12. Peter Anderson

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Ich trug ein schlichtes, graues Sweatshirt und eine normale Jeans. Außerdem noch ein paar Schuhe, die mir Mrs Woods gegeben hatte.
Als ich dann frisch geduscht vor Wills Zimmertür stand, atmete ich nervös und unregelmäßig.
Sein Bruder, Peter, würde heute zu Besuch kommen und ich würde Will begleiten.
Dann klopfte ich vorsichtig gegen die weiße Tür und ein Junge mit zerzausten Haaren öffnete.
"Liz...Was machst du denn hier?"
"Naja, heute ist doch das Treffen mit Peter, dachte ich."
"Verdammt!", fluchte er. "Das hab ich ganz vergessen!"
Ich betrat sein Zimmer, überall lagen Sachen auf dem Boden herum und ich musste aufpassen, nichts kaputt zu treten oder über etwas zu stolpern.
Will zog sich währenddessen einen Hoodie über und ich hatte freie Sicht auf seinen Bauch, der muskulös, aber voller Narben war. Ich schluckte. Als er aufsah und meinem Blick folgte, kam er auf mich zu und griff nach meiner Hand.
"Komm. Lass uns gehen."
Wills Augen waren dunkel, wie immer. Aber sie wirkten noch dunkler als sonst und seine Augenringe waren auch tiefer als sonst.
"Hast du geschlafen?", fragte ich und er schüttelte den Kopf.
"Nein. Ich...- Keine Ahnung. Ist doch auch egal."
"Okay", murmelte ich nur und wir liefen zum Besucherraum.

Wir standen kurz darauf davor und Will klärte mit einem Betreuer alles nochmal ab, dann gingen wir rein.
Will griff nach meiner Hand und drückte sie leicht. Ich erwiderte es kurz, indem ich seine Hand auch drückte.

An einem Tisch saß eine Frau, die gerade mit einem Jungen sprach. An einem anderen Tisch saßen eine Frau und ein Mann, die heftig weinten.
Dann erblickte ich einen jungen Mann, der in der Mitte des Raums an einem kleinen Tisch saß. Er hatte seine Haare ganz kurz. Keine Glatze, aber nur noch so Stoppeln. Eine fette Narbe zog sich über seinen Hals und an seinem Arm waren Tatoos zu sehen. Seine Augen waren dunkel und seine Wangenknochen hoch. Er ähnelte Will ein bisschen.
"Hey, William!"
"Hallo, Peter."
Ja, es war Peter.
Wir setzten uns ihm gegenüber und er musterte mich.
"Wer bist du denn? Wills Freundin?"
Will schaute mich an. Dann öffnete er den Mund und schloss ihn wieder.
"N - Nein", stotterte er und ich drückte sanft seine Hand und lächelte zu ihm.
"Ich bin Allison. Schön, Sie kennenzulernen!", lächelte ich und reichte ihm meine Hand
"Peter, gleichfalls."
Sein Händedruck war stark, sehr stark und fest. Meine kleine Hand tat danach etwas weh, doch als ich Wills Hand wieder spürte, ging es.
"Will, wie geht's dir?"
Ich dachte an seine Narben.
"Ganz okay, dir?"
Wills Stimme stockte zwischen drin immer wieder mal, doch ich hatte das Gefühl, die Stimmung lockerte sich.
"Mir geht's gut. Wie is' es hier so?"
"Wie soll's denn sein?", lachte Will auf. "Verdammt beschissen. Aber ich hab Freunde gefunden, die mir helfen."
Er lächelte zu mir runter und Peter nickte.
"Das freut mich."
"Warum bist du hier, Peter? Ich meine, du warst die letzten 12 Monate auch nicht da."
"Das bereue ich auch, Will. Ich hätte dich jeden Tag besuchen sollen, du bist mein kleiner Bruder! Aber du weißt, dass ich nicht konnte."
Will zog scharf die Luft ein und seufzte dann.
"Ja, ich weiß. Aber warum bist du gekommen? Mit welcher Absicht?"
"Ich wollte dich sehen!", erwiderte Peter lauter.
"Als ob! Ich meine, du warst auch nicht hier als Karl gestorben ist! Auch nicht, als ich eingewiesen wurde! Auch nicht, als ich Geburtstag hatte!
Dabei ist mir mein Geburtstag scheiß egal! Ich wollte doch nur einen Besuch von dir bekommen. Nur einer hätte gereicht!", zischte Will und sein Kiefer spannte sich an. Er drückte meine Hand fester und ich schaute zu Peter.
"Okay. Ja. Du hast recht. Ich bin nicht ohne Grund hier. Aber, Will. Glaub mir, ich wollte dich wirklich sehen! Wirklich!"
"Was ist? Hat Mom wieder Mist gebaut? Hat Zoe wieder zu viel gekifft? Was ist, Peter?!"
"Ich gehe", seine Worte führten zu einer erdrückenden Stille, die ich noch nicht ganz verstand.
"Was?", hauchte Will und seine Hand lockerte sich.
"Ich gehe. In den Irak. Ich werde das nächste Jahr dort stationiert sein, Will."
"Wie bitte? Du kannst dich doch nicht verpissen, Peter! Früher, ja, da konntest du das super! Aber wer verdammt soll sich um Zoe kümmern, die landet doch in irgend einem Loch, wenn niemand aufpasst! Und was ist mit Mom?! Mom ist am Ende, wenn du ihr das erzählst! Mom wird dich nicht gehen lassen!", brüllte Will und ich hielt seine Hand fester.
"Will, ich tue das für unseren Vater!"
"Unser Vater ist tot, du Vollidiot! Und du willst in den selben Tod stürmen wie er! Mom wird das nicht verkraften, wenn du gehst!"
"Mom wird's überleben!", schrie Peter. "Sie hat's doch auch überlebt, dich hier reinzustecken! Zu all den Freaks! Sie hat's doch auch geschafft sich komplett die Leber zu zerstören! Sie hat's überlebt! Sie hatte eine verdammte Spender Leber bekommen! Sie hat's überlebt, Will! Dann wird sie auch das überleben!", sagte Peter und haute auf den Tisch.
"Warum bist du dir da so sicher?", zischte Will.
"Ich hab's ihr schon erzählt. Sie meinte, ich solle gehen. Nein, warte! Eigentlich meinte sie, ich solle mich doch ruhig verpissen."

Auf einmal lies Will meine Hand los und fuhr sich durch die Haare.
"Weißt du was, sie hat recht. Verpiss dich, Peter."
Und somit standen wir auf und gingen.

Langsam liefen wir zurück in Wills Zimmer. Sehr langsam. Ich hielt jetzt aber wieder seine Hand und er hatte seinen Blick die ganze Zeit über auf den Boden gerichtet.
In seinem Zimmer angekommen legte er sich auf den Boden unter 'sein' schwarzes Loch, was groß und dunkel an seine Decke gemalt war.
Ich legte mich vorsichtig neben ihn und schaute nach oben.
"Mein Vater ist im Irak gestorben", sagte Will und seine Stimme war so kalt, dass ich eine Gänsehaut bekam.
"Das -"
Er unterbrach mich. "Sag jetzt nicht, dass es dir leid tut."
Ich schluckte. Was sollte ich denn sonst sagen? Mir fiel nichts ein. Mein Herz schlug wieder etwas höher, als er  meine Hand nahm.
"Peter will jetzt auch in den Tod rennen. Andersons' sind Kämpfer, aber nicht unbedingt die Stärksten, weißt du..."
"Du hast Angst um ihn, nicht wahr?"
"Ich will eben nicht auf den Tag warten, an dem meine total bekiffte Schwester hier auftaucht, um mir zu sagen, dass Peter nicht mehr kommen wird. Nie wieder."
Ich erinnerte mich an meinen Vater. Wie wir damals aus dem Haus gegangen waren und er nicht mehr wieder kam.
"Willst du darüber reden?"
"Eigentlich ja, aber ich weiß nicht wie, Liz."
"Versuch es einfach", sagte ich und drehte meinen Kopf zu ihm. Er schloss die Augen.
"Ich verstehe sein Ziel nicht. Er ist kein Patriot, Liz. Er will meinen Vater stolz machen, aber warum? Mein Vater ist auch stolz auf ihn, wenn er einfach studiert und Arzt wird oder wenn er arbeitslos ist auch. Völlig egal. Aber warum sucht er sich von allem das Militär aus? Er kann mich nicht hier rausholen, Zoe kifft sich das Hirn weg, meine Mom macht Schulden und hat jede Woche einen neuen Lover."
Tränen liefen ihm die Wangen hinunter und tropften auf den harten Boden.

Freaks [wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt