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Song: Christmas Calling - Norah Jones

Wie gewöhnlich mache ich meine Probleme mit mir selbst aus.
Ich rufe Izzy nicht an, obwohl sie mich mehrmals fragt, ob es etwas Neues gibt.
Ich wende mich nicht an meine Schwestern und auch Elliot weiche ich aus. Fast habe ich Angst, mit dem jungen Mann allein zu sein, aus Sorge er würde die Chance ergreifen und ein weiteres tiefgründiges Gespräch beginnen.

Ein paar Tage vor Weihnachten gehen wir alle zusammen bei Walters Essen.
Die Walters führen seit drei Generationen das einzige Restaurant der Stadt. Es ist unsere kleine Tradition, jedes Jahr vor Weihnachten dort zu essen. An den Feiertagen kriegt man bei Stephen und seiner Frau kein Bein an die Erde.

Da es nur fünf Minuten von unserem Haus bis zum Restaurant sind, gehen wir zu Fuß.
Dad und Holly bilden die Spitze unserer kleinen Gruppe, während ich mich zurückfallen lasse.
Jeder hat sich einen dicken Schal um den Hals gewickelt und die Nase darin vergraben. Nur Elliot läuft sogar bei minus dreizehn Grad ohne Mütze herum.
Meine Mutter neckt ihn damit, dass sein Gehirn Frostbeulen bekommen wird, was er nur mit einem Lachen quittiert.

Heute Vormittag sind er und ich mit seiner Drohne losgezogen, um Cripple Creek aus der Vogelperspektive in Szene zu setzen.
Ich war ganz schön erstaunt, als er die Drohne aus seinem Koffer gezogen hat. Sie kostet mehrere tausend Dollar und er hat sie einfach zwischen seine Hosen und Pullover gestopft.

Erst war ich mir nicht sicher, ob ich sein Angebot, mitzukommen, annehmen sollte.
Bis heute habe ich mich nicht zu seinen indirekten Komplimenten geäußert, die er mir auf unserer Veranda vorgetragen hat.
Er hat mich nicht mehr darauf angesprochen und diesen Zwischenfall nie wieder erwähnt. Möglicherweise will er mich nicht in die Ecke drängen oder er bereut, was er gesagt hat.

Wenn ich ihn jetzt so von hinten beobachte, wie er neben meiner Mutter durch den Schnee watet, die Hände tief in die Taschen seiner Jacke gesteckt... Ich weiß nicht, welche Schlüsse ich aus ihm ziehen soll.
Heute haben wir den Elefanten im Raum ignoriert, wie die ganze letzte Woche.

Wir sind einfach durch die verschneite Graslandschaft um Cripple Creek gestreift und haben Aufnahmen mit der Drohne gemacht.
Den Blick ständig im Himmel, ein Auge auf den kleinen tragbaren Bildschirm in Elliots Händen. Wir hatten Spaß.

Ich durfte das kleine Flugobjekt sogar auch mal manövrieren.
Wir haben uns über Farben, Bildproportionen und Perspektiven unterhalten und für ungefähr eine ganze Stunde habe ich vergessen, wo ich bin und was um uns herum passiert.
Diese 'Aussetzer' habe ich in letzter Zeit öfter, wenn ich in Elliots Nähe bin. Er hat diese Gabe, mich in ein Gespräch zu verwickeln, das mich den Kontext der Umgebung vergessen lässt. Mir das Gefühl zu geben, gesehen zu werden, sodass ich mich entspannen und loslassen kann.

Ich trete einen Eisbrocken vom Gehweg und er schlittert zwischen Elliots Füße.
Er gerät ins Straucheln, aber schnell merke ich, dass er nur eine kleine Schauspieleinlage hinlegt, um meine Familie zum Lachen zu bringen.
Als ich in seine Augen blicke, habe ich nur einen Gedanken: Wir haben so viele Gemeinsamkeiten.

In gewissen Momenten wie diesen, erlaube ich mir, Elliot in einem anderen Licht zu sehen.
Dem Licht der Straßenlampen, die einen goldenen Schein auf sein Haupt werfen. Er legt seinen Kopf schief und blickt zu mir herunter.
"Freust du dich schon auf das Essen? Deine Mom hat mir erzählt, dass du schon seit drei Jahren nicht mehr bei den Walters gegessen hast."

Ich verziehe die Lippen zu einem Lächeln und möchte mich gegen ihn lehnen. Dieses Verlangen verspüre ich in letzter Zeit immer öfter. Um so schöner ist es, wenn ich dem nachgeben kann, weil meine Eltern oder meine Schwestern in der Nähe sind und mein Verhalten somit gerechtfertigt ist.
Der Schnee und das Streusalz knirschen bei jedem Schritt, den wir Richtung erleuchtetes Restaurant machen.

"Wenn es nicht so glatt wäre, würde ich einen Sprint hinlegen", grinse ich.
"Also wenn das Essen wirklich so gut ist, muss ich wohl wiederkommen."
So etwas sagt er öfter. Und meistens springe ich darauf an.
"Superball im Garten mit der gesamten Nachbarschaft gucken?", frage ich und remple ihn spielerisch mit der Schulter an.

"Ist das eine Einladung?"
Meine Mutter wird hellhörig. "Einladung wofür? Für den Superball? Selbstredend, Dexter! Wann auch immer du Zeit hast, unsere Tür steht dir offen. Wenn du Harper Zuhause lassen musst, ist das auch nicht schlimm."
Ihr schrilles Lachen zerschneidet die Nacht.

"Ja, Dexter", sage ich mit Nachdruck und schiebe mich unter seinen Arm. "Sieht so aus, als ob du einen Ort gefunden hast, an den du dich flüchten kannst, wenn du eine Pause von mir brauchst."
Mom sieht uns mit großen, glänzenden Augen an und ich kann ihr erleichtertes Seufzen sehen, wie es ihren Oberkörper hebt und dann ganz langsam wieder absenkt.

"Als ob das je passieren würde", murmelt Elliot und drückt mir einen Kuss auf die Wollmütze.
Die Gänsehaut und das Kribbeln in meinem Magen sind neue Nebenwirkungen, die seine körperliche Zuneigung in mir auslösen.
Ich kralle mich in seine gefütterte Jacke und wir taumeln auf den alten Fixpunkt meiner Kindheit zu.

Hier haben wir Geburtstage, Jahrestage, Beerdigungen, Hochzeiten und Taufen gefeiert.
Die Walters sind ein Teil von jeder einheimischen Familie in Cripple Creek. Sie kennen uns alle, haben uns unser Leben lang begleitet, bis wir irgendwann unsere Autos beladen und die Stadt verlassen haben.

Stephen steht wie jeden Abend in der Tür, Speisekarten unter seinen Arm geklemmt.
Er hat sich überhaupt nicht verändert.
Anstatt uns mit seiner lauten Stimme zu begrüßen, legt er stumm den Kopf zur Seite, als er mich sieht. Seine Unterlippe schiebt sich vor und seine Arme breiten sich aus.

"Harper! Unsere kleine Harper, komm her."
Von Stephen geherzt zu werden, ist eine Ehre, die nicht jedem zuteilwird und ich sehe leichte Eifersucht in den Augen meiner Schwestern aufblitzen.
"Und wen haben wir da? Ich dachte, irgendwann heiratest du einen meiner Söhne, aber wie ich sehe..."

Er schiebt mich zur Seite und streckt Elliot die Hand entgegen.
"Dexter, freut mich Sie kennenzulernen, Sir. Ich habe schon fantastische Dinge über ihre Küche gehört."
Nach Schulter klopfen und kurzem Small Talk werden wir an einen Tisch am Fenster geleitet.

In diesem Augenblick wünsche ich mir, Elliot könnte sich mit seinem echten Namen vorstellen.
Er ist nicht Dexter. Dexter ist der verstorbene Hund unserer Granny und der Name von einem Idioten, der jetzt in D.C. in einem Hochhaus sitzt und seine abendlichen Achtsamkeitsübungen macht.
Es gibt keinen Dexter in meinem Leben und es fühlt sich mit jedem Tag falscher an, den Menschen neben mir mit diesem Namen anzureden und vorzustellen.

Wir bestellen. Ich nehme die Pasta, von der ich heimlich träume, wenn ich in Washington einen schlechten Tag habe.
Die Walters überraschen uns mit einer Flasche Rotwein aufs Haus und wir bestellen drei weitere.
Holly wirft uns strafenden Blicke über den Rand ihres Apfelsafts zu, während wir über den Geschmack des Weines philosophieren.

Ich erfahre, dass Elliot schon mehrere Weinverkostungen gemacht hat.
Mit jeder Promille mehr in meinem Blut bin ich beeindruckter von den Worten, die so elegant von seiner piken Zunge rollen und nach meinem dritten Glas hänge ich nicht nur an seinen Lippen, sondern an seinem Arm.

Ich inhaliere seinen Geruch, bis sich der Raum zu drehen beginnt.

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Hi my cuties,
ich hoffe, ihr seid noch nicht weggeflogen bei diesen Sturmböen xD

Bei uns hat sich schon ein Teil der Schleifen verabschiedet, die draußen an einem Busch angebracht sind. Aber keine Sorge, noch konnte ich sie alle einsammeln.
Da ich gerade so "unter Strom" stehe, habe ich gar nicht so richtig mitbekommen, dass wir von diesem Sturmtief so getroffen werden. Naja, manchmal weiß ich ja auch nicht, welcher Wochentag ist, wenn ich morgens aufstehe xD

Ich fiebere schon den Feiertagen entgegen, denn da habe ich mir fest vorgenommen, mal GAR NICHTS zu machen.

Schafft ihr das an Weihnachten? Entspannen?
Oder habt ihr eher volle Hütte und müsst euch um Essen, Familie etc. kümmern?

I see you tomorrow <3

All my Love,
Lisa xoxo

Not like last Christmas ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt