V kniff die Augen zusammen, um besser erkennen zu können, wer den Raben, der mit Miald angesprochen wurde, unterbrochen hatte.
Eine junge Frau mit roten Locken hatte den Raum betreten. Ihre Miene eine Maske aus Bitterkeit, ihre Lippen fest zusammengepresst. Ihre stechend grünen Augen erdolchten den Raben und auch V spürte einen Stich in ihrem Herzen, als der Blick zu ihr schweifte.
Mialds Lächeln wurde noch breiter. »Ich hätte nicht gedacht, dass du dich uns anschließen möchtest, nachdem du dich so lange gegen mich gewehrt hast, Sorah.« Er ignorierte ihren offenen Unmut, trat an sie heran und hob eine Hand, um sie an ihre Wange zu legen.
Sorah wich nicht zurück. »Fick dich«, spuckte sie ihm entgegen und griff nach seinem Arm. Sie wirbelte ihn mit einer Stärke herum, die V so einer zierlichen jungen Frau nicht zugetraut hatte, und ließ seinen Kopf gegen die Wand donnern.
Ein hässliches Knacken hallte in dem Raum wider, dann ein spitzer Schmerzensschrei, der noch nachhallte, selbst als der Ton schon lange abgebrochen war, ehe Miald sich befreien konnte. Er stützte seinen Arm, aber die Hand hing schlaff herab.
Entgeistert blickte er Sorah an, aber sie zog nur unbeteiligt einen Dolch.
»Das würdest du nicht tun«, sagte er und wich zurück.
»Ist nicht so, als würde ich besonders an dir hängen«, erwiderte Sorah. Ihre Stimme klang rau, aber ein melodischer Ton lag unter ihr, wie eine Erinnerung an eine bessere Zeit, die in Dunkelheit ertrank. »Ich schlage also vor, dass du deine Waffe ziehst und kämpfst. Dann kannst du dir zumindest im Sterben ein wenig Würde zurückholen.«
»Du hast mir die Hand gebrochen«, sagte er. »Wie soll ich –?«
»Zu spät«, unterbrach sie ihn. Das Licht der Kerzen reflektierte sich in der Schneide ihres Dolches, als sie einen Satz auf ihn zu machte.
Ihm gelang es erst, in letzter Sekunde auszuweichen, doch der nächste Hieb traf ihn. Tief vergrub Sorah die Klinge in seiner Bauchgegend.
Erst jetzt griff die Realisation endgültig nach ihm. Er starb. Seine Knie gaben nach und er kippte auf Sorah zu, stach ihren Dolch weiter in seinen Körper.
»Verräterin«, flüsterte er mit dem letzten Atem, der ihm blieb, ehe er einen Schwall Blut erbrach und damit Sorahs Schulter tränkte.
Sie schnaubte nur angewidert. In einer geschickten Bewegung schob sie ihn von sich und durchtrennte seine Kehle, als hätte sie es schon tausende Male gemacht.
Mit einem Gurgeln fiel Miald zu Boden. Sorah wischte ihre Klinge an seiner Kleidung ab und steckte sie zurück, ehe sie sich an V wandte.
V sank sofort ein Stück in sich zusammen und zog den Kopf ein.
»So ein Mistkerl«, hörte sie Sorah murren, als die junge Frau sich zu ihr kniete. »Hundesohn.« Sie holte einen Dietrich hervor und stocherte in dem Schloss der Fesseln herum.
»Ihr ... ihr helft mir?«, stotterte V. Noch immer trommelte ihr das Herz in der Brust.
»Wie sieht es denn aus?«, gab Sorah zurück.
Die Härte in ihrer Stimme ließ V zusammenzucken. »Ich ...«, setzte sie zwar an, aber sie biss ihre Zähne aufeinander und blieb stumm. Sie verstand nicht, weswegen die junge Frau sie befreite. Offensichtlich gehörte sie zu den Raben, ansonsten hätte sie diesen Miald doch nicht gekannt.
Sie warf einen Blick auf die andere Seite des Raumes, wo der leblose Körper lag. Galle stieg in Vs Kehle auf und sie wandte sich ab.
Sorah stieß ein abschätziges Schnauben aus. Eine Fessel klickte und rasselte zu Boden. Vs Arm fiel in ihren Schoß. Erst jetzt bemerkte sie die Schmerzen in ihren Schultern und ihrem Kopf und etwas Flüssiges, das an ihrer Schläfe hinabrann. Sie tastete danach und sah auf ihre Fingerspitzen. Rot schimmerten sie im Kerzenschein.
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The Tale of Greed and Virtue
FantasíaWie viele Frevel verlangt eine Heldentat? Ejahl, der Meisterdieb, wird eines Abends von einem alten Freund mit einem merkwürdigen Anliegen überrascht. Als außerdem noch seine Ziehtochter verschwindet, gerät er an vorderste Front des Krieges zwischen...