24. Stark sein

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Bella, Lola und Nick standen bereits vor der Tür und warteten darauf, dass wir weitergehen konnten.

Ich huschte schnell nochmal in mein Zimmer und nahm das Bild meines Vaters vom Nachttisch.

Es war ein schönes Bild von ihm.
Er saß auf einem unserer Gartenstühle und schaute meiner Mutter entgegen, doch sie war nur halb auf dem Bild.
Seine Mundwinkel waren leicht nach oben gehoben und seine Hand ruhte auf der Hand meiner Mutter.
Ihre goldenen Eheringe waren deutlich zu sehen.
Mein Vater trug ein weißes T-Shirt und eine dunkle, kurze Hose, an die ich mich noch erinnern konnte, weil er sie oft getragen hatte.
Im Hintergrund waren Kinder. Unter anderem ich, wie ich auf der Wiese hockte und Blumen pflückte.
Jetzt kam es mir wieder in den Sinn: Es war ein Grillfest gewesen bei uns im Garten.
Alle Nachbarn waren gekommen.
Es war ein schöner Tag gewesen, dachte ich.

Ich fuhr gedankenverloren über den Bilderrahmen, auf dem sich langsam Staub bildete.
Mein Vater sollte nicht vergessen werden, er sollte nicht verstauben.
Also nahm ich das Bild und packte es behutsam in meine Tasche.
Dann drehte ich mich um und sah Will, der im Türrahmen lehnte.

Wie lange stand er schon da?
Hoffentlich nicht all zu lange...

"Alles klar?", fragte er leise.

Ich stand immer noch an meinem Nachttisch und versuchte, ihm zu antworten, doch ich konnte nicht.

Ich konnte ihm nicht sagen, dass alles klar war, wenn es nicht stimmte.
Er durchschaute mich eh.
Aber genauso wenig konnte ich ihm sagen, dass nichts okay war, weil er sich dann Sorgen machte.

Also stand ich einfach da, regungslos und schaute zum Boden hinunter.

Ich hörte seine Schritte und dann spürte ich seine Arme, die sich um mich legten und mich an ihn heranzogen.

"Hey, komm her", murmelte er. "Liz, ich bin für dich da. Diesmal bin ich für dich da. Und ich bleibe für dich da. Du kannst immer mit mir reden, ja? Auch wenn's schwierig ist, du musst wissen, dass ich dir immer zuhöre."

Seine Worte waren schön.
Seine Umarmung war schön.
Seine Stimme war schön.
Er war schön und er half mir.

Ich legte meine Arme um seinen Hals und versteckte mein Gesicht in seinem Pulli, weil ich die Tränen kaum mehr unterdrücken konnte.

"Liz, du bist stärker als du denkst. Du schaffst das. Du - Du hilfst mir aus meinem schwarzen Loch und ich will dir auch helfen. Und glaub mir, wenn ich dir sage, dass du das schaffst.
Du kannst das. Du bist stark. Sehr stark."

Eigentlich wollte ich ihm sagen, wie sehr ich ihn liebte.
Eigentlich wollte ich ihm sagen, dass er mich mit seinen Worten wieder aufbaute.
Doch ich sagte nur: "Danke."
Und löste mich von ihm.

Wir gingen aus dem Haus und ich schloss die Tür hinter uns ab.
Alles sah aus wie vorher, dachte ich und seufzte.
Meine Mutter würde gar nicht bemerken, dass irgendwer in ihrem Haus gewesen ist, dachte ich und drehte mich zu Will um, der mich anlächelte.

Der Rest meiner Freunde stand bereits auf dem Gehweg und war bereit, weiter zu gehen.
Und ich war es jetzt auch.

Will griff vorsichtig nach meiner Hand, nur ganz leicht streiften sich unsere Hände und trotzdem fühlte es sich an, als ob ich in die Steckdose gegriffen hätte.

Ich lief rot an, weil unsere Freunde uns mit einem leicht verwirrten Blick anschauten, als wir letztendlich Hand in Hand hinter ihnen herliefen.

"Glaubst du nicht, dass wir ihnen sagen sollten, dass wir naja...", stotterte Will.

"Du meinst, dass wir ihnen sagen sollten, dass wir nicht zusammen sind?", fragte ich und spürte ein Stechen in meinem Herzen.

Ich schaute vorsichtig hoch zu ihm, um seine Reaktion zu erkennen.

Sein Blick war gesenkt und seine Stirn lag in Falten.

"J-Ja...", stotterte er wieder.

Es war klar, dass wir nicht zusammen waren und auch nicht zusammen kommen würden. Ja, es war mir klar gewesen, doch trotzdem tat es weh.
Es tat sehr weh.

Will schaute zu mir und unsere Blicke trafen sich.

Er sah irgendwie traurig aus.
Vielleicht auch nur Einbildung, dachte ich und senkte den Blick.

Doch trotz diesem seltsamen Gespräch, lies er meine Hand nicht los.

Und es war ein schönes Gefühl, zu wissen, dass es jemanden gab, der den Weg mit einem lief.

Ich lächelte leicht, als ich meine Freunde vor uns sah, die herumalberten.

Will neben mir schmunzelte auch, das sah ich, als ich schnell zu ihm hochschaute.

Wir waren die Gruppe voller Freaks, die aus Klinik Woods abgehauen war.
Wir waren frei und hatten kein Plan, wo wir hinwollten.

Man könnte meinen, das wäre echt dumm. Ohne Ziel und Plan herumlaufen.

Doch es war ein tolles Gefühl, tun zu können, was man wollte, dachte ich und lächelte.

Freaks [wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt