprach er „Viktoria. Was ich dir jetzt erzähle darf diesen Raum nicht verlassen. Willfried ist, wie du weißt, ein wichtiger Handelspartner. Was ich dir nicht erzählt habe ist, dass er etwas gegen mich in der Hand hat. Ich schwöre dir, dass ich nichts davon wusste. Hätte ich es früher gemerkt... Vielleicht hätte ich das alles verhindern können. Deine Mutter hat mir vor kurzem erzählt, dass Willfried dich bereits seit Jahren heiraten will. Sie war natürlich begeistert, dass es endlich funktionieren würde. Ich habe bisher immer geschaut, dass ich Heiratsanwärter von dir weghalte Viktoria. Deine Mutter mag vielleicht denken es würde an dir liegen, aber das ist nur bedingt war. Ich kann den Gedanken nicht ertragen einen freien Geist wie dich langsam verschwinden zu sehen. Die meisten Männer würden deinen Intellekt nicht zu schätzen wissen, deine Wissbegierigkeit ausbrennen wollen. Ich habe jahrelang nach jemandem gesucht, der dir ein guter Ehemann sein würde. Bitte glaub mir."

Schatten der Vergangenheit - Viktorias VermächtnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt