Prolog

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2008

„Der Matze kriegt bald auch eine Glatze."

Das Kichern und Glucksen von meinen Mitschülern führt dazu, dass ich mich ganz klein mache. Die Papierkugeln, die sie auf mich schmeißen, bekomme ich trotzdem ab. Am liebsten würde ich aufstehen und davon laufen. Aber sicher würde ich dann eine Abmahnung bekommen. Und es würde wohl eher nur zum Gegenteil führen...

Frida, die neben mir sitzt, greift nach meiner Hand.

Erschrocken ziehe ich sie schnell zurück. Nicht, dass die anderen das mitbekommen und dann noch mehr Sprüche klopfen.

Oh wie gerne würde ich jetzt im Erdboden versinken...

Herr Lauer steht an der Tafel und wie üblich bekommt er von all dem nichts mit. Wahrscheinlich will er es auch einfach nicht hören. Er würde es doch sowieso nicht verstehen. Und wenn er sich einmischt, dann wird doch bestimmt alles noch schlimmer.

„Matze kriegt 'ne Glatze. Glaaaatze-Maaaaatze...Holt schnell seine Mami, sonst heult er wieder."

Natürlich ist es Ben, der wieder damit anfängt. Der Älteste in unserer Klasse, weil er dieses Jahr wiederholen muss. Aber ich bezweifele, dass er es schafft. Seine Noten sind ziemlich schlecht und das zweite Halbjahr schon beinahe beendet. Nur noch etwas mehr als eine Woche muss ich durchstehen. Dann sind Sommerferien.

Ich kann noch immer nicht wirklich verstehen, warum die anderen plötzlich so gemein zu mir sind. All die Jahre waren wir ziemlich gut miteinander...

Es ist nichts witziges daran, dass meine Mama mich vor drei Wochen in der Schule abgeholt hat, weil ich mitten im Unterricht einen Weinkrampf bekommen habe.

Es ist auch nichts witziges daran, dass meine Mama dabei eine Mütze aufhatte. Und das obwohl es dafür eigentlich viel zu warm ist.

Dieses Jahr fahren meine Eltern, meine große Schwester, mein kleiner Bruder und ich nicht in den Urlaub. Dieses Jahr bleiben wir zuhause, weil es Mama nicht gut geht.

Es ist nichts witziges daran, dass meine Mama Krebs hat.

Es ist nichts witziges daran, dass meine Mama bald sterben wird.

Papa und sie verheimlichen es vor mir. Zumindest denken sie, dass sie das tun. Aber ich bin kein kleiner Junge mehr. Immerhin schon dreizehn Jahre alt. Ich weiß, dass sie lügen.

Es ist nichts witziges daran...

Und es tut einfach nur so doll weh.

Spuren deiner LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt