Wir saßen im Kreis in Nicks Zimmer und in der Mitte lag der Schlüssel.
"Wir sitzen hier jetzt schon ewig. Was machen wir denn jetzt?", fragte Lola und man sah ihr an, dass sie ungeduldig war."Das ist die große Frage...", murmelte Will. "Wir könnten natürlich jede Tür in Woods versuchen zu öffnen, aber das würde Jahre dauern..."
"Was bleibt uns anderes übrig?", fragte ich und griff nach dem Schlüssel.
Vorsichtig drehte ich ihn in meiner Hand hin und her.
Keine Gravur. Nichts, was irgendeinen Hinweis geben könnte.
Seufzend legte ich ihn wieder in die Mitte."Weiß' nicht", beantwortete Will meine Frage und fuhr sich durch seine bläulichen Haare.
"Okay, ich habe eine Idee", meinte Lola und alle Blicke richteten sich auf sie.
"Wie wärs, wenn wir den Schlüssel erst einmal aufheben und jetzt was essen gehen und später wieder darauf zurück kommen?"Wir nickten und gingen in die Cafeteria und aßen, doch jeder hing noch an dem Gedanken was mit dem Schlüssel war und in welches Schloss er passte. Ich sah rüber zu Will, der mich bereits schon anschaute.
Seine Mundwinkel hoben sich leicht nach oben und daraufhin musste ich, wie so oft, auch grinsen.Bella hatte aufgegessen, was meine Stimmung auch aufhellte, denn ich spürte es wieder.
Das Verlangen nach Schmerz, nach Blut und nach der Befreiung, die einem für einen kurzen Augenblick gegeben wurde.*
Am Abend saß ich in meinem Zimmer. Da kam es wieder, dieses Gefühl. Ich schluckte.
Ich dachte an meinen Vater und an meine Mutter und an all das, was ich verbockt hatte. Und das war ziemlich viel. Ich hatte so viel falsch gemacht und es gab genug Leute, die mich hassten.
Sie brachten mich dazu, mich selbst zu hassen. Doch auch ich brachte mich dazu, mich selbst zu hassen.
Der Selbsthass zerfraß mich. Die Stimme in meinem Kopf schrie.
Sie schrie, ich sei eine Versagerin.
Und das war ich.
Ich war die größte Versagerin der Welt. Ich war sogar zu dumm, um eine Safttüte gerade zu halten und zu dumm, um irgendetwas hinzukriegen.
Eine Versagerin eben, dachte ich.Und schon stand ich da mit dem silbernen Ding in der Hand.
Langsam setzte ich sie an und zog sie mit einem Ruck durch. Ich spürte die Erleichterung und den Schmerz, der meine seelischen Qualen übertönen sollte.
Dann dachte ich an Will, Lola, Nick und Bella. An meine Freunde. Doch auch sie verschwanden hinter meiner unendlich riesigen, schwarzen Wand. Meiner Depression.
Sie verschluckte all das Gute und zog mich tiefer und tiefer in den Dreck.
Das Blut lief über meinen Arm und ich verfolgte das bekannte Szenario mit ausdrucksloser Miene.
Die nächsten Sekunden vergingen so schnell, dass ich kaum etwas tun konnte und das, was passierte, kam mir irgendwie bekannt vor.Meine Tür wurde aufgerissen, ich hörte Schritte und die Badezimmer Tür wurde geöffnet.
Ich konnte mich nicht verstecken, nicht mehr.
Will stand im Türrahmen und starrte mich an. Sein Mund öffnete und schloss sich wieder.
Dann kam er vorsichtig auf mich zu.
"Nein", weinte ich, obwohl ich nicht weinen wollte. "Geh weg! Du darfst mich nicht so sehen!"
Verzweifelt versuchte ich mich an ihm vorbeizuschieben, doch es ging nicht. Er legte seine Hände an meine Schulter und drückte mich sanft runter.
Ich saß auf der Toilette, auf dem Deckel und weinte leise vor mich hin.
Das gehörte zu den letzten Dingen, die ich wollte. Dass er mich in so einer Situation sah.
Er ekelte sich jetzt bestimmt vor mir und hasste mich sicherlich dafür, dachte ich.
Will kam wieder auf mich zu und säuberte meine Schnitte. Dann wickelte er, ohne ein Wort zu sagen, einen Verband um meinen Arm und zog mich wieder hoch.
Wir standen uns wieder so nah und er wärmte mich.
Dann zog er mich in eine feste Umarmung und ich weinte leise in seinen Pulli.
"Will?"
"Ja?"
Er korrigierte mich nicht. Er lies mich ihn Will nennen.
"Es ist furchtbar, dass du mich so gesehen hast."
"Shh", beruhigte er mich und fuhr mir mit einer Hand über den Rücken.
"Es tut mir leid."
"Muss es nicht, Liz. Ich bleibe heute hier bei dir, okay? Ich werde nicht weggehen."
Ich löste mich von ihm und schaute in seine dunklen Augen.
"Das musst du nicht, Will. Ist schon okay."
"Nein, ist es nicht. Ich bleib hier. Keine Widerrede, Liz."
"In Ordnung", seufzte ich und wischte mir die Tränen weg.Wir legten uns aufs Bett und ich lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter.
"Peter geht wirklich", murmelte er.
"Er wird schon wiederkommen, Will", erwiderte ich mit dem Versuch, ihn aufzumuntern.
Er lachte auf, doch er lachte bitter und kalt.
"Ja, in einem Sarg."
Ich schluckte. Das hatte gesessen.
"Wie geht's dir?", fragte er und lenkte vom eigentlichen Thema ab.
"Gerade? Ganz okay, wirklich. Und dir?"
"Hmm", brummte er. "Jetzt auch ganz okay, Liz."
"Das ist schön."
Er seufzte. "Liz?"
"Was ist?", fragte ich.
"Ich vermisse ihn jetzt schon, obwohl er noch nicht mal tot ist."
Er seufzte wieder.
"Du hast Angst um ihn, das ist normal", beruhigte ich ihn und griff nach seiner Hand.
"Ich will ihn nicht auch noch verlieren, Liz", murmelte Will.
"Hey, das wird schon nicht passieren. Alles wird irgendwie seinen Lauf nehmen. Das wird schon wieder gut sein."
"Das hab ich zu oft gehört, um es jetzt zu glauben...", seine Stimme bebte.
"Ich kann's dir auch nicht versprechen, aber versuch's einfach daran zu glauben, okay?", antwortete ich.
"Ich versuch's."
Somit lagen wir nebeneinander und blieben still, ich hörte nur seinen Atem und spürte wie sich seine Brust hob und senkte. Will hielt immer noch meine Hand und fuhr sanft mit dem Daumen über meine Finger."Liz. Ich hab dich stehen gelassen, weißt du noch? Als du gesagt hast, dass du mich gern hast", ich erinnerte mich, ja, zu gut. Es hatte schrecklich wehgetan.
"Ja?", nuschelte ich und er drückte meine Hand leicht.
"Ich hab dich auch gern, Liz."
Mein Herz, verdammt, es explodierte. Es flog quer durch meinen Brustkorb und dann explodierte es vor Freude. Mein Gehirn war abgeschaltet und die Schmetterlinge in meinem Bauch waren am Durchdrehen. Mein Körper spielte verrückt, doch ich gab mir alle Mühe, ruhig zu bleiben.
Wie konnte er mich nur mögen? Mich, Allison Baker, die langweilige, unsichtbare, kranke Allison Baker. Wie konnte er nur?Er beugte sich zu mir runter und küsste mir aufs Haar.
"Liz, du bist meine beste Freundin."
Autsch. Das war wie ein Schlag in die Fresse. Oder auch schlimmer.
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Freaks [wird überarbeitet]
Novela Juvenil[Achtung: Wer mit dem Thema Depressionen, Selbstverletzung, Bulimie, o.ä. nicht umgehen kann, sollte diese Geschichte auf keinen Fall lesen] Allison Baker leidet unter Depressionen und wird deshalb in eine Einrichtung für Jugendliche ein...