28. Tag Eins

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Wir hatten den Rest der ersten "Etappe" und auch in den Pausen, die wir gemacht hatten, nicht mehr gesprochen und Nick meinte, dass wir für heute genug gefahren waren, als es schon fast Abend war.

Mein Zeitgefühl war total aus dem Gleichgewicht also setzte ich mich zu Nick ins Gras und fragte ihn, wo wir waren und wie unsere Strecke aussah und wie viel Uhr wir überhaupt hatten.

"Gleich 16 Uhr.
Wir sind jetzt hier", sagte er und deutete mit seinem Zeigefinger auf die Karte, die er vor uns gelegt hatte.
"Wir müssen noch eine Strecke von 120 Kilometern fahren. Das ist viel und wir dürfen uns nicht überanstrengen."

Neben dem Zeitgefühl hatte ich auch kein Einschätzungsvermögen.
Doch 120 Kilometer klang nach viel und als ich den Weg von unserem Standpunkt zum See auf der Karte sah, rieb ich mir die Stirn.

"Wir schaffen das", grinste Nick.

"Okay", sagte ich und schaute hoch in den Himmel.
Er war grau, trotzdem kniff ich die Augen zusammen, weil es zu hell für mich war.

Nick sagte: "Hier."
Und ich blinzelte ihm mehrmals zu, bevor ich realisierte, dass er mir eine Flasche Mountaindew hinhielt.
Ich kippte das neongrüne Zeug runter und seufzte.
Nick trank ebenfalls einen Schluck, bevor er sie wieder in seinen großen Rucksack steckte.
Auf einmal fing er an zu reden wie ein Wasserfall, während ich meinen Blick über die riesige grüne Fläche gleiten lies, auf der wir uns niedergelassen hatten. Sie war nicht direkt am Straßenrand und wurde von großen Bäumen und Hecken umringt, sodass man von außen nichts sah.

"Hast du dich schon mal gefragt, warum sich die Welt dreht?
Ich meine, warum dreht sie sich überhaupt?
Ich weiß gar nichts mehr, Allison. Nichts.
Ich bin nicht mehr Nick. Ich war's nie.
Aber das ist nicht das Problem.
Das Problem ist, dass ich wirklich nichts weiß.
Wer sagt denn, dass das alles hier wirklich echt ist?
Wer sagt, dass schwarz schwarz ist und weiß weiß?
All diese Fragen, Allison, sie zerstören meinen Kopf. Was wäre wenn und was wäre wenn nicht und was und wer und wo und wie...
All diese Fragen. Es ist so schrecklich.
Ich bestehe nur noch aus Fragen.
Ich bin ein riesiges Fragezeichen ohne Punkt oder Komma oder sonst irgendwas."

Ich lehnte mich leicht gegen ihn und er seufzte.

"Sollten wir nicht einfach glücklich sein?", fragte ich ins Nichts und verlor mich in meinem dunklen Loch.

"Ja, Allison. Aber wie meine Mutter immer sagt: 'Nichts ist einfach so einfach.' Und jetzt, wo ich drüber nachdenke, hatte sie vielleicht sogar recht."

Will, Lola und Bella waren unterwegs, weil sie sich die Umgebung ansehen wollten.
Jetzt erschienen sie hinter einer riesigen Hecke auf der anderen Seite der Wiese.
Sie waren noch so weit weg, dass sie uns noch nicht hören konnten und so fragte Nick mich etwas, was mich tiefer ins dunkle Loch zog.

"Es geht mich eigentlich nichts an. Oder doch? Ich weiß nicht.
Egal.
Ich wollte dich fragen, was da zwischen dir und Will ist. Weil - ich weiß das klingt dämlich - er dich immer so ansieht und du ihn immer so ansiehst. Ihr seid beide beste Freunde von mir und -"

Ich unterbrach ihn. "Ist okay, Nick. Ich würde es auch wissen wollen, wenn meine Freunde was miteinander hätten.
Aber nein, da ist nichts zwischen Will und mir.
Wir sind nur Freunde."
Ich versuchte alles, damit meine Stimme halbwegs normal klang und man den Schmerz nicht raushörte.

Nicks Augen durchbohrten mich.
"Warum sehe ich dann Schmerz in deinen Augen?"
Verdammt, dachte ich.

Ich schloss meine Augen schnell und seufzte. "Ist doch egal."

"Du tust ihm gut, Allison. Ich kenne Will schon etwas länger und wenn du bei ihm bist, wirkt er sicherer als ohne dich."

Ich wollte etwas sagen, doch Will und die anderen setzten sich bereits neben uns und ich war völlig durcheinander.

Hatte Nick recht?
Oder war das nur Einbildung?

"Hey ihr beiden", grinste Bella und als sie lachte, hüpften ihre Locken leicht auf und ab.

"Und? Was habt ihr so entdeckt?", fragte ich und schaute rüber zu Will, der mir nach unserem Gespräch nicht mehr in die Augen gesehen hatte.
Auch diesmal wendete er sich ab und schaute zum Boden.

"Nichts besonderes. Wald, Wald, Straßen, Wald. Eine Siedlung, das war das einzig interessante, aber die war viel zu weit weg. Wir haben nur die Umrisse der Häuser gesehen und so", teilte Lola mit.

Nick nickte. "Ja, hier."
Er deutete auf einen kleinen Fleck auf der Karte, der gar nicht so weit weg schien.

Wieder wanderte mein Blick zu Will. Er war so still, stiller als sonst.

Während Bella und Lola Nick dabei halfen, die Decken auszubreiten und es halbwegs gemütlich zu machen, lief ich Will hinterher, der einfach aufgestanden war und nun quer über die Wiese lief.

Erst lief ich ihm einfach nur stumm hinterher, doch als wir dann bei einer der Hecken ankamen, die die Wiese umkreisten, stoppte er dann und ich krachte fast mit ihm zusammen.

"Sorry", murmelte ich und senkte meinen Blick.

"Was ist?", fragte er und ich schaute hoch. Er schaute wieder weg. Warum wendete er sich immer ab? Hatte ich was falsch gemacht?
Ja, bestimmt hatte ich das. Ich bin einfach nur verdammt beschissen, dachte ich und seufzte.

"Gehst du mir aus dem Weg oder bilde ich mir das nur ein?
Weil ich hab das Gefühl, dass es so ist und das verzweifelt mich total.
Weil - Weil ich nicht weiß, was ich ohne dich machen soll, ich kann nicht ohne dich -"
Noch nie hatte ich so schnell geredet, dachte ich und schluckte.
Mein Gehirn war dabei, zu verarbeiten, was ich gesagt hatte und dann bereute ich meine Worte letztendlich.
Hatte ich das wirklich gesagt? Dass ich ohne ihn nicht wüsste, was ich tun sollte?
Hatte ich ihm gerade wirklich indirekt gesagt, dass er mehr für mich war als nur ein Freund?
Verdammt, Allison, dachte ich und verfluchte mich selbst.

Total nervös kaute ich auf meiner Lippe herum und traute mich, zu Will hochzusehen, der seine Augen geschlossen hatte.

Dann öffnete er sie wieder und sein Blick traf meinen.

Seine dunklen Augen warfen mich wieder mal total aus der Bahn und ich hielt den Atem an, als er begann, zu sprechen.

"Allison", sagte er und mir war ganz komisch zumute. Dass er mich so nannte, verwirrte mich.
Immer wenn er mich so nannte, stimmte etwas nicht, dachte ich und wurde nur noch nervöser.

"Es tut mir leid, aber ich kann das nicht."

Und weg war es.
Das nervöse Gefühl war wie weggeblasen.
Aber nun fühlte ich mich einfach nur noch leerer als sonst.
Eigentlich war es mir doch klar gewesen.
Dass er mich nicht liebte, war mir doch eigentlich klar gewesen, dachte ich.

Trotzdem.

Es tat so unfassbar weh. Der dumpfe Schmerz in meiner Magengrube und mein Herz, was am liebsten aufhören würde, zu schlagen.
Doch das Ding schlug weiter. Es pumpte weiter Blut durch meine Adern und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich gerade aufhörte, zu existieren.

Ich bemerkte gar nicht, wie Will an mir vorbei zurück zu den anderen ging und wie ich einfach nur da stand.

Ich stand einfach ganz still da und es war mir egal, was mit mir passierte.

Will hatte es offiziell bestätigt.
Das aus uns wurde nichts, dachte ich.

"Uns".
Es hatte nie ein "Uns" gegeben.
Immer nur Will und Allison.

Doch am Ende würde es immer nur Allison Baker sein, dachte ich.

Allison Baker. Das Mädchen, was am Ende immer alleine da stand.

Ich hielt es nicht mehr aus.
Meine Füße setzten sich in Bewegung und ich rannte einfach los.

Wohin war egal.

Einfach weg.
Doch ich wusste, dass ich nicht fliehen konnte.

Ich konnte nicht vor meinen Problemen wegrennen.

Ich konnte nicht vor mir selbst wegrennen und tat es trotzdem.

Ich rannte einfach weiter durch den Wald, bis ich eine Straße kreuzte.

Noch bevor ich irgendetwas tun konnte, hörte ich das ohrenbetäubende Hupen.

Freaks [wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt