Kapitel 24 - des Schicksals drei

23 5 0
                                    

„Existieren die Götter wirklich?" fragte ich immer noch erstaunt, bevor sie mit ihrer Erzählung fortfuhren konnte. Mysteriös lächelnd nickte sie und setzt erneut an.
„Die Kinder der Solará wurden immer mächtiger und mit den Generationen wurden die Götter immer weniger von ihnen verehrt. Entzürnt über die Arroganz der Wesen Gnieas verschwanden sie und ohne ihren Einfluss wurden Kinder mit zunehmend weniger Macht geboren. Die Gestaltenwandler unter den Lyka, Mela und Darú verloren ihre vielen Formen und waren fortlaufend an eine gebunden. Helá verloren ihre direkte Verbindung mit dem Schicksal und sahen die Zukunft zunehmend verschwommen. Vela verloren ihre Blutlust und mussten im Zuge dessen weniger Blut trinken. Im Vergleich zu den anderen Wesen verloren sie nichts, sondern gewannen weitere Kontrolle über ihre ursprünglich aggressive Natur. Das alleine sorgte für Konflikte. Fela verloren ihre Unsterblichkeit und konnten in Zukunft zumeist nur noch eins der Elemente beherrschen. Gemeinsam verloren die von der Göttin des Lebens mit den Kräften der Elemente gesegneten Wesen einen Teil ihrer Macht."
„Aber wie können dann die Solará bis heute existieren?" fragte ich gespannt und sie lachte verschmitzt. „Schicksal" Auf meinen verwirrten Blick hin fuhr sie fort.
„Während die anderen Götter ihre eigenen Kräfte mit den Wesen geteilt hatten, war das Schicksal ein komplexeres Thema. Mit der Erschaffung der Solará war die Göttin des Schicksals entstanden und mit ihr war die Zukunft Gnieas und ihrer Bevölkerung nun von mächtigen Kräften beeinflusst. Als die Göttin des Schicksals verschwand, verblieb ihre Kraft in dieser Welt und kurz darauf wurden besondere Drillinge von einer Helá geboren. Uraya sah die Vergangenheit, Verdana die Gegenwart und Sulda die Zukunft. Gemeinsam nahmen sie die Macht der Göttin in sich auf und wachen bis heute über das Schicksal Gnieas. Helá mit der Gabe der Zukunftssicht haben bis heute eine direkte Verbindung zu ihnen und erhalten Visionen, welche ihnen in ihrer Aufgabe als Wächter des Mächtegleichgewichts helfen. In Zeiten großer Not sprechen sie durch diese Helá und verkünden Prophezeiungen."
„Wie lange ist das her?" fragte ich nachdenklich. „Und wie kannst du sicher sein, dass diese Geschichte stimmt?" Was sie sagte war zwar wirklich interessant, doch wie konnten so weit in der Vergangenheit liegende Ereignisse bewiesen werden?
„Deine Einwände sind gerechtfertigt. Wie könnten wir uns der Wahrheit sicher sein? Hast du eine Theorie?" Grübelnd wanderte mein Blick durch den Salon und schnellte dann wieder zu Zirelle, eine Idee in meinem Kopf. „Es existieren nun drei Schicksalsgöttinen." begann ich langsam und sie nickte lächelnd. Natürlich, sie wusste bereits was ich sagen würde. Für einen kurzen Moment, vertieft in ihrer Erzählung ,hatte ich es vergessen. Meine Stimme wurde nun mit der Gewissheit sicherer. „Die Göttin der Vergangenheit, Uraya. Die Göttinnen kommunizieren direkt mit den Helá. Du hast gesagt sie erhalten Visionen, nicht Zukunftsvisionen. Das würde also implizieren, dass sie auch welche aus der Vergangenheit bekommen."
Ein erheitertes Lachen entkam ihr und sie klatschte einmal in die Hände, um sie zusammengelegt nach vorne zu mir zu bewegen. "Du hast es erkannt. Nach dem Krieg teilten die Wesen dieser Welt das Problem der vererbten Kräfte. Die Herrscher der Königreiche schlossen also einen eisernen Pakt, dieses Thema gemeinsam anzugehen und sendeten Gelehrte aus. Ihre Aufgabe war es eigentlich nur, den Grund für die scheinbar aus dem nichts aufkommenden neuen Kräfte zu ergründen. Doch die von Hallar geschickten Gelehrten teilten eine einzigartige Vision, inmitten einer Versammlung. Sie schwebten über dem Boden, die Augen in einem leuchtenden Weiß. Wind wehte um den Saal, als sie in synchroner Stimme die Ursprungsgeschichte Gnieas kundtaten. Sie erzählten, wie zahlreiche Wesen Gnieas, erzürnt über ihre schwindenden Kräfte ihre Solará Bindungen nicht mehr anerkannten. Es war ein Akt der Rebellion, dem Schicksal den Rücken zuzukehren. Doch der Preis ihrer Handlungen war hoch. Während Kinder entstanden aus der Verbindung von Solará ihre Kräfte behielten, schwand sie bei denen, welche Bindungen entgegen des Schicksals Willens eingangen. Die Verbindung zu den Elementen schwand mit den Generationen und in Reaktion darauf schlossen sich Familien mit stärkeren Fähigkeiten in einzelnen Bereichen zusammen. Die magische Kraft der Kinder entschied über ihren sozialen Stand, und so schwand das Mächtegleichgewicht zunehmend innerhalb der einzelnen Spezies. Während Helá und Fela weiterhin die Solará Bindungen ehrte, waren die Vela gespalten. Sie hatten keinen Machtverlust durch das Verschwinden der Götter erfahren und so blieben sie in der Thematik neutral gestimmt. Lyka, Mela und Darú hatten sich größtenteils dem Schicksal widersetzt und so entstanden in der Welt wieder Konflikte. Die Spaltung innerhalb der Spezies weitete sich auch auf andere aus und so drohte wieder einmal Krieg."
„Die Göttinnen schritt ein und verbanden die Schicksale von sechs Wesen, einem je Spezies. Ihre Aufgabe war es, wieder Frieden in die Welt zu bringen und den Glauben an das Schicksal wiederherzustellen. Nach langen Schwierigkeiten schafften sie es und übernahmen die Herrschaft über ihre Königreiche. Doch auch wenn die Solará Bindung von nun an wieder allgemein geehrt wurde, blieb es bei den gespalteten Kräften der Wesen. Über die Jahre traten gewisse Fähigkeiten wieder regulärer in Kindern auf, aber wieder einmal war der Schaden bereits angerichtet."
„Und wie kann ich nun herausfinden, welche Gaben ich besitze?" fragte ich ungeduldig. „Ich weiß jetzt, wie es zu der Weitervererbung der Kräfte kam, doch das beantwortet meine anfängliche Frage nicht" Wieder ein mysteriöses lächeln, so langsam frustrierte sie mich. „Das ist einfach Viktoria" damit erhob sie sich elegant von ihrem Sofa und stand plötzlich nach vorne gebeugt vor mir. Grinsend hob sie mein Kinn an und ich zuckte mit einem wütenden Blick zurück. Ihr Blick glitt mein Gesicht runter und fokussierte sich kurz auf meinen Hals, bevor er zurück zu meine Augen schnellte. „Wir testen dein Blut. Die Helá entwickelten damals einen Trank, welcher die Kräfte der Wesen aufzeigen." Verwirrung machte sich in mir breit, bevor sie wieder in Wut umschlug. Dafür hatte sie mir einen Vortrag über die Entstehungsgeschichte Gnieas gehalten? Für diese simplen drei Worte, welche mit keinem Wort in ihrer Erzählung auch nur im Ansatz ausgesprochen wurden? Genervt sprang ich auf und machte meinen Weg zur Tür, als sie wieder vor mir stand. „Viktoria" Ihre Augen begutachteten mich interessiert, als wäre ihr mein Gefühlsausbruch ein Mysterium. Doch ihre Augen strahlten amüsiert und ich wusste, sie wusste es genau.
Dann legte sie ihren Kopf schief und ein langsames Lächeln erstrahlte ihr Gesicht erneut. „Deine Frustration ist verständlich, aber grundlos. Ich habe dir gesagt, dass es wichtig ist, vorher die Geschichte Gnieas zu verstehen. Wie willst du ohne Klarheit über die Vergangenheit die Zukunft lernen zu verstehen, geschweige denn die Gegenwart? Ein Leben ohne dieses Wissen ist ein ignorantes, und Ignoranz ist der Tod der Intelligenz." Ich sah den Sinn ihrer Worte und es war interessant gewesen zu erfahren, wie diese Welt sich zu der heutigen entwickelt hatte. Zirelles Gesichtsausdruck erhellte sich bei meinen Gedanken und ich atmete genervt aus. Doch die Geschichte war auch weitaus detaillierter gewesen, als nötig. Meine Augen wurden groß und ihr Auge zuckte kurz, bevor ihre charmante Maske wieder intakt war. Eine fliehende Mikroexpression, doch sie entging mir nicht. „Du kannst meine Gedanken lesen Zirelle. Also kennst du meine Frage bereits. Wirst du sie wie zuvor versprochen beantworten?" Seufzend lief sie zurück zum Sofa und nahm erneut darauf Platz. „Ich hatte gehofft, du würdest deine Frage vergessen."
Dramatisch schmollend wies sie mich mit einer Handbewegung an ebenfalls zu sitzen, doch ich blieb stehen und verschränkte meine Arme vor der Brust. Mit hochgezogener Augenbraue musterte ich sie und mit einem erneuten Seufzen lächelte sie erneut. „Ich gebe zu, du überrascht mich. Bei deinen Gedanken hätte ich nicht erwartet, dass du dich an meine Gedankenmanipulation erinnern würdest. Zumindest nicht so schnell" Damit wurde ihr Blick ernst. „Nun gut, ich bin eine Frau meines Wortes. Wie du bereits gemerkt hast ist der Effekt der Erstellung einer mentalen Mauer um deine Gedanken nicht langfristig zielführend. Sobald du deine Konzentration verloren hast, hatte ich wieder Zugriff darauf." Ihr Blick ging an die Decke und sie schien zu überlegen, wie sie ihre nächsten Worte am besten formulieren sollte. Mich räuspernd wies ich ihr mit meiner Hand fortzufahren. Eine weitere ausschweifende Erklärung wollte ich unbedingt vermeiden. Ihre Augen schnellten zu mir und sie nickte stumm, bevor Zirelle endlich zu einer Erklärung ansetzte.
„Um Vela mit meinen Fähigkeiten dauerhaft abwehren zu können, musst du entweder selber die Gabe haben und Kontrolle darüber gewinnen, oder..." sie stoppte erneut und ihr Blick schoss kurz zu einer kleinen Schatulle auf ihrem Bücherregal, bevor sie schnell wieder zu mir blickte und so tat, als wäre nichts geschehen. „Oder du trinkst vom Blut eines Einhorns. Eine kleine Menge genügt, um deine Gedanken dauerhaft vor fremden Einflüssen zu schützen." Dann lächelte sie wieder „Aber leider sind diese Tiere ausgestorben. Einst lebten sie in Herden in den Landen Gnieas, doch mit dem Verschwinden der Götter taten auch sie es mit der Zeit. Sie waren eine Kreation der Göttin der Reinheit und verfügten mutmaßlich über immense magische Kräfte"
Mit hochgezogener Augenbraue musterte ich Zirelle, welche zum Ende ihrer Erklärung erleichtert die Schultern fallen ließ. Wieder konzentrierte ich mich auf die mentale Mauer um meine Gedanken und ihr Blick wurde skeptisch. Bevor die temporäre Blockierung ihrer Kräfte brechen konnte, rannte ich blitzschnell zu der Schatulle und sprintete mit dieser in der Hand an meinen vorherigen Platz. Erschrocken weiteten sich ihre Augen und wieder, doch der Deckel war bereits geöffnet. Meine Hand schnellte zu dem kleinen Fläschchen darin und ein mundwässernder Geruch stieg mir entgegen. Als sie gerade aus ihrer Schockstarre erwachte und zu mir rannte leerte ich den Inhalt und befand mich kurze Zeit später über dem Boden an die Wand gedrückt. Ihre Hand hielt meinen Hals in einem Eisengriff, während ihre Augen mich wütend anfunkelten."Was hast du getan?" fragte sie entgeistert. Meine Antwort war nur ein Grinsen, während sich innerlich die bekannte Panik anbahnte. Es war eine leichtsinnige Entscheidung gewesen, eine so alte Vela zu bestehlen.
Für den Moment schaffte ich es irgendwie, die aufkommenden Gefühle zu unterdrücken und war unglaublich erleichtert. Meine Lungen schrien verzweifelt nach Sauerstoff. Mein Hals brannte schmerzhaft, als ihre Hand mühelos meine Knochen zusammen drückte. Dann fiel mir etwas auf, sie könnte mich mit Leichtigkeit töten. Warum tat sie es nicht? Genauer auf ihre Mimik zu achten wurde zunehmend schwieriger, doch ich versuchte es trotzdem. Hinter der Wut in ihren Augen sah ich etwas seltsames. Erleichterung? Damit entspannte ich meinen Körper so gut es ging und tat mein Bestes, ihr geübtes mysteriöses Lächeln nachzuahmen. Ihre Hand lockerte sich und ich fiel nach Luft schnappend zu Boden. Mein Blick allerdings verließ sie nicht und japsend versuchte ich meine Stimme wiederzufinden.
„Du bist nicht wirklich wütend, warum?"

Schatten der Vergangenheit - Viktorias VermächtnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt