22/Oben im Paradies

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Elena

„Du hast was?" Entsetzt, aber gleichzeitig mit einer Menge Fragezeichen über dem Kopf,- die ich mir gerade bildlich-, vorstelle, sieht Nadia mich an. Till ist auch hier, weil die beiden auf meinen Sohn aufgepasst haben, während ich mit Matthias... geschlafen habe.

„Mit Sicherheit habt ihr beide auch mehr gemacht, als nur knutschen", feuere ich zurück. „Ich hoffe nur, dass ihr dafür nicht mein Bett benutzt habt."

„Wir haben nicht...", beginnt Till und bearbeitet mehr als nervös seine dunkelbraune Haarmähne.

„Das ist eine ganz andere Situation und gehört hier jetzt gar nicht her", unterbricht Nadia ihn, schenkt ihm ein kurzes Lächeln und mir wieder einen todernsten, ja jetzt ziemlich besorgten Blick.

„Es war scheiße, oder?", bricht es aus mir heraus. „Verdammte Kacke aber auch...Ich weiß gar nicht, was mich da geritten hat..."

„Naja, offensichtlich ein sehr heißer Typ", grinst Nadia und ich verdrehe leicht genervt die Augen.

War ja klar, dass sie das gleich zweideutig aufnimmt...

„Okaaaaaay", sagt sie schließlich und zieht das Wort ziemlich in die Länge. „Lass uns zuerst einmal ganz sachlich an das Ganze rangehen...Habt ihr es so richtig, richtig getrieben oder euch nur gegenseitig die Geschlechtsteile in den Mund genommen, daran gelutscht oder was auch immer damit angestellt?"

Ziemlich ernst sieht meine beste Freundin mich an, ich aber kann ein Lachen nicht zurückhalten. Es ist zu komisch, wie mein Bruder neben Nadia sitzt und ein Gesicht macht, als hätte ihm jemand gesagt, dass der Weihnachtsmann dieses Jahr kein Geschenk für ihn hat, weil er von diesem als unartig eingestuft wurde. Es ist eine Mischung aus Trotz, Verlegenheit und Verliebtheit.

„Nadia war schon immer so", offenbare ich ihm noch immer prustend. „Aber ich denke, dass du dich ziemlich schnell daran gewöhnst. Bei mir hat es auch nicht lange gedauert..."

„Danke, Süße", erwidert meine beste Freundin an mich gewandt und gibt Till eine kurzen und unschuldigen Kuss auf die Lippen, woraufhin das Gesicht meines Bruders schlagartig rot wird und er damit locker jedem Krebs, Konkurrenz macht. „Aber du lenkst vom Thema ab."

„Wir haben es richtig, richtig getrieben", nuschele ich viel mehr zu mir, aber natürlich entgeht Nadia das nicht.

„Das gibt es nicht", ruft sie laut aus, dann schlägt sie sich die Hand vor den Mund, als könne sie ihr Geschrei so wieder rückgängig machen.

Für einen kurzen Moment sind wir alle drei still, auf der Lauer, aber Fred meldet sich nicht, woraufhin meine Freundin deutlich leiser fortfährt.

„Du hast Fieber, Elena, oder? Sag mir, dass du krank bist und,- oder noch viel besser, ich bin es und halluziniere gerade... Kannst du mal fühlen, ob ich heiß bin?" Diese Frage richtet sie an Till, der sich vollkommen aus dem Gespräch ausgeklinkt hat und jetzt etwas verlegen seine Hand auf Nadias Stirn legt.

„Fieber hast du keines", murmelt er. „Viel mehr bist du einfach so verdammt heiß..." Er lässt den Rest des Satzes in der Luft hängen, steht hektisch auf und verkrümelt sich dann schlurfend in die kleine Küche meiner Zwei-Zimmer-Wohnung.

„Es ist schön, dass ihr so verliebt seid. Mein Bruder ist ja richtig zahm, das kenne ich eigentlich...", sage ich grinsend, werde aber sofort wieder von Nadia unterbrochen.

„Du musst mir alles erzählen", fordert sie. „Und wehe du lässt auch nur ein Detail weg, egal wie schmutzig es ist...Ich spreche vier Wochen nicht mehr mit dir."

„Das schaffst du sowieso nicht", kichere ich. „Das letzte Mal, als du sowas angedroht hast, waren es zehn Stunden, wenn ich mich nicht täusche."

„Immerhin", trotzt sie und verschränkt die Arme miteinander, während sie gleichzeitig versucht sich eine Haarsträhne aus dem Sichtfeld zu pusten.. „Du wirst schon sehen, Elena...Aber mal ganz davon abgesehen, du weißt, dass du mir alles erzählen kannst, meine Süße. Auch, wenn es unangenehm oder einfach nur total abgedreht ist."

„Das letzte trifft es ziemlich gut." Ihre blauen Augen, die mich durchbohren, sie sind wunderschön, aber haben eine ganz andere Farbnuance wie Matthias'. „Nadia, ich... ich...Eigentlich wollte ich nur Armin nahe sein und so bescheuert wie ich bin, habe ich mir dazu ausgerechnet den Mann ausgesucht, dessen Freundin er tot gefahren hat. Ich kann es nicht mehr leugnen, Mausi. Mein Freund, Freds Papa, er ist dafür verantwortlich, dass ein Mensch gestorben ist. Und ich... ich habe nichts besseres zu tun, als mir einzureden, dass es okay ist, wenn wir uns gegenseitig trösten, wo Matthias... Er weiß nicht einmal, dass Armin... Ich dachte, dass es nur eine einmalige Sache wird, aber jetzt." Erschöpft lasse ich mich auf das Sofa sinken und vergrabe meine Hände zwischen meine Schenkel. „Er hat mit mir geschlafen, aber irgendwie auch mit seiner verstorbenen Freundin. Es war seltsam und irgendwie auch total antörnend. Der Sex war wild, fast animalisch, aber dann auch wieder zärtlich und einfühlsam. Was ich eigentlich sagen will, Nadia... Es hat mir gefallen und ich glaube, dass ich es wieder tun möchte. Beim ersten Mal, da dachte ich noch, dass es nur darum geht, eine Möglichkeit zu haben, Armin wieder nahe zu sein. Aber jetzt... Es tut weh, diese Worte laut auszusprechen, aber ich hatte noch nie derart guten Sex und ich will mehr. Kannst du das irgendwie verstehen, Mausi?"

Mit hochgezogenen Brauen, starrt sie mich an und erwidert eine ganze Weile lang nichts, was mich ziemlich nervös macht. Ungeduldig beginne ich mit einer Haarsträhne zu spielen, damit ich irgendwie beschäftigt bin, aber es lenkt mich überhaupt nicht ab. Vielmehr führt es nur dazu, dass mein dünnes, ja kraftloses Haar, wie Stroh auf meinem Kopf liegt und zu fetten beginnt. Spätestens heute Nacht oder morgen früh, werde ich mir wieder wünschen, dichtes, lockiges Haar zu haben, wie Ben oder Nadia.

„Den Typen will ich kennenlernen", sagt sie schließlich. „Wie viele Orgasmen hat er dir nochmal genau beschert?"

„Es geht nicht nur darum", antworte ich bissig.

„Oh doch. Genau darum geht es, meine Süße. Wenn du einmal da oben im Paradies warst, dann willst du genau dort auch wieder hin. Ich wette, dass du schon heute Nacht von seinem Schwanz träumst und dir wünscht, dass er dich nochmal fickt."

„Können wir bei der Sache bleiben?", lenke ich ab.

Oh, sie hat doch so recht!

„Du bist sowas von verloren, Elena", höre ich Nadia sagen. „Und auch, wenn es das abgefahrenste, ja verrückteste ist, was ich bisher gehört habe, mach einfach weiter damit. Das Leben ist viel zu kurz, wie du genau weißt und vielleicht müssen wir manchmal einfach nur die Sau rauslassen oder irgendeinen Scheiß machen, um uns gut zu fühlen... Da fällt mir ein, dazu habe ich mal irgend so eine Weisheit im Internet gelesen, lass sie mich mal kurz suchen."

Sie beginnt auf ihrem Handy zu tippen und bis auf dieses Geräusch wird es kurz ziemlich still. Meine Gedanken kreisen unaufhörlich in meinem Kopf, aber mit einem hat Nadia definitiv recht.

Das Leben ist viel zu kurz...

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