Will lag neben mir im Bett und hielt meine Hand.
Er atmete leise und regelmäßig, er schlief.
Ich lag wach und beobachtete ihn schon eine ganze Weile.
Freunde. Wir waren nur Freunde. Warum tat mir das so unfassbar weh?
Liebte ich ihn etwa? War ich verliebt in William Anderson?Seine hohen Wangenknochen, seine weichen Lippen, seine dunklen Augen, seine blauen Haare, die immer so wuschelig waren.
Alles an ihm war perfekt. Alles. Jeder kleine Teil seines Körpers war perfekt.
Obwohl seine Augen geschlossen waren, wusste ich, dass seine Augen immer noch wunderschön glänzten.
Ich schluckte.
Ja, ich war in Will verliebt, da gab es kein zurück.Doch ich war nur Allison Baker. Das Mädchen mit den braunen, mittellangen Haaren, mit den öden braunen Augen.
Das Mädchen ohne richtige Kurven und ohne ein schönes Lächeln.
Ich war Allison Baker, die unsichtbare, unschöne, langweilige Allison Baker.
Nicht die schöne, selbstbewusste, glückliche Allison, die ich so gern sein wollte.Wenn ich glücklich wäre, würde Will sich dann vielleicht in mich verlieben? Wie sollte er sich in jemanden verlieben, der sich die Arme zerstörte und schwach war und heulte wie ein Kleinkind?
Stark bleiben, Liz, dachte ich.
Liz.
So nannte er mich immer. Ich nannte mich auch schon so.
Aber nicht nur der Spitzname an sich, sondern auch wie er ihn aussprach. Mit seiner rauen, tiefen Stimme, von der ich Gänsehaut bekam und ein Kribbeln im Bauch.
Ja, Will Anderson war es.
Lola liebte Vögel, ich liebte ihn. Über alles.
Der Vergleich war vielleicht seltsam, aber wenn Vögel vorbei flogen,
konnte Lola nicht wegsehen. Genauso war es bei mir: Wenn ich Will sah, konnte ich nicht wegsehen.Und zu dieser Erkenntnis kam ich, als ich so neben ihm lag und ihn um drei Uhr nachts beobachtete, wie er friedlich schlief.
In diesem Moment realisierte ich, wie gern ich ihn hatte.
Schon bevor ich ihn kennengelernt hatte, fand ich ihn interessant und jetzt fesselte er mich.
Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden, wenn er sprach, lachte oder auch, wenn er einfach nur er selbst war, so wie, wenn er schlief.
Sein Körper strahlte diese unfassbare Wärme aus, die mein kaltes, zerbrochenes Herz aufflammen lies.Doch wir waren nur Freunde und damit musste ich mich wohl abfinden.
*
Als ich das nächste Mal aufwachte, war es bereits hell. Ich war wohl doch noch eingeschlafen.
Das nächste, was ich hörte, nach dem Zwitschern von Vögeln, war laufendes Wasser.
Will lag nicht mehr neben mir und ich ging davon aus, dass er duschen war. Seine Klamotten lagen auf dem Boden herum.
Warum hatte er sie nicht mit ins Bad genommen?
Immer noch etwas verdutzt darüber stand ich auf und zog mir schnell etwas anderes an, bevor Will kam. Gerade als ich meinen Pulli überzog, hörte ich, wie das Wasser abgestellt wurde und schnappte meine Schuhe, damit ich nicht nur dumm rumstand, wenn er wiederkam.
Ich setzte mich aufs Bett und zog meine Schuhe an, bis mein Herz plötzlich einen Satz aussetzte. Jedenfalls fühlte es sich so an.Will stand in Boxershorts vor mir. Mehr hatte er nicht an. Seine Narben am Bauch waren sichtbar, doch man sah, dass sie schon lange verheilt waren, was mich irgendwie beruhigte.
Ich starrte etwas zu lange auf seinen Körper, denn er räusperte sich und ich zuckte zusammen."Guten Morgen", murmelte ich.
"Hey, Liz. Ich hoffe das war okay. Also, dass ich bei dir geduscht hab?"
Ich nickte schnell und stand auf.
Dann huschte ich ins Bad, um mich etwas zu schminken, damit er sich in Ruhe fertig anziehen konnte.Er steckte seinen Kopf durch den Türspalt und grinste.
"Liz? Wollen wir frühstücken gehen?"
Nickend folgte ich ihm und wir gingen essen.Er saß mir gegenüber und starrte auf sein Brötchen, in das er kurz darauf hineinbiss.
Ich saß ihm gegenüber und starrte ihn an.
Meine Augen konnten nichts mehr wahrnehmen, nur ihn.
Das Umfeld verschwamm und die Geräusche um mich herum wurden leiser.
Nur noch er war da.
Mein Herz schmerzte und ich seufzte."Alles klar?", fragte Will.
"Ja, alles klar", lächelte ich und mein Lächeln war falsch, getäuscht. Schauspielern konnte ich schon immer gut. Jedenfalls dachte ich das.
Will schnaubte kurz und dann starrte er wütend an mir vorbei.
Warum war er jetzt so genervt?
"Und bei dir?", fragte ich leise.
"Ja, alles klar", äffte er mich nach mit einer höheren Stimme.
Ich schluckte. Das tat weh, denn er lachte nicht. Nein, das tat er nicht. Er starrte mich an mit einem wütenden, enttäuschten Blick.Es war von Anfang an klar gewesen, dass ich ihn wieder enttäuschen oder verärgern würde.
So wie alle in meinem Leben.
Ich fuhr mir durch die Haare und stand auf."Ich hab keinen Appetit mehr. Wir sehen uns dann", sagte ich und ging mit dem Blick nach unten gesenkt aus der Cafeteria.
In meinem Zimmer saß ich in der Dusche. Der Boden war mittlerweile trocken, sodass meine Hose nicht nass wurde.
In meiner Hand tanzte die kleine eiserne Klinge.
Ehe ich mich versah, tropfte das Blut hinunter und verschwand im Abfluss.
Ich war nicht stolz darauf, nein. Aber es erlöste mich wieder für einen Moment und es tat gut.
Irgendwann stand ich dann auf, ich hatte die Zeit vergessen.Vorsichtig erneuerte ich meinen Verband und verstaute die Klinge in ihrem Versteck.
Dann legte ich mich auf den Boden unter meinen Planeten an der Decke.
Mir fiel auf, dass meine Initialen total schief geschrieben waren.
Sie waren schief und krumm wie ich.Ich war nicht hübsch, nicht selbstbewusst, nicht lustig, nicht nett, nicht hilfsbereit.
Ich war so vieles nicht.
Doch eines war ich ganz sicher. Depressiv.Dieses Wort.
Depressiv.
Es brannte sich in meinen Kopf ein. Ich hatte Depressionen.
Ich war depressiv, ja.
Und so schnell lies sich daran auch nichts ändern.
Doch warum verliebte ich mich, wenn ich depressiv war?
Das war wohl das dümmste, was ich hätte tun können.
Mich zu verlieben, wenn ich noch nicht mal mich selbst lieben konnte.
Ja, ich konnte mich nicht leiden.
Mein Charakter, mein Aussehen, meine Art.
Ich konnte mich einfach nicht mögen.Seufzend schaute ich hoch zu dem Mond an der Decke und erinnerte mich, wie ich ihn gemalt hatte.
Ich war fast wirklich fröhlich gewesen, fast hätte ich alles vergessen.
Doch vergessen war nicht leicht, und so lag ich unter dem mit Edding gezeichneten Mond an meiner Zimmerdecke und dachte über all das nach, was passiert war.Was wäre, wenn ich gar nicht hier, sondern dort oben auf dem richtigen Mond wäre? Von dort aus gesehen spielt das hier alles gar keine große Rolle, oder nicht?
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Freaks [wird überarbeitet]
Teen Fiction[Achtung: Wer mit dem Thema Depressionen, Selbstverletzung, Bulimie, o.ä. nicht umgehen kann, sollte diese Geschichte auf keinen Fall lesen] Allison Baker leidet unter Depressionen und wird deshalb in eine Einrichtung für Jugendliche ein...