Ein missglückter Versuch

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Curly und die anderen Jungen standen am Hafen und beobachteten die Segelschiffe. Gerade war eines mit dem Namen Meerjungfrau in den Hafen eingelaufen und die Matrosen trugen ihre Frachten vom Deck.
"Was meint ihr, was da alles so drin ist", überlegte Slightly laut und betrachtete die schwer aussehenden Kisten und Fässer. Curly hatte gerade genau das selbe gedacht.
"Wahrscheinlich Handelswaren", vermutete er, "Oder Essen. Oder Gold."
Ein Raunen ging durch die Reihen der Jungen.
"Das war bloß eine Vermutung!", sagte Curly schnell, "Ich meine, das Schiff sieht jetzt nicht sooo besonders aus, als dass es Gold transportiert haben könnte. Wahrscheinlich ein einfaches Handelsschiff."
Keiner der Jungen sagte etwas dazu. Alle musterten immernoch neugierig die Besatzung und die Fracht.
"Hätten wir Peter nicht vielleicht sagen sollen, wo wir hingehen?", fragte plötzlich einer der Zwillinge, die von den Jungen auch einfach Twins genannt wurden.
"Ja", erwiderte der andere Zwilling, "Nicht, dass er uns jetzt sucht."
"Peter kommt schon zurecht", winkte Curly ab, der manchmal ganz froh war, wenn Peter nicht dabei war, denn dann konnte er einmal der Anführer sein.
"Der kennt sich doch aus. Und Tootles ist ja auch noch da."
"Was wollen wir hier eigentlich, Curly?", fragte Nibs ungeduldig, "Das ist doch bloß ein dreckiger Hafen."
Nibs hatte recht, es war tatsächlich ein äußerst schmutziger Hafen und die Schiffe, die hier ab- und anlegten, gehörten auch nicht zu den besten - doch Curly reichte es aus. Er wollte endlich mal einen Beutezug ohne Peter vollführen und somit beweisen, dass er genauso gut wie er sein konnte. Einen richtigen Plan hatte er allerdings noch nicht.
"Wir machen eine kleine Plünderung", antwortete Curly lässig und grinste Nibs an, "Das wird bestimmt lustig. Vielleicht findet sich ja was Nettes bei der Schiffsfracht an."
"Aber wir haben doch erst vorhin das Obst gestohlen.", maulte Slightly, "Und außerdem sieht mir das da nicht nach Essen aus."
Das war typisch Slightly, ihn interessierte eigentlich immer nur Essen.
"Wie ihr wollt, dann mach ich das eben selber", erwiderte Curly trotzig, "Oder ist vielleicht doch noch jemand dabei?"
Die Zwillinge sahen sich unschlüssig an und schüttelten dann gleichzeitig die Köpfe. Curly sah Nibs abwartend an, der mit sich selbst ringend herum stand.
"Na gut", seufzte er schließlich, "Aber nur was Kleines!"
Curly lächelte erleichtert. Zum Glück nicht alleine! Er wollte es zwar nicht zugeben, aber er hatte immer schreckliche Angst davor etwas alleine zu machen, im Gegensatz zu Peter, der das Risiko liebte und alles alleine durchziehen würde, wenn es sein musste. Darum beneidete Curly ihn.
Curly und Nibs schoben sich vor die anderen Jungen, um besser sehen zu können.
"Siehst du dadrüben die Fracht des Schiffes?", flüsterte Curly und deutete auf die Kisten und Fässer, die am Hafen von mehreren Männern aufgestapelt wurden. "Da steht eine kleinere Kiste. Die greif ich mir, während du die Matrosen ablenkst. Alles klar?"
Nibs nickte widerwillig, er übernahm nie gerne die Ablenkung.
"Gut. Lass dir irgendwas einfallen und bring es glaubwürdig rüber!", drängte Curly und sah Nibs abwartend an. "Können wir?"
Nibs nickte nervös, holte tief Luft und ging dann mit langen Schritten auf die Männer zu. Die Jungen hielten den Atem an.
Nibs erreichte die Matrosen.
"Sir, haben Sie das da eben auch gesehen?", sprach er mit gespielter Aufregung einen der Männer an, der gerade eine weitere Kiste abgestellt hatte und wieder zum Schiff ging, um die nächste Kiste abzuladen. "Ich glaube da war etwas auf Ihrem Schiff!"
"Was soll da schon gewesen sein, Junge", schnauzte der Mann Nibs unwirsch an, "Verschwinde, du störst bei der Arbeit!"
Der Mann wandte sich genervt ab, doch Nibs ließ nicht locker.
"Aber ich hab etwas gesehen!", rief er aus, "Bitte, ich habe Angst, dass es etwas ganz Schreckliches sein könnte, das Sie in Gefahr bringt! Sie sind doch bestimmt sooo mutig und können es mit allem aufnehmen, also bitte gucken Sie nach!"
Nibs hörte sich absolut überzeugend an und zur Überraschung aller Jungen fing er jetzt auch noch an zu weinen!
Der Mann stand verlegen neben Nibs und sah sich hektisch um. Die anderen Matrosen hatten ihre Arbeit unterbrochen und musterten amüsiert die beiden. Curly sah seine Chance. Langsam schlich er sich in Richtung der Kisten.
"Hör auf zu heulen", sagte der Mann unbeholfen zu Nibs, "Ich gucke ja nach, aber bitte hör auf zu heulen!" Er war feuerrot im Gesicht. Zwei Männer in der Nähe lachten sich dumm und dämlich beim Anblick des verweinten Jungen, der sich mit den Fingern in den Mantel des großen Matrosen krallte und heftig hinein schluchzte. Der Mann befreite sich grob vom Griff des Jungen und ging eilig an Deck der Meerjungfrau. Dort durchsuchte er das gesamte Schiff nach irgendetwas Ungewöhnlichem, aber natürlich fand er nichts. Dann drehte er sich zu Nibs, der immer noch an der selben Stelle stand und mittlerweile aufgehört hatte zu weinen.
"Hier ist nichts, Junge", sagte der Mann mit einem gequälten Lächeln, "Absolut gar -"
Er brach ab. Seine Augen weiteten sich. Curly hatte gerade nach der kleinen Kiste gegriffen, als er bemerkte, dass er entdeckt worden war. Zwei Sekunden lang starrten er und der Matrose sich über Nibs hinweg an, dann stürmte der Matrose brüllend vom Deck und auf Curly zu. Ein paar andere taten es ihm gleich, als sie ebenfalls Curly mit der Kiste entdeckten.
Curly rannte um sein Leben. Der Matrose war dicht hinter ihm und schrie sich die Kehle heiser.
Slightly und Twins waren ebenfalls erschrocken losgelaufen und Nibs rannte hinter den aufgebrachten Matrosen.
Fieberhaft überlegte Curly was er tun sollte. Er bereute seinen Ehrgeiz, denn jetzt konnte er Peter und seine genialen Einfälle echt gut gebrauchen.
Aber Peter war nicht da. Curly war auf sich allein gestellt und er hatte es verbockt. Er hätte vorsichtiger sein sollen.
Der Matrose holte auf. In seiner Verzweiflung ließ Curly die Kiste einfach fallen und rannte weiter. Als er nach hinten sah, erkannte er, dass die Matrosen verdutzt vor der Kiste stehen geblieben waren und Curly hinterher sahen.
"Wehe, du versuchst das nochmal!", schrie einer von ihnen ihm nach, dann hoben sie die Kiste hoch und gingen zurück in Richtung der Meerjungfrau.
Curly hielt schnaufend hinter einer Hausecke an und hielt sich die Seiten. Nibs kam hinter ihm zum Stehen, die anderen kamen auf ihn zu. Sie alle sahen ihn komisch an.
"Mit Peter wäre das nicht passiert.", sagte Slightly trotzig und verschränkte die dicken Arme vor der Brust.
Der perfekte Peter, natürlich. Curly machte das rasend, aber er sagte nichts außer ein gepresstes "Tut mir leid".

Während sie den Hafen verließen, redeten sie über Nibs' geniale Schauspieleinlage. Nibs war total stolz endlich mal der Mittelpunkt ihrer Plünderei gewesen zu sein, auch wenn es nichts gebracht hatte.
Curly überließen sie seinem Missmut und seinem schlechten Gewissen.
So in dem Gespräch und in eigenen Gedanken verwickelt, bemerkten sie nicht, dass die Matrosen in weiter Ferne am Horizont ein Schiff gesichtet hatten, dass sich ungewöhnlich schnell London näherte...

Peter Pan - Wie alles begann 🏁Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt