5. Dunkelblau

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Ich wachte morgens gegen 6 Uhr auf und einschlafen konnte ich auch nicht mehr.
Also entschloss ich mich dazu, rauszugehen.
Bei der Frau hinter der Theke meldete ich mich ab und ging zum Saal der Engel.
Ich mochte den Ort sehr. Er faszinierte mich einfach.
Ein Betreuer stand wieder davor. Wie früh standen die denn bitte auf?
Egal, dachte ich und nickte ihm kurz zu.

Der Saal der Engel war mehr als nur eine Art Friedhof. Es war ein Ort voller Frieden.
Ein Ort über dem Engel weilten, dachte ich.
Ich war alleine und setzte mich in die Mitte des Sofas.

Lange saß ich so da, bis die Tür quietschte und ich mich umdrehte. Ein Junge in schwarzen Klamotten trat ein. Seine Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen und somit konnte man sein Gesicht kaum erkennen.
Ich rückte ein Stück zu Seite, sodass er sich setzten konnte.
Wir saßen lange still neben einander, bis er die Kapuze abzog und ich ihn musterte.
Er hatte hohe Wangenknochen und ein kantiges Gesicht. Seine Augen waren dunkel, undefinierbar. Vielleicht braun, vielleicht auch einfach nur grau.
Seine Haare waren dunkelblau, an manchen Stellen aber eher schwarz.
Ich zuckte zusammen, als er sich plötzlich zu mir drehte.

"Wer bist du denn?", fragte er und seine Stimme war leise, aber zerschnitt die Luft zwischen uns.
"A - Allison. Allison Baker", stotterte ich.
"Ah."
Stille.
"Ich bin Will. Aber heute bin ich Rex."
Das war er also. Der Junge mit tausend Namen, jeden Tag ein anderer.
"Äh. Hallo, Rex."
"Hallo, Allison", sagte er und seine Stimme war rau und kalt.
"Warum bist du hier?", fragte er.
"Es ist faszinierend", murmelte ich. "Die Namen in den Wänden, die Personen dahinter...Sie sind Teil der Ewigkeit."
"Sind wir das nicht alle?", fragte Will, beziehungsweise Rex.
"Wie meinst du das?", fragte ich.
"Gegenfragen sind blöd. Ich meine damit, dass wir alle ein Teil des Hier und Jetzt sind, also doch irgendwie ein Teil der Ewigkeit, oder nicht?"

Ich sah in seine Augen.
Blickkontakt verabscheute ich eigentlich, doch seine Augen zogen mich irgendwie auf eine seltsame Weise an.
"Ja, das stimmt schon irgendwie.
Aber wenn ich tot bin, wird sich spätestens nach ein paar Jahren niemand mehr an mich erinnern.
An diese Engel hier wird man sich immer erinnern können, denn sie sind in dieses Holz eingeschnitzt. Ganz tief. Viel tiefer sind ihre Namen im Holz verewigt, als die Tiefe ihres Grabs."

Rex stand auf und reichte mir eine Hand.
"Es ist immer schön, einen anderen einsamen Poeten zu finden."
Ich reichte ihm zögernd meine Hand und stand auf.
Wir gingen aus der Hütte, oder dem Saal, wie ich ihn lieber nannte.
Wir schlenderten über den Sportplatz.

"Allison, also. Ich würde dich lieber anders nennen."
Er blieb abrupt stehen und nahm mein Gesicht in beide Hände.
Verwirrt und überrascht zuckte ich zusammen und hielt die Luft an.
"Ich nenn dich Liz, okay?"
"Geht klar", sagte ich immer noch verwirrt.
"Okay, Liz. Wo willst du hin?"
"Weiß' nicht. Vielleicht was essen oder so."
"Ich meine, wo du hin willst, außerhalb dieser Hölle?"
Ich schaute zu ihm hoch.
"Am liebsten an den See, wo ich früher mit meinem Vater immer war."
Lächelnd nickte er. Sein Lächeln lies mich lächeln.
Er war so hübsch, dachte ich.
Noch hübscher, wenn er lächelte.

Freaks [wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt