5/Quietschgelbe Gummistiefel

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Elena

Nadia hat natürlich nicht lange gezögert und ist sofort gekommen, nachdem ich sie vor einer Stunde angerufen habe. Jetzt wo sie hier ist, fühle ich mich trotzdem schlecht, weil ich sie hierher eingeladen habe. In meiner kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung ist totales Chaos und meine beste Freundin gerade dabei, für mich etwas Ordnung zu machen, während ich Fred seit gefühlten Stunden auf dem Arm halte, während dieser sich die Seele aus dem Leib schreit. Mit Sicherheit plagen ihn Bauchschmerzen, die den Drei Monatskoliken zu verschulden sind, von denen ich schon so vieles gelesen habe. Wahrscheinlich ist er aber auch nur hundemüde und findet einfach nicht in den Schlaf.

„Du musst nicht meine Wohnung sauber machen, Süße", rufe ich, aber sie ignoriert mich einfach. Ich sehe nur ihren blonden Haarschopf und werfe einen schnellen Blick in ihre ozeanblauen Augen, als sie kurz in mein Schlafzimmer lugt, ehe sie gleich darauf wieder ins Wohnzimmer davonbraust.

Nach einer gefühlten Ewigkeit scheint Fred sich ein wenig zu beruhigen und ich kann es kaum glauben, als er schließlich in meinen Armen einschläft, als wäre nie etwas gewesen.

Nachdem der Kleine in der Wiege liegt und nicht wieder aufwacht, schleiche ich ins Wohnzimmer. Nadia sitzt auf meiner Couch, auf der noch vor ein paar Stunden totales Chaos herrschte und schaut etwas in ihrem Handy nach.

„Ich mach uns eben einen Tee", sage ich und reibe mir erschöpft durch die Augen. „Ist Früchtetee okay für dich, Süße?"

„Ja...", murmelt sie ohne dabei den Blick von ihrem Smartphone zu nehmen. „Danke!"

Nach zehn Minuten stelle ich die dampfenden Teetassen auf den kleinen Wohnzimmertisch, der neben der Couch und einem winzigen Wohnzimmerschrank das einzige Möbelstück im Raum ist.

„Hier-"

„Das sind ja quietschgelbe Gummistiefel!", kreischt Nadia überrascht dazwischen.

„Was-"

„Wie was?"

Nadias Blick verharrt noch immer auf ihrem Handy, ehe sie den Kopf anhebt und mich glückselig anstarrt.

„Diese Gummistiefel sind der Hammer, Süße. Die muss Fred unbedingt haben..."

Ich muss wohl wie ein Auto schauen, weil meine beste Freundin jetzt leise stöhnt und mir dann ihr Smartphone vor die Nase hält. Ich schaue ein Paar gelbe Gummistiefel an, auf denen jeweils ein kleiner Dino eingearbeitet worden ist, bis der Display einschläft und ein schwarzes Nichts zurücklässt.

„Fred ist neunundzwanzig Tage alt", kläre ich sie auf. „Gummistiefel sind das Letzte, das er im Moment gebrauchen kann. Er muss zuerst richtig laufen können, also vor nächstem Herbst auf keinen Fall."

„Aber die sind richtig schön", meint Nadia. „Meinst du nicht, wir sollten einfach schon welche bestellen. Nächstes Jahr gibt es die sicher nicht mehr, dabei sehen sie wirklich toll aus. Findest du nicht auch?"

Seit ich Fred habe, dreht Nadia etwas durch, um es noch harmlos auszudrücken. Ständig findet sie neue Babysachen, die sie unbedingt kaufen muss und ihr ist es zu verdanken, dass Fred mittlerweile mehr Klamotten hat, als ich. Was ja nicht schlecht ist, weil er sich sowieso jeden Tag vollspuckt oder etwas von der vollen Windel durchdrückt, aber irgendwann ist einfach genug, wo es ja auch noch eine Waschmaschine gibt.

Aber es ist ziemlich schwer, Nadia zu stoppen. Ich weiß, dass sie es nur gut meint und mir unter die Arme greifen möchte. Aber irgendwann ist auch gut!

„In zwei, drei Wochen passt ihm sicher einiges nicht mehr. Wenn du Lust hast können wir dann zusammen shoppen gehen. Aber die Gummistiefel brauchen wir nicht. Wehe du bestellst die. Dann schlepp ich dich eigenhändig zur Post, damit du sie wieder zurückschickst."

„Ist ja schon gut", meint Nadia und streckt ergeben die Hände in die Luft. „Wie geht es dir eigentlich, Süße?"

Dieser abrupte Themenwechsel ist mir natürlich auch nicht Recht. Vielleicht hätte ich sie so schnell doch nicht von ihrem Plan die Gummistiefel zu kaufen, abbringen sollen. Unsicher wippe ich leicht mit dem Oberkörper vor und zurück und verschränke die Hände ineinander. Der Schmerz sitzt tief in mir und bisher ist es mir gut gelungen, ihn zu... verbergen.

Fred ist mein Anker und ohne ihn wäre ich ein seelisches Wrack. Für ihn mache ich weiter, weil er es verdient hat. Weil er unschuldig ist und nichts dafür kann, dass sein Papa nicht mehr da ist. Der Kleine hat noch sein ganzes Leben vor sich und ich will es ihm nicht versauen, nur weil ich egoistisch handele.

Aber mache ich hier wirklich das Richtige? Ist mein Handeln wirklich das Beste für diesen kleinen Jungen? Wer bin ich schon, um das zu entscheiden?

„Hast du mitbekommen, dass es bei unserem Lieblingsbäcker auch ein Trauerfall in der Familie gibt?", lenke ich ab.

Nadia schaut mich besorgt an. Ihre ozeanblauen Augen mustern mich genau, ehe sie auf meine Kursänderung eingeht.

„Ich habe von Lars davon gehört. Schreckliche Sache..."

„Meinst du, dass es irgendwie zusammenhängt?", werfe ich die Frage in den Raum, deren Antwort ich nicht hören will und trotzdem nicht verhindern kann, dass mein Mund die Worte ausspuckt. „Armin war nicht der einzige, der bei diesem Unfall gestorben ist, Süße."

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