Der Erzähler richtete seinen goldenen Blick und für einen Moment sein besonders falsches Lächeln gegen sie, ehe er einen Teil des Hohns, der seine Miene stets begleitete, fallen ließ. »Ich sagte es bereits gestern, aber ich kann dir nicht verübeln, dass du mit den Gedanken nicht bei mir warst. Nachdem ihre Wunden verheilt sind und ich der Meinung war, sie würde auch ohne meine Hilfe überleben, entließ ich sie zurück nach Cyrill. Doch ... mir scheint, es gab einige Schwierigkeiten.«
Vs Herz setzte für einen Schlag aus.
»Keine Sorge, meine Liebe, Jeanne ist wohlauf«, sagte der Erzähler. »Das kann ich jedoch nicht von den anderen Dieben behaupten. Gestern ist Eure Zuflucht abgebrannt, kurz nachdem Ihr aus dem Rabennest gelangt seid.«
V blickte zu Ejahl. Er schien ungerührt über die Nachricht zu sein.
»Jeanne hat vermutlich diejenigen gerettet, die sie retten konnte, und hat sie dann in ein neues Versteck geführt«, sagte der Meisterdieb. »Damit bleibt nur die Frage, wer aus dem Gefecht als Sieger hervorgegangen ist. Wir, die wir das Nest zerstört haben, oder die Raben, die Selbiges mit unserer Zuflucht taten?«
Sein Blick ruhte auf ihr, als würde er eine Antwort erwarten, die sie ihm nicht geben konnte.
»Wir sollten es herausfinden, meinst du nicht?«, schlug Ejahl vor.
Ehe V antworten konnte, unterbrach der Erzähler ihre Unterhaltung. »Nein. Ihr mögt Euch fühlen, als könntet Ihr Euch in tausende von Gefahren stürzen, aber glaubt mir, das liegt nur daran, dass die Schmerzmittel noch nicht ganz abgeklungen sind. Gebt Euch ein paar Tage Ruhe.«
»Tage?« Ejahls Stimme trug sowohl Erschütterung als auch Beleidigung mit sich.
Der Erzähler hob die Schultern. »Ihr hättet Euch nicht dazu entscheiden müssen, in ein Rabennest zu spazieren und Euch von ihnen erstechen zu lassen.«
»So richtig aktiv war die Entscheidung nicht«, hielt Ejahl dagegen.
»Aber es hat Euch Spaß gemacht.«
»... ein bisschen.« Ejahl hob die Hände. »Gut, ich gebe mich geschlagen.«
Lloyd hatte die Unterhaltung stumm mitverfolgt und drehte den Kopf nun in die Richtung des Erzählers. »Murasaki?«
»Hm?« Der Erzähler wandte sich zu ihm.
Ohne Worte sagte der König ihm etwas, das V nicht verstand. Ejahl hingegen schien zu wissen, was zwischen ihnen vor sich ging. Sein Lächeln wurde eine Spur breiter, eine Spur zu breit, um noch als freundlich zu gelten.
Murasaki nickte und erhob sich. »Wie Ihr wünscht.« Da er weiterhin Lloyds Hand hielt, zog er ihn mit sich auf die Füße und reichte ihm dann seinen Arm. »Und Ihr, meine Werten«, sagte er an Ejahl und V gewandt, »fühlt Euch wie zuhause, nur lasst die Finger von meinen Büchern und bleibt meinem Zimmer fern.«
Er nickte ihnen zu, ehe er aus der Mitte des Raumes verschwand und mit ihm der König.
V starrte noch einige Sekunden auf das Fleckchen, wo beide gerade noch gestanden hatten, dann wurde sie davon abgelenkt, dass sich Ejahl erhob.
»Dann lass uns mal nachschauen«, sagte er und setzte dazu an, sich zu strecken, aber er zuckte zusammen und hielt sich den Oberkörper. »Schlechte Idee, verdammt«, zischte er und hustete.
V wartete, bis er sich wieder gefangen hatte und fragte: »Was wollt Ihr nachschauen?«
»Weshalb wir die Bücher und das Zimmer in Ruhe lassen sollen. Ist das nicht eindeutig?«
»Nein.« Für sie war es nicht eindeutig, warum er genau das tun wollte, was ihm doch vor kaum einer Minute verboten worden war.
Ejahl seufzte leise. »Du hast noch so viel zu lernen.« Er deutete ihr an, ihm zu folgen. »Erst das Zimmer. Zimmer sind immer interessanter.«
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The Tale of Greed and Virtue
FantasiWie viele Frevel verlangt eine Heldentat? Ejahl, der Meisterdieb, wird eines Abends von einem alten Freund mit einem merkwürdigen Anliegen überrascht. Als außerdem noch seine Ziehtochter verschwindet, gerät er an vorderste Front des Krieges zwischen...