Als Peter langsam wieder zu sich kam, hatte er fürchterliche Kopfschmerzen. Mit klopfendem Herzen ließ er seine Hand zu seinem Kopf wandern. Dabei streifte er mit seinem Arm über weiches Gras.
Peter wunderte sich. Das Gras im Park war nicht so weich und auch nicht so hoch. Eigentlich war es total verdorrt, doch das hier fühlte sich saftig und gesund an.
Peter riss die Augen auf. Sofort wurde er von der Sonne geblendet, weshalb er sie schnell wieder zukniff und die Hand vor Augen führte. Dann blinzelte er.
Er sah Baumkronen, den hellblauen und wolkenlosen Himmel, die Sonne und - ein Gesicht.
Hastig rutschte Peter auf seinen Hintern, ein gutes Stück von dem Gesicht weg.
"Endlich bist du da." Die Gestalt lächelte freundlich. "Du brauchst keine Angst zu haben. Mein Name ist "Weißer Wolf". Komm."
Der Mann streckte Peter eine Hand hin und hörte dabei nicht auf zu lächeln. Zögerlich ergriff Peter die Hand und ließ sich hochziehen. Dann ließ er sie schnell wieder los.
Er starrte den Mann an. Er hatte eine dunkle fast rötliche Haut, kleine Augen und lange schwarze Haare, die bis zu den Kniekehlen reichten. Er war schon älter, was man an seinen Falten und seinen gräulich werdenen Haaren erkannte.
Am meisten wunderte Peter die Kleidung. Seltsame braunfarbene Tücher behängt mit Federn und Perlen und bemalt mit seltsamen Zeichen und Symbolen. Auch die Kopfbedeckung sah nicht anders aus und im Gesicht hatte der Alte eine bunte Bemalung. Peter konnte kaum seinen Blick von dem Mann losreißen, der dazu auch noch fast drei Köpfe größer war als der Junge.
"Träume ich?", fragte Peter und fasste sich an den Kopf. Die Kopfschmerzen wollten nicht nachlassen.
Der Mann, der sich Weißer Wolf nannte, warf den Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus. Peter starrte in weiter an.
"Nein", kicherte der Mann amüsiert, "Nein, du träumst nicht."
"Aha, und wo bin ich dann?", fragte Peter, den das Lachen des Mannes verunsichert hatte.
"Im Nimmerland", antwortete der Mann freundlich und machte eine ausladene Handbewegung.
Peter sah sich um. Ihm klappte die Kinnlade herunter. Vor ihm erstreckte sich eine weite Landschaft voller Wald und Hügel. Rechts von ihm klitzerte das Meer türkisblau und die Wellen klatschten gegen Felsen. Es gab einen kilometerlangen Strand und Peter erkannte, dass er sich auf einer Insel befand, die unzählige Buchten und Kliffen besaß. Es war einfach atemberaubend schön.
Er drehte sich wieder zu Weißer Wolf um.
"Wie bin ich hierher gekommen?", fragte er total verwirrt, "Bin ich überhaupt noch in England?"
Jetzt wurde Weißer Wolf ernst.
"Das ist eine sehr lange Geschichte", sagte er leise, "Aber ich verspreche dir, dass du die Antworten auf deine Fragen schon noch bekommen wirst. Nun folge mir. Unser Stamm soll erfahren, dass du endlich da bist."
Peter hatte zwar keine Ahnung wovon Weißer Wolf da redete, doch er sagte nichts und folgte dem Mann vorsichtig den Hügel herunter.
Weißer Wolf ging sehr schnell, sodass Peter Mühe hatte mit ihm Schritt zu halten, doch er beschwerte sich auch nicht, denn das einzige was er jetzt wollte waren Antworten.
Wie zum Teufel war er hierher gelangt? Was war das für eine seltsame Insel?Eine ganze Viertelstunde lang schlugen Weißer Wolf und Peter sich durch Gestrüpp und hohe Bäume ohne auch nur ein Wort miteinander zu wechseln. Dann, endlich, erreichten sie das eine Ende der Insel. Oben auf der Klippe stand ein Dorf gebaut aus Zelten. Die Zelte hatten dieselben Muster, wie Weißer Wolf auf seiner Kleidung und sie hatten eine komische Form.
Peter konnte sich immernoch nicht vorstellen, dass das alles real sein sollte. Er kniff sich nun schon zum fünften Mal in den Unterarm, was allerdings nichts brachte, außer, dass es wehtat.
"Das wird nichts bringen", sagte Weißer Wolf amüsiert, der ihn beobachtet hatte, "So kommst du hier nicht wieder weg."
"Und wie dann?", fragte Peter verzweifelt und kniff sich noch einmal unbemerkt an der Schulter. Natürlich half es nicht.
"Geduld", antwortete Weißer Wolf zu Peters Ärger. Dann stapfte er weiter auf das Dorf zu. Peter folgte ihm seufzend.Das Dorf war größer als Peter erwartet hatte. Überall sah er Männer, Frauen und Kinder, die genau wie Weißer Wolf eine rötliche Hautfarbe, schwarze, lange Haare und Gewänder mit vielen Mustern an hatten. Die Kinder liefen lachend und kaum bekleidet durch die Gegend, während die Erwachsenen ihre Handarbeiten unterbrachen und Peter anstarrten, als er vorbei ging. Dabei tuschelten sie aufgeregt miteinander, doch sie sprachen eine seltsame Sprache, sodass Peter nichts verstand. Er wurde knallrot im Gesicht, als ein kleines Mädchen plötzlich mit dem Finger auf ihn zeigte und etwas zu einer Frau rief, die vermutlich die Mutter der Kleinen war. Weißer Wolf drehte sich dabei kurz lächelnd um, bevor er Peter zu dem größten Zelt in der Mitte des Dorfes führte.
Vor dem Zelt saß ein Mann, der etwas kleiner als Weißer Wolf zu sein schien und breit lächelte als Weißer Wolf und Peter näher kamen. Dabei war sein Blick fest auf Peter gerichtet.
Peter war es unangenehm so angestarrt zu werden, deshalb sah er schnell an dem Mann vorbei, neben dem ein Mädchen saß.
Peter war seit einer gefühlten Ewigkeit keinem Mädchen mehr begegnet.
Sie war wunderschön, wie Peter auffiel. Ihre Haare sahen weich und geschmeidig aus und sie hatte unglaubliche, tiefbraune Augen. Sie schien bereits ein paar Jahre älter zu sein als Peter. Ihr Mund kräuselte sich zu einem süßen Lächeln, als er sie ansah.
Peter schluckte und entschied sich dann doch lieber dazu den Mann neben ihr anzustarren. Dennoch erwischte er sich immer wieder dabei, wie er zu ihr hin schielte.
"Willkommen, mein Junge", sagte der Mann und machte eine Geste, die Peter dazu auffordern sollte, sich zu setzten. Zögernd ließ Peter sich vor dem Mann ins Gras sinken. Weißer Wolf nahm rechts neben dem Mann Platz.
"Mein Name ist Großer Hirsch, ich bin der Häuptling des Dorfes. Aber du kannst mich auch einfach Deer nennen, das tun die meisten hier." Er zwinkerte Peter freundlich zu.
Was Peter am meisten wunderte an dem allen hier, war, dass Weißer Wolf, sowohl auch Deer, fließend Englisch sprechen konnten - obwohl sie doch Wilde waren...
"Du hast bestimmt viele Fragen", fuhr Deer fort, "Ich werde sie dir auch so gut es geht beantworten und Wolf wird mir helfen, aber zuerst einmal, wie ist dein Name, Junge?"
Peter sah sich reflexartig nach allen Seiten um, doch die anderen Bewohner des Dorfes hatten sich wieder ihrer Arbeit zugewandt. Das beruhigte ihn allerdings kein bisschen...
"Peter", antwortete er leise, sodass nur Deer, Weißer Wolf und das Mädchen es hörten.
"Peter...", wiederholte Deer langsam, "Ein schöner Name. Aber wenn du erstmal länger hier bist, brauchst du einen besseren Namen, einen Namen, der einzigartig ist. Dir wird schon was einfallen." Deer lachte schallend.
Peter war zwar immernoch ziemlich verwirrt, aber so langsam schienen diese Leute ihm sympathisch zu werden.
"Wie bin ich hierher gekommen?", fragte Peter, "Und wo genau bin ich eigentlich?"
Deer seufzte tief und wechselte einen Blick mit Weißer Wolf.
"Das ... ist eine lange Geschichte", sagte er ernst. Peter sah ihn abwartend an. Deer holte tief Luft.
"Vor vielen Millionen Monden entstand ein Planet, der nicht einfach nur aus Materie bestand, sondern aus einer Energie, so kostbar, wie es sich kein Mensch vorstellen konnte. Wir kennen keinen anderen Namen außer "Magie" dafür. Du musst dir es so vorstellen, der gesamte Planet ist voll mit dieser Magie und leuchtet deshalb so hell wie ein Stern. Ihr könnt ihn von der Erde aus sehen. Der erste Stern rechts und dann immer der Nase nach." Deer lächelte leicht.
"Wollen Sie damit sagen, dass wir uns nicht mal mehr auf der Erde befinden?!", rief Peter geschockt aus.
"So ist es, Peter. Wir befinden uns auf dem magischen Planeten. Wir nennen ihn Nimmerland."
"Warum?" Peter hätte tausend andere Fragen stellen können, er wusste selbst nicht, warum er sich gerade für diese entschieden hatte.
"Weil man hier nie altert.", antwortete Deer, "Das hat was mit der Magie zu tun. Alle die hier leben bleiben so wie sie sind. Ich bin meherere tausend Jahre alt, Peter. Als wir geboren wurden schickte man uns eine zeitlang auf die Erde, damit wir das Leben dort erfuhren und erwachsen wurden. Durch unsere magischen Fähigkeiten blieben wir unentdeckt und konnten uns vor Gefahren schützen. Wir konnten es spüren, wenn die Zeit reif war nach Nimmerland zurück zukehren.
Meine jüngste Tochter "Bunter Schmetterling" lebt seit acht Jahren auf der Erde und kommt erst zurück, wenn das Nimmerland es vorsieht. Das kann in einem Jahr sein, vielleicht auch in zwanzig, man weiß es nie. Auch du, Peter, bist hierher gekommen, weil das Nimmerland es so vorgesehen hat."
Für Peter hörte sich das alles ziemlich unrealistisch an, doch er nahm sich vor, erst seine Fragen zu klären und dann darüber nachzudenken.
"Warum ich?", fragte er verwirrt, "Ich bin nicht von hier. Ich wurde auf der Erde geboren!"
Deer seufzte wieder.
"Das ist die große Frage, Peter. Es gibt einen bestimmten Grund, warum du hier gelandet bist und du wirst ihn irgendwann erfahren. Aber jetzt will ich mit den Erklärungen fortfahren. Alles, was du hier auf diesem Planeten findest, findest du nirgendwo sonst. Unser Dorf ist ein Stamm der Wahrsager und Magier. Jeder von uns kann sich in ein bestimmtes Tier verwandeln. Vielleicht verstehst du jetzt, warum ich Großer Hirsch heiße und woher Weißer Wolf seinen Namen hat?"
"Ihr könnt euch in einen Hirsch verwandeln?", fragte Peter mit großen Augen, "Das ist ja cool!"
"Bei Gelegenheit zeige ich es dir einmal", sagte Deer augenzwinkernd. "Also, wo war ich stehen geblieben? Ach ja: Du findest hier allerlei Arten von Fabelwesen. Einhörner, riesige Krokodile, Meerjungfrauen und natürlich Feen..." Deer unterbrach sich kurz, als er Peters verblüfftes Gesicht bemerkte. Er lächelte ihn breit an bevor er weiter erzählte.
"Das Spannende an all diesen Wesen ist - sie wurden alle aus der Fantasie menschlicher Kinder geschaffen. Alles, was sie in ihren Träumen erschaffen, wird hier neu geboren und vermehrt sich. Die Fantasie gelangt durch eine Art magischen und unsichtbaren Tunnel, den das Nimmerland mit der Erde verbindet, hierher und kann sich hier entfalten. Unseren Forschungen zufolge könnte sogar ein Mensch durch diesen Tunnel in sekundenschnelle Nimmerland erreichen und zwar indem man auf Nimmerland, das man bei euch nur als Stern erkennt, zufliegt. Hat man einen gewissen Abstand zur Erde erreicht, wird man durch den Tunnel nach Nimmerland gezogen. Es ist wie eine Art Portal. Aber da die Menschen nicht fliegen können, wird das bestimmt nicht geschehen, was auch gut so ist." Deer grinste Peter an.
"Was ist mit Vögeln?", hakte Peter nach.
"Schlauer Junge", lobte Deer ihn amüsiert, "Es passiert nur ganz selten, dass sich ein Vogel hierher verirrt, denn dafür fliegen sie viel zu viel im Zickzack und nicht genau auf den Stern zu. Außerdem müssten sie schon ganz schön hoch fliegen, um durch das Portal gesogen zu werden und ich habe noch nie von Vögeln gehört, die steil nach oben in den Himmel fliegen. Ich meine, hast du schon mal Würmer im Weltall gesehen?" Deer hielt sich nun den Bauch vor Lachen. Wolf lachte mit und selbst Peter musste leicht lächeln. Nur das Mädchen saß ungerührt da und starrte Peter an. Als Peter bemerkte, dass er beobachtet wurde, hörte er nervös auf zu lächeln und starrte zu Boden.
Warum starrt sie denn immernoch so?
Peter überlegte, ob er sie ansprechen sollte. Er hob den Kopf und sah genau in diese wunderschönen braunen Augen. Er nahm seinen Mut zusammen.
"Wie heißt du?", fragte er sie.
"Das ist meine Tochter Tigerlily", antwortete Deer für das Mädchen, "Ihr werdet später Gelegenheit haben euch richtig kennenzulernen. Jetzt musst du erstmal was essen, Peter. Du bist ja total abgemagert."
Deer stand auf und Wolf folgte ihm. Peter erhob sich ebenfalls und folgte Deer und Wolf in das große Zelt. Bevor er hinter der Plane verschwand drehte er sich noch einmal zu Tigerlily um. Sie lächelte ihn strahlend an und sah dabei bezaubernd aus.
Peter schoss das Blut in den Kopf. Eilig betrat er das Zelt.
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Peter Pan - Wie alles begann 🏁
RandomDer Waisenjunge Peter führt gemeinsam mit seinen Freunden Tootles, Nibs, Curly, Slightly und Twins ein aufregendes Leben als Taschendiebe. Bis er sich plötzlich im seltsamen Nimmerland wiederfindet. Doch warum ist er überhaupt dort gelandet und was...