Ejahl ließ sich von starken Armen anheben. Er hätte seinen Körper ohnehin nicht dazu bringen können, sich zur Wehr zu setzen. Die Hitze der Flammen brannte auf seinen Wangen und nicht einmal die Kälte von Kematians Haut kam gegen sie an.
Ein Knirschen erklang, dann umfing ihn Dunkelheit und moderige Kühle. Kematian stellte ihn ab, aber seine Knie zitterten unaufhörlich, sodass der Rabe ihm half, sich zu setzen, ehe er sich zu ihm kniete. Er zog ein langes schmales Blatt aus einer Tasche, rollte es zusammen und steckte es in Ejahls Mund. »Kau das«, befahl er.
Der Dieb stieß ein halb belustigtes, halb erschöpftes Schnauben aus, kam aber der Anordnung nach. Bitterkeit breitete sich in seinem Mund aus und ein pelziger Belag umfing seine Zunge. Nur wenige Augenblicke später begannen seine Glieder, taub zu werden und der Schmerz in seiner Hand ließ nach. Er hustete. Der Rauch des Feuers lag weiterhin in seinen Lungen.
Kematian nahm Ejahls Hand und betrachtete sie stumm. Ein finsterer Schleier der Gier wirbelte durch das Grau seiner Iriden, aber er ignorierte den aufkommenden Hunger, der ihn stets begleitete, sobald er Blut roch.
»Du bist wahnsinnig«, knurrte er.
Ejahl röchelte ein schwaches Lachen. »Deshalb liebst du mich doch.«
Darauf antwortete Kematian nicht. Er holte einen Verband hervor und umwickelte Ejahls Hand notdürftig. Für den Augenblick musste es reichen, aber später würde er sich die Wunde genauer anschauen. Wenn sie nur erst dem flammenden Nest entkommen waren.
Kematian lebte schon lang genug unter den Raben, dass er jeden Geheimgang kannte und ein leises Plätschern in der Ferne verriet den Weg, den sie nehmen mussten.
Er hob Ejahl erneut an und warf ihn über seine Schulter. Das schmerzerfüllte Stöhnen des Meisterdiebes ignorierte er, und die folgenden gemurmelten Worte: »Sei doch vorsichtig«, ließ er unkommentiert.
Den Korridor, in dem sie kurz gerastet hatten, hatte Kematian mit einer schweren Tür abgeriegelt, aber der Rauch kroch durch die Ritzen und führte die Hitze aus dem Hauptraum mit sich. Er selbst könnte einige Zeit ohne Sauerstoff überleben, schließlich war er nicht lebendig und das Atmen nur ein Reflex, den er jederzeit einstellen könnte. Für den Dieb hingegen würde es den Tod bedeuten.
Kematian schritt den dunklen Korridor entlang, dem Plätschern hinterher, bis er fand, was er gesucht hatte. Ein kleiner See war im Inneren der Zuflucht eingeschlossen. Das Wasser war hineingelangt und daher gab es eine Möglichkeit, das Nest auf demselben Weg zu verlassen.
Ejahl hob seinen Kopf von Kematians Schulter und folgte dessen Blick zu dem schwarzen Teich. »Wie weit ist es?« Heiserkeit belegte seine Stimme.
Der Rabe antwortete nur mit einem Knurren und stieg in den See. Auf seiner Haut schien die eisige Kälte nur eine milde Kühle zu sein, aber Ejahl stockte der Atem, als das Wasser ihn umfing. Ihm gelang es kaum, rechtzeitig Luft zu holen, ehe Kematian ihn in die Tiefe zog.
Schwärze umfing ihn, nahm ihn in ihren Armen auf, als wäre er ein alter Freund und sie seine treuste Vertraute. Das war sie einst, erinnerte sich Ejahl, doch lang schon hatte er sich von ihr losgerissen.
Kälte fraß sich in seine Haut, stach wie kleine Nadeln in sein Gesicht. Ein Zeichen, dass er noch bei Bewusstsein war und lebte. Druck legte sich auf seine Lungen, aber er durfte nicht erneut Luft holen. Er zwang sich, ruhig zu bleiben und sich mitziehen zu lassen.
Kematians Finger hatten sich eisern um sein Handgelenk geschlossen und gaben Ejahl Sicherheit. Der Rabe würde ihn durch die Finsternis führen und seinen Griff nicht lockern. Darauf vertraute er. Er selbst konnte sich in der Dunkelheit und Schwerelosigkeit kaum orientieren.
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The Tale of Greed and Virtue
FantasyWie viele Frevel verlangt eine Heldentat? Ejahl, der Meisterdieb, wird eines Abends von einem alten Freund mit einem merkwürdigen Anliegen überrascht. Als außerdem noch seine Ziehtochter verschwindet, gerät er an vorderste Front des Krieges zwischen...