Die Ehre des Feindes II

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»Nun, da wir alle so schön hier versammelt sind«, ergriff Reia das Wort und musterte jeden einzelnen Anwesenden durch ihren Schleier hindurch, »willst du, Ejahl uns nicht endlich in Kenntnis setzen, weshalb du uns eingeladen hast?«

»Und ich dachte, du hättest es dir mittlerweile selbst zusammengereimt«, entgegnete Ejahl. Der Rauch kratzte weiterhin in seinem Hals, doch Fastalds Blick hatte ihm deutlich gemacht, dass er keinen Aufschub dulden würde, und daher hatte er jeden seiner Leute um sich versammelt. »Aber, meine Freunde, zu gern unterrichte ich Euch von meinen Plänen.«

»Davon hattet Ihr schon immer viele«, sagte Ann. Sie hatte es sich mit Aithon auf dem Sofa bequem gemacht, den Kopf auf seinen Oberschenkel gelegt und eine Hand erhoben, um seinen Bart zu zwirbeln. »Und nie gehen sie auf.«

Ejahl räusperte sich, ehe sie seinen Stolz noch tiefer verletzen konnte. »Der Grund für unser Zusammentreffen sind die Raben.«

Fastald schnaubte. Er hatte sich in eine der hintersten Ecken zurückgezogen und betrachtete die Tändelei zwischen Ann und Aithon und auch Liraw und Eugene nur abschätzig, denn Liraw hatte einen Arm um Eugene und sein Kinn auf dessen Schulter gelegt.

»Es ist an der Zeit, dass wir ihnen endlich das Handwerk legen«, sagte Ejahl, ohne Fastald zu beachten. »Diese Streitigkeiten halten nun schon eine halbe Ewigkeit an und vor ein paar Wochen sind sie zu weit gegangen.« Er hob seine rechte Hand, an der Zeige- und Mittelfinger fehlten. »Sie haben einen Verräter in unsere Reihen geschleust – um den ich mich mittlerweile gekümmert habe. Sie haben versucht, mich umzubringen, hatten einen meiner Schützlinge, ein Kind, gefangen genommen und zu viele Diebe getötet. Es wird Zeit, dieses Kapitel abzuschließen.«

»Ihr scheint eine Sache vergessen zu haben«, sagte Ann. »Wir sind Diebe und keine Mörder.«

Ejahl seufzte leise. Er hatte schon geahnt, dass jemand in seinen Reihen dieses Argument vorbringen würde. »Sollten wir uns in diesen Zeiten wirklich Gedanken um Anstand und Moral machen? Wir verlassen alle nur bewaffnet unsere vier Wände und wir haben allesamt schon jemanden getötet – sei es nun aus Selbstverteidigung, sei es, weil uns jemand das Unsere nehmen wollte. Der Tod ist uns nicht fremd. Aber ich werde niemanden zwingen, zu töten, ebenso wie ich niemanden zwinge, sich mir anzuschließen. Es steht Euch frei, zu gehen, wenn ihr mich nicht unterstützen wollt.«

Stille herrschte für einen Moment in dem Raum, bis Fastald das Wort ergriff: »Sollten wir nicht ansprechen, was Ihr so offensichtlich totschweigen wollt?«

Ejahl hielt ein Augenrollen zurück.

»Ihr habt Raben in Eure Mitte gelassen. Welche Gründe gibt es dafür?«

Das Raunen, das im Raum aufkam, verebbte, als Ejahl eine Hand hob. »Es sind nicht irgendwelche Raben.«

Fastald hob eine Augenbraue.

»Ihr habt ... was?«, ergriff nun auch Liraw das Wort und ließ den Arm, den er um Eugene gelegt hatte, sinken.

»Drei«, sagte Ejahl. »Oder eher zweieinhalb. Und Ihr hattet die ganze Zeit einen umschlungen, also tut nicht so schockiert.«

Liraw sah zu Eugene und wich einen Schritt zurück.

Auf Eugenes Lippen legte sich ein entschuldigendes Lächeln und er fuhr sich durch die blonden Haare. »Lange Geschichte.«

Liraw trat noch einen Schritt zurück.

»Ach, bitte«, meinte Ejahl. »Er ist harmloser, als ich es bin.«

»Vielleicht täuscht er Euch«, hielt Fastald dagegen, den Blick fokussiert auf Eugene gerichtet.

»Ihr spracht von drei Raben«, sagte Aithon. »Wer sind die anderen?«

The Tale of Greed and VirtueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt