Matthias
Jetzt fühlt es sich einfach nur...Mir fehlen die Worte, um es beschreiben zu können. Unerwartet ist es etwas Schönes, ja Erfüllendes, das ich am liebsten gar nicht mehr missen möchte. Und trotzdem, der Schmerz, die Trauer und auch die unbändige Wut über Fridas Tod, sind noch derart frisch. Ich kann einfach nicht verstehen, wie es zusammen passt, dass ich trotzdem lächeln, ja etwas anderes fühlen will und dazu noch Zeit mit einer Frau verbringen möchte, die nicht...sie ist.
In Elenas Armen zu liegen und ihrem Atem zu lauschen, es macht etwas mit mir. Ich fühle mich geborgen und vergesse für eine Zeitlang alles, was in der Welt draußen vor sich geht. All die Sorgen und Probleme, ich sperre sie aus. Und damit verbunden, sogar das Aufeinandertreffen mit Ben und dieses seltsame Geständnis von ihm, das sich noch immer derart unwirklich anfühlt, so wie alles, was in letzter Zeit passiert ist.
„Wie ist Ben so als Bruder?", will ich wissen.
Er kann nicht durch und durch böse sein, oder? Immerhin ist Elena das auch nicht und selbst, wenn jedes Kind in einer Familie anders ist... Wieso will ich das eigentlich wissen und sorge mich schon fast um ihn? Ja, um den Kerl, der mich erniedrigt hat und das jeden Tag aufs Neue.
Elena gähnt und ich spüre, wie sie sich leicht bewegt. Sie dreht sich, so dass sie mir ins Gesicht schauen kann. In ihren grünen Iriden, spiegelt sich die Liebe, die sie für ihren Bruder hegt. Aber ich kann auch etwas Besorgnis, darin lesen.
„Er ist...Er hatte früher ziemlich Probleme damit, dass unser Vater abgehauen ist. Da waren Till und er zwölf und ich weiß, wie sehr Ben an Papa, gehangen hat. Trotzdem gab es damals ziemlich viel Stress zwischen den beiden und ich glaube, dass sich mein Bruder immer ein kleines bisschen Schuld an seinem Weggang, gegeben hat. Was natürlich Schwachsinn ist, aber..." Sie stoppt und überlegt eine Weile. „Mit vierzehn hat Ben sich vor Mama, Till und mir als schwul geoutet. Für uns war es immer okay, aber irgendwas muss ihn derart verstört haben, weil er sich immer dafür geschämt hat. Wir dachten, dass er in der Schule gemobbt wird oder derartiges, aber als sich dann rausstellte, dass genau er der Täter ist...Mama war außer sich und unser Vater, er war ja nicht mehr da, woraufhin Ben seine Wut und die Hilflosigkeit immer öfters im Alkohol, ertränkte..."
„Also wusstest du es doch", platzt es wütend aus mir heraus.
„Bens Leben veränderte sich ja nicht einfach so", sagt sie abwehrend. „Natürlich weiß ich, welchen Mist mein Bruder damals fabriziert hat, immerhin musste er mitten im Schuljahr die Schule wechseln. Aber, dass du sein Opfer warst...Wie hätte ich es ahnen können, Matthias. Wir beide... Eigentlich kennen wir uns ja nicht einmal richtig. Ich weiß nicht viel von dir, außer, dass deine Freundin gestorben ist und du Bäcker bist... Deine Mohnschnecken sind übrigens sensationell gut."
Naja... Ganz so stimmt das nicht. Sie weiß auch, wie ich nackt aussehe. So fremd können wir uns ja dann nicht mehr sein, oder?
„Du hast doch recht", knicke ich ein. „Ich bin einfach müde. Vom Diskutieren, vom Streiten, aber auch einfach davon, immer diese negativen Gedanken mit mir herumzutragen...Es ist einfach so viel im Moment, Elena. Weißt du, ich habe mich damals manchmal minutenlang, oft war es eine halbe, manchmal sogar eine Stunde, im Jungenklo verschanzt, wenn Ben... Wenn er sich wieder über mich lustig gemacht hat. Er hat mir damals mein ganzes Selbstbewusstsein geraubt und jetzt zu erfahren, dass er immer in mich verliebt war und sein Mobbing anscheinend nur stattgefunden hat, weil ich ihn abgewiesen habe... Mir wäre lieber gewesen, wenn ich nie erfahren hätte, warum er es getan hat. Ich habe damit abgeschlossen, aber jetzt... Elena, ich weiß nicht, wie ich mit der ganzen Situation umgehen soll. Und jetzt kommt auch noch raus, dass ich mich auf seine Schwester eingelassen habe und das nicht nur irgendwie... Elena, wir haben was miteinander und obwohl ich versucht habe, mich von dir fernzuhalten, wie Ben mich darum gebeten hat, kann ich es einfach nicht..."
„Er hat was?" Fassungslos starrt Elena mich an. „Sag mir, dass das nicht wahr ist, Matthias."
„Das habe ich dir eigentlich vorhin auch schon gesagt und du hast auch darauf geantwortet..."
„Das habe ich bestimmt überhört", unterbricht sie mich und wird schlagartig rot. „Meine Gedanken waren vorhin offensichtlich wo ganz anders und sind sie jetzt eigentlich auch noch, wenn ich es mir richtig überlege."
„Ja, nämlich bei deinem Sohn", sage ich, während aus der Wiege, die neben der Bettseite, auf der Elena liegt, steht, plötzlich lautes Gebrüll kommt.
Es kommt mir etwas gelegen, dass dieses Gespräch hier ein Ende nimmt, auch wenn eigentlich noch nicht alles gesagt wurde. Manche...Dinge mit jemanden zu besprechen, kann erlösend sein, aber es strengt auch furchtbar an.
„Macht es mich zur Rabenmutter, dass ich ihn kurz vergessen hatte und mir jetzt wünsche, dass er einfach noch eine Weile weiterschläft?", fragt Elena schüchtern, ehe sie sich aus dem Bett rollt und dann umständlich neben der Wiege, zum Stehen kommt.
„Nein", wispere ich, was wahrscheinlich durch Freds Gebrüll untergeht, aber womöglich ist es so auch besser. „Ich wette, du bist eine tolle Mama."
Ich schaue ihr zu, wie sie den Kleinen in ihren Armen wiegt und leise mit ihm spricht. Sofort schießt mir eine Erinnerung in die Gedanken und ich halte die aufkeimenden Tränen, mühsam zurück.
„Er hat Hunger", sagt Elena. „Ich bin eben in der Küche und mach ihm sein Fläschchen. Fühl dich wie Zuhause, Matthias. Wenn du magst, dann kannst du gerne ein bisschen schlafen."
Das wäre jetzt tatsächlich das Beste...
Dabei sehe ich ständig mein Mädchen vor mir, als sie Leo das erste Mal, gehalten hat. Auf ihren Wangen, waren Tränen der Freude und trotzdem zierte ein breites Lachen, ihr engelsgleiches Gesicht.
Ich bin versucht, die Galerie auf meinem Handy durch zu scrollen, bis ich auf eben dieses Bild, das ich damals natürlich aufgenommen habe, stoße. Mit zittrigen Finger greife ich nach eben diesem, lege es dann aber gleich wieder zurück auf die Nachtkonsole.
Ich kann das einfach nicht.
Noch nicht.
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Spuren deiner Liebe
RomanceMatthias ist sehr glücklich mit seinem Leben. Er hat den Bäckermeister in der Tasche und sich zusammen mit Frida, der Liebe seines Lebens den Traum einer eigenen Bäckerei erfüllt. Die perfekte Idylle. Doch das Schicksal schlägt gnadenlos zu und von...