22. Freiheit?

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Der nächste Abend rückte immer näher.

Ich alleine hatte schon genug Essen für zwei Personen besorgt.
Also Probleme mit Essen und Trinken würden wir nicht kriegen, ganz sicher nicht, dachte ich.

Was mich eher besorgte, war das mit den Fahrrädern. Wie sollten wir welche finden?
Und außerdem: Wie sollten wir die denn klauen?

Meine Sachen waren fertig gepackt und ich trug von oben bis unten dunkle Kleidung.

Unauffällig, wie Will gesagt hatte.

*

Es war schon 21 Uhr als wir schließlich alle vor der Kellertür standen.

Wir hatten alle wahnsinnig Glück gehabt, dass uns niemand gesehen hatte. Die Betreuer waren anscheinend doch nicht überall.

Wir sprachen erst wieder, als wir hinter der dicken Stahltür des Heizungskellers standen.

Ich atmete tief durch. Mein Herz raste und ich war total aufgeregt. Schließlich wussten wir ja noch nicht mal, ob es wirklich einen Ausweg gab.
Wir setzten alles darauf, dass wir einen Ausweg fanden. Wirklich alles.

Das war unsere letzte Hoffnung, verdammt.

Was, wenn es keinen Ausweg gab? Was, wenn es wirklich keinen gab?

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen.
"Liz? Wir müssen weiter. Ist alles klar bei euch allen? Habt ihr alles dabei?"
Alle nickten im Licht der Taschenlampen, die wir nun bereits angeschaltet hatten und wir stiegen nacheinander die rostige Leiter hoch in den Tunnel oder Kanal. Ich war mir nicht ganz sicher, was das war. Hauptsache war ja, dass dieser Weg rausführte, dachte ich.

Will war der erste, danach Bella, dann ich, dann Lola und Nick als letzter.
Oben angekommen leuchtete Will mir direkt ins Gesicht. Geblendet von dem weißen Licht hielt ich mir die Hand vor die Augen.

"Oh. Sorry, Liz", grinste er leicht und ich lächelte aufgeregt zurück.
Mein Herz schlug schneller als normal, als wir den Gang hinunter liefen.

"Jetzt hier links", murmelte Will und deutete in die Richtung. Er musste es wissen, dachte ich und ging ihm, wie die anderen hinterher.

Man hörte Wasser plätschern. Oder was war das sonst?
Fragend schaute ich zu Bella, die die Stirn runzelte.
"Wo sind wir hier?"

Will seufzte. "Ihr hört das auch, ja?"
Wir nickten.
"Wir sind in der Nähe einer Kanalisation, Freunde."

Lola verzog angeekelt das Gesicht. "Wir müssen da durch, nicht wahr?"

Will nickte.

*

Wir liefen nun schon eine Weile durch die Kanalisation und es roch so, wie es nun mal in einer Kanalisation roch.

Ekelhaft.
Ich rümpfte meine Nase und versuchte, so weit weg von der verdreckten Brühe zu kommen, wie es auf dem schmalen Steinweg nur ging.

"Da war doch ein Gullydeckel, Will!", meinte ich und deutete nach oben.

Will drehte sich um und schubste mich dabei fast in die stinkende Brühe.
Doch ich konnte mich noch halten.
Zum Glück.
"Nicht Will, sondern Chris. Und ja, ich hab den gesehen. Aber wir müssen noch weiter, weil es könnte sein, dass dieser Gullydeckel noch innerhalb des Geländes ist. Und dann wären wir nicht draußen, verstehst du?"
Ich nickte.
"Okay, Chris."
Er lächelte und drehte sich wieder um.

"Glaubt ihr echt, wir finden noch einen Ausgang?", fragte Nick von ganz hinten.
Ich schulterte meine Tasche neu und seufzte.
"Ich denke schon", meinte Chris W. "Wir haben schließlich einen Kanal gefunden. Irgendwo geht's raus, das ist klar."

"Wir laufen jetzt seit fast einer Stunde. Und wir haben schon fast drei Gullydeckel verpasst. Welchen willst du den nehmen?", fragte Nick ungeduldig und ich wusste genau, was er gerade für ein Gesicht machte, obwohl ich es nicht sehen konnte, weil es zu dunkel war.
Ich wusste, wie er gerade genervt das Gesicht verzog und mit den Augen rollte, denn das war einfach typisch Nick.

"Den da", meinte Will grinsend im Licht der Taschenlampe und deutete auf eine Leiter, die zu einem Deckel führte.
"Okay...Nick, komm mal zu mir. Wir müssen den Deckel hochstemmen."

Die Jungs kletterten die Leiter hoch und wir Mädchen blieben unten und hielten ihre Taschen.
Ich leuchtete zu den Jungs hoch und sah, wie sie mit aller Kraft versuchten, den Gullydeckel hochzuheben.

Mit einem Ruck schafften sie es dann tatsächlich und Nick konnte raus klettern. Mein Herz schlug noch schneller, als es eh schon gegen meinen Brustkorb hämmerte.

"Was siehst du?", fragte Will, der den Deckel weiter hoch hielt.
Die Spannung lag in der Luft. Waren wir draußen oder nicht?

Man hörte ein raues Lachen von oben.
"Ihr könnt hochkommen!"

Der nächste Moment war unbeschreiblich.

Ich war die letzte, die hochstieg. Vorher reichte ich Will noch meine Tasche und dann kletterte ich die Leiter hoch.
Ich schlüpfte durch das enge Loch und draußen war es dunkel.

Das erste, was ich spürte, war der kühle Wind.
Das erste, was ich sah, war der Zaun und Klinik Woods, die sich dahinter befand.

Wir waren draußen, dachte ich.

Bella tanzte im Kreis herum und Lola schnappte sich ihre Kamera und ab und zu erhellte der Fotoblitz die Gegend.

Nick lachte leise und stand neben Will, der nicht aufhörte zu grinsen.

Ich stellte mich neben die Jungs und seufzte.

"Wir sind draußen."

"Wir sind frei."

"Endlich", lachte Nick und lies seine Tasche fallen.
Klar, hatten wir von diesem Moment an eine chaotische und kaum geplante Reise vor uns.
Klar, hatten wir unzählige Probleme, die vor uns lagen.
Klar war auch, dass wir weiterziehen mussten, doch diesen Moment konnte uns niemand nehmen.

Der Geruch von Freiheit lag in der Luft und ich atmete tief ein und aus, bevor ich anfing, leise zu lachen vor Freude.

Wir waren aus Klinik Woods ausgebrochen, abgehauen.

Wir waren verdammt nochmal frei.

Und verdammt, dieses Gefühl von Freiheit war so unbeschreiblich schön.

Freaks [wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt