32/An diesem Punkt

7 2 0
                                    

Elena

„Warum hast du mich nicht gefragt, bevor du Matthias einfach mitten auf der Straße überfallen hast und ihn quasi dazu gezwungen hast, sich von mir fernzuhalten?", gehe ich Ben an.

Ich konnte einfach nicht anders, habe Fred für einen Spaziergang angezogen und bin dann zur Wohnung von meinem großen Bruder gelaufen, die in etwa eine Viertelstunde von meiner, entfernt ist. Nachdem Matthias gestern Nacht, damit rausrückte, dass Ben ihm quasi drohte, sich von mir fernzuhalten... Ich muss einfach wissen, warum er das getan hat, wo mein Bruder doch eigentlich sonst auch immer will, dass ich glücklich bin. Und genau das bin ich in Matthias Nähe ja auch...

Nach seinem Alkoholausrutscher vorgestern, scheint mein Bruder heute wieder klar und nüchtern und es sieht nicht danach aus, dass er sich heute Nacht oder in naher Zukunft, wieder derart volllaufen lassen will.

„Du willst ihm ja nicht die Wahrheit sagen", feuert er sofort zurück. „Weißt du eigentlich, wie es sich anfühlt, einen Menschen jahrelang zu begehren? Sich nach ihm zu verzehren, aber zu wissen, dass man nie eine Chance bei genau diesem haben wird. Elena, ich bin selbst schuld an diesem Zustand und selbst, wenn ich Matthias niemals gemobbt hätte, er würde mich nicht wollen. Ich kann es ihm auch nicht verübeln. Seit meinem kläglichen Versuch, ihn zu küssen als wir eigentlich noch Kinder waren, weiß ich, dass er nicht auf Männer steht, zumindest nicht auf mich... Und ich hätte es akzeptieren müssen, ihm meine Freundschaft anbieten sollen, anstatt ihm das Leben zur Hölle zu machen. Weißt du, dass er sich wegen mir fast umgebracht hätte?"

„Er hat was?", frage ich schockiert und schaue in Bens Augen, aus denen sich ein paar Tränen lösen, die ihm über die Wangen sickern.

„Bevor ich die Schule wechseln musste, ich weiß nicht, ob du dich erinnerst, aber ich habe damals versucht Papa zu erreichen und hatte gehofft, dass er mit seiner vielen Kohle irgendwas drehen kann. Ich wollte einfach nicht weg von Matthias und obwohl es falsch war, habe ich einfach weiter und weiter draufgehauen, habe ihm gedroht, dass Papa ihn fertig macht, wenn sein Vater zu der Direktorin geht...Das Ende vom Lied war, dass er ein paar Tage nicht zur Schule gekommen ist und viel später, da war ich schon auf der anderen Schule, da habe ich von Jannick erfahren, dass Matthias eine Unmenge an irgendwelchen Pillen geschluckt hat und wenn sein Vater ihn nicht gefunden hätte, dann..."

Mein Bruder spricht nicht zu Ende, sondern starrt geknickt auf den Boden. Ich vernehme sein leises Schluchzen und bin unschlüssig, was ich tun soll.

„Du bist nicht schuld", versuche ich ihm einzureden, aber weiß selbst nicht, ob das die Wahrheit ist. Es war Matthias' Entscheidung diese ganzen Pillen zu schlucken, aber trotzdem...Ben hat ihn bis zu diesem Punkt getrieben und ohne sein Mobbing wäre es bestimmt nie soweit gekommen. Aber auf der anderen Seite war auch mein Bruder damals nur ein Kind und es ist nicht fair, ihm die alleinige Schuld aufzudrücken, was geschehen ist.

„Das glaubst du doch selbst nicht", schnaubt er. „Eigentlich sollte ich in den Knast wandern für den ganzen Scheiß, den ich abgezogen habe. Jetzt mal ehrlich, Elena. Ein Mörder kommt auch hinter Gitter, wenn er sein Opfer erledigt hat. Wieso sollte ich da verschont werden? Auch ich habe Matthias getötet, ihm zumindest sein ganzes Selbstbewusstsein geraubt und bin einfach so davongekommen. Findest du nicht auch, dass ich eine Strafe dafür verdient hätte?"

„Du wurdest genug bestraft", sage ich und meine Stimme ist sofort viel sanfter. „Immerhin hat die Schule dich zu einem Psychologen geschickt und du hast aus dem Mist, den du fabriziert hast, gelernt. Ich für meinen Teil bin sehr stolz auf dich..."

„Genau deshalb solltest du Matthias die Wahrheit über Armin und den Unfall sagen, Elena", wirft mein Bruder ein. „Für dein gutes Gewissen und vor allem für Matthias. Du weißt, dass es oft nicht auf Dauer gut geht, wenn man ein Geheimnis für sich behalten will. Irgendwann kommt alles ans Licht und er, Matze...Findest du nicht, dass er nicht schon genug bestraft ist?"

„Ich habe Angst", gestehe ich, während ich auf Bens Zweier Couch, sinke. „Das zwischen Matthias und mir...Es ist sowieso schon kompliziert und derart fragil. Was meinst du, was passieren würde, wenn ich ihm gestehe, dass Armin Schuld ist, dass Frida gestorben ist. Es..., ich kann das einfach nicht Ben. Ich fühle mich Matthias nahe und es ist verrückt, aber ich möchte, dass wir uns besser kennenlernen. Alleine für Fred wünsche ich es mir und vielleicht ist es der größte Fehler, den ich gerade begehe, aber ich will nicht, dass die Treffen mit Matthias aufhören. Mir geht es gut, wenn wir zusammen sind, kannst du das irgendwie verstehen?"

„Nicht wirklich", gibt er zu. „Ich habe aber auch nicht erst vor Kurzem meinen Mann verloren und bin seither alleinerziehend. Keiner kann es besser verstehen, als du, Elena...Und trotzdem ist es Matthias gegenüber nicht fair. Ich bin wahrlich der Falsche, der dir irgendwas von Ehrlichkeit und einem guten Miteinander, zu verklickern hat, aber ich... Scheiße, Elena. Ich liebe Matze noch immer wie verrückt und es tut einfach weh, dass er mit dir scheinbar so losgelöst ist. Meine Eifersucht ist einfach grausam, dabei habe ich eigentlich überhaupt kein Recht, mich auch nur irgendwie in das einzumischen, was da zwischen euch ist. Mir ist nur wichtig, dass es ihm gut geht. Das ist alles."

„Das ehrt dich", wispere ich. „Wann bist du so erwachsen und vernünftig geworden? Ich sollte mir dringend eine Scheibe von dir abschneiden...!"

„Erwachsen?", grummelt er. „Ich bin alles andere, als das. Ich habe mich nur damit zurecht gefunden, dass manche Dinge nicht zu ändern sind. Papa wird nie wieder aufkreuzen, auch wenn ich bis zum heutigen Tag darauf hoffe. Dieser Mann ist das schlimmste Vorbild, das ich mir aussuchen konnte, aber eines hat er mich gelehrt...Fehler sind menschlich, aber seiner ist einfach nur feige und genau so möchte ich nicht sein. Es ist das letzte, das ich will und auch wenn ich sehr lange gebraucht habe, um das herauszufinden, bin ich stolz auf mich selbst, dass ich an diesem Punkt angekommen bin."

„Ich auch."

„Elena?"

„Versprich mir, dass du Matthias die Wahrheit sagst. Stell dir vor es wäre anders herum und er würde es vor dir verschweigen...Wie würdest du dich fühlen?"

Spuren deiner LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt