31. Nacht Zwei

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Nachdem wir fertig gegessen hatten und bezahlt hatten, waren wir noch eine Weile gefahren. Wieder nur geradeaus Richtung See.

Nun saßen wir in der Nähe einer Tankstelle auf einer Wiese, so wie auch gestern.

Wieder im Halbkreis saßen wir stumm da und es wurde langsam dunkler.
Die Zeit verging echt schnell, dachte ich.

"Ich glaub, ich geh mal rüber zur Tankstelle. Brauch jemand was? Ich hol mir was zu Trinken, mein Wasser ist leer", teilte ich mit und es stimmte auch wirklich. Außerdem hatte ich wahnsinnig Durst. Also schnappte ich mein Portmonee und wollte gerade losgehen, da stand Will plötzlich neben mir.

"Ich komm mit. Wenn das okay ist."

Seine raue Stimme brachte mich völlig aus dem Konzept.

"Ja - ja, klar", stotterte ich vor mich hin und wir schlenderten rüber zur leuchtend hellen Tankstelle.

Irgendwie war es mir unangenehm, dass er so nah bei mir lief, nachdem wir den ganzen Tag nicht geredet hatten und uns komplett ausgewichen waren.
Naja, ich war selbst schuld das es so war.

"Liz?", fragte er plötzlich und ich blieb abrupt stehen.

Er blieb auch stehen und unsere Blicke trafen sich. Und mal wieder zogen mich seine dunklen Augen in den Bann.

"Hm?", gab ich nur von mir.

"Ich wollte nicht, dass es so kommt", sagte er und ich spürte einen stechenden Schmerz in meinem Herzen.

"Ist schon gut", nuschelte ich und setzte mich wieder in Bewegung Richtung Tankstelle.

"Hey, warte doch mal!", sagte er und hielt mich an meinem Handgelenk fest.
Seine Berührung hinterließ ein Kribbeln, wie Stromschläge, dachte ich.

"Ich brauch was zu trinken. Lass mich los", bat ich ihn und in meiner Stimme schwang mehr Wut mit als ich wollte.
Ich war nicht mal wütend auf ihn, sondern nur auf mich.

Ich entriss mich letzen Endes aus seinem festen Griff und stapfte weiter zur Tankstelle, die ich kurz darauf betrat.

Schnell ging ich zum Getränkeregal und schnappte mir eine große Flasche Wasser. Ich bezahlte sie, drehte mich um und stieß fast mit Will zusammen.

"Sorry", murmelte ich und drückte mich an ihm vorbei raus aus der Tankstelle.

Ich war ihm ein paar Schritte voraus, doch ich hörte ihn ganz nah hinter mir.

"Liz?", fragte er wieder.
Genauso wie auf dem Hinweg, dachte ich, als ich wieder stehen blieb.
Warum auch immer. Meine Füße wollten einfach nicht weiterlaufen. Innerlich verfluchte ich mich selbst.

"Will, es ist okay. Alles ist okay", sagte ich, immer noch mit dem Rücken zu ihm gedreht.
Ich spürte zwei warme Hände auf meinen Schultern und auf einmal drehte er mich herum, sodass ich ihm direkt in die Augen sehen musste.

"Ich mag's lieber, wenn ich dich sehe, wenn ich mit dir spreche", sagte er nur leise und seufzte.

Ich biss auf meiner Unterlippe herum und schaute dann doch zu Boden, weil ich mich nicht in seinen Augen verlieren wollte - nicht schon wieder.

Auf dem Asphaltboden entdeckte ich einen Käfer, der grünlich schimmerte und ich beobachtete ihn, wie er durch die Gegend krabbelte.

"'Jemanden zu lieben, der Depressionen hat, ist wie London. Die schönste Stadt der Welt, aber es regnet jeden Tag'", zitierte er.
Ich kannte das Zitat irgendwoher, sehr wahrscheinlich hatte ich es mal irgendwo gelesen.

Mag sein, dass das Zitat wahr war, aber es traf nicht auf unsere Situation zu.
Wir hatten nämlich beide Depressionen.
Will und ich, wir saßen im selben Boot. Wir wussten, wie es ist, Depressionen zu haben.
Wir wussten, wie es ist, wenn es jeden Tag regnete.
Es passte einfach nicht so ganz, dachte ich.
Und das sagte ich dann auch.

"Du weißt, dass das nicht so gut zu der Situation passt...", murmelte ich und mein Blick galt immer noch dem grünen Käfer.

Er seufzte laut auf. "Hast Recht. Tut mir leid - ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll und -"

Ich unterbrach ihn. "Wie gesagt: Es ist alles okay."
In Gedanken hoffte ich so sehr, dass meine Stimme nicht all zu traurig klang.

Dann spürte ich, wie er seine Finger unter mein Kinn legte und es langsam hochhob.
Seltsam, dachte ich, so wie in den ganzen Kitsch Filmen, die an Valentinstag im Fernsehen liefen. Fast jedes Jahr hatte ich diese geguckt. Einfach, weil ich nichts besseres vorgehabt hatte.

"Liz, glaub mir, ich würde ja-"
Er stotterte und ich war ziemlich verwirrt.
Was zur Hölle meinte er denn jetzt schon wieder?!

"Aber ich stehe mir selbst im Weg", beendete er seinen Satz und steckte seine Hand zurück in seine Jackentasche.

Was meinte er denn jetzt?
Ich war vollkommen durcheinander.

"Komm, wir gehen wieder zu den anderen", meinte Will auf einmal und wir gingen zurück.

Mein Kopf dröhnte und meine Gedanken kreisten sich nur um das, was eben passiert war.

Was meinte Will?
Und warum tut er jetzt auf einmal wieder so, als ob wieder nichts wäre?

Ich verstand nichts mehr, aber trotzdem setzte ich mich zurück in den Kreis zu Bella, Lola und Nick, die über irgendetwas diskutierten.

*

Wir entschlossen noch etwas weiter weg von der Tankstelle zu kommen.
Einfach damit uns niemand fand oder wir zu auffällig wurden.
Letztendlich landeten wir wieder auf einer Wiese.

Es war unglaublich unbequem auf dem Boden, doch es ging.
Außerdem reichte mir der Schlaf, den ich bekam, eh nicht und so legte ich mich seufzend auf eine der dünnen Sportmatten, die Nick aus dem Trainigsraum mitgenommen hatte, von dem ich vorher gar nichts gewusst hatte.
Auch egal.

Will lag so weit weg von mir, wie kein anderer und ich wünschte mir so sehr, dass es anders wäre.
Am liebsten würde ich seine Hand halten.
Ich wünschte mir einfach nur, dass ich ganz normal mit ihm reden konnte und ohne Probleme seine Hand halten konnte.
So wie vorher eben.

Vor dem, was mir herausgerutscht war.
Bevor ich Will indirekt gesagt hatte, dass ich ihn mehr als nur einen Freund mochte.

Seufzend drehte ich mich auf die Seite und schreckte hoch, weil Bellas große Augen mich durch die Dunkelheit anstarrten.

"Ally...?", piepste sie.

"Hm?"

"Was ist los?", fragte sie.
Früher oder später würde sie eh bemerken, dass Will und ich nicht mehr so wie vorher miteinander umgingen, dachte ich.

Doch noch bevor ich ansetzen konnte, hörte ich einen Schrei.

Freaks [wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt