14/Ein Engel

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Matthias

„Lass uu...ns wieder reingehen." Die Worte kommen etwas abgehackt über meine Lippen. Ich weiß, dass meine Schwester ihr Essen für mich hat stehen lassen und bekomme sofort ein schlechtes Gewissen. Heute Abend geht es eigentlich um Leo und ein paar schöne Stunden mit der Familie.

„Du weißt, dass ich die Hälfte der Gäste eigentlich überhaupt nicht ausstehen kann und froh bin, dass du mich da rausgeholt hast, bevor Mikes Tante, Margaret wieder meint, mir jedes einzelne Detail von ihrem gestrigen Tag, mitteilen zu müssen. Eingenommen ihren schrägen Versuchen, ihren gefühlt zwanzig Hauskatzen, Leinen umzubinden, damit sie mit ihnen raus kann und die Miezen frische Luft schnappen können."

Keine Ahnung woher Sina schon wieder weiß, was ich denke, aber irgendwie muntert mich ihr Kommentar auf und jetzt ist es ein echtes Lächeln, das meine Lippen umspielt.

Ich drücke die Eingangstür des Restaurants auf und sofort dringt lautes Geschnatter an meine Ohren. Mein rechter Fuß steht schon innen, der andere noch draußen, als ich mit dem Oberkörper gegen eine andere Person stoße. Viel mehr ist es diese, die in mich reinrennt und dabei etwas ins Stolpern gerät. Reflexartig schließe ich meine Arme um sie, aber sie drückt sich mit einer Kraft gegen mich, das es ich bin, der ungeschickt nach hinten taumelt. Ehe ich mich versehe, lande ich auf meinem Hintern, blonde Haare, kitzeln meine Sicht und neben mir, oder doch vor mir, ertönt schallendes Gelächter. Es ist definitiv nicht von Sina, ihr Lachen würde ich unter tausenden, erkennen.

„Es tut mir leid", murmelt die Person, die auf mir, genauer genommen auf Höhe meiner Brust liegt und sich an meine Oberarme klammert, um den Halt nicht zu verlieren. „Meine Brüder waren direkt hinter mir und wir haben nicht..."

Grüne Iriden starren mich vorsichtig an und es ist, als hätte ich genau diese schon einmal irgendwo gesehen. Für einen kurzen Moment erlaube ich mir, sie ein kleines bisschen näher zu beäugen und meine einen leicht bräunlichen Schimmer darin erkennen zu können.

„Geht es dir gut?", hauche ich.

„Danke", kommt es zurück. „Wie ungeschickt von mir. Es tut mir schrecklich leid. Ist bei Ihn..., dir alles in Ordnung?"

„Ich glaube, dass ich mir den Hintern gebrochen habe. Geht das? Ich spüre ihn nämlich nicht mehr."

„Ich weiß... weiß nicht", sagt sie vorsichtig.

„Ich hasse es, dieses wirklich nette Gespräch zu unterbrechen, aber wir müssen los, Elena." Ein Mann taucht in meinem Blickfeld auf und hilft der Angesprochenen auf die Beine.

„Warte kurz, Till", meint sie.

„Oh, habt ihr beiden es endlich?"

„Ich bin ja gleich soweit, Ben", keift sie dem zweiten Mann zu.

Ben! Dieser Name. Er wird mich wohl ewig jagen, obwohl die Hänseleien längst aufgehört haben. Aber es gibt Dinge im Leben, die kann man nicht vergessen, so gerne man es auch will...

„Falls du dir wirklich den Hintern gebrochen hast, dann ruf mich an", murmelt Elena jetzt an mich gewandt und zieht einen kleinen Block und einen Kugelschreiber aus ihrer Jackentasche. „Ich zahle auch für die Behandlungen, egal wie viel es kostet." Vielleicht täuscht es durch die Außenleuchten, die alles in ein etwas anderes Licht rücken, aber ich meine einen Schimmer Röte auf ihren Wangen zu sehen, als sie mir das abgerissene Blatt Papier, in die Hand drückt.

„Du weißt schon, dass er nur markiert...Wieso hast du ihm deine Nummer gegeben, Elena?", höre ich dem Gespräch der drei Personen zu, als sie den kurzen Schotterweg entlanglaufen, ehe sie an der kurzen Treppe angelangt sind, die zu den Parkplätzen führt und dann in die Nacht verschwinden.

Was genau ist gerade passiert? 

„Was war das denn?", holt Sina mich aus meiner Trance. „Den Hintern gebrochen? Wenn ich es nicht besser wüsste, dann hast du dir den Kopf angeschlagen, aber ich habe dich nicht auf dem Boden aufschlagen sehen und du bist auch nirgends dagegen gelaufen. Wohl eher ist ein Engel in dich gekracht. Du Glücklicher. Hast du die beiden Männer gesehen? Ich sag dir eines, wenn ich nicht verheiratet wäre und das verdammt glücklich, dann... Puh, der braunhaarige war verdammt hot, Matze."

Dieses Aufeinandertreffen, war komisch. Für einen Moment dachte ich, etwas Gutes, etwas wie Hoffnung gefühlt zu haben, aber jetzt, ist alles wieder kalt und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen.

„Wie auch immer", murmele ich und drücke mich mit der Kraft meiner Arme nach oben. Etwas wackelig komme ich auf die Beine, aber das legt sich nur einen Augenblick später, was bleibt ist nur ein leichtes Zwicken, das von meinem Hinterteil, ausgeht.

Das gibt sicher einen blauen Fleck.

Vorsichtig schiebe ich den Zettel, den diese Elena mir zugesteckt hat, in meine rechte Hosentasche.

„Ich glaube es ist besser, wenn ich jetzt nach Hause gehe", sage ich zu Sina. "Ich sag eben Papa und Basti Bescheid und dann will ich Leo noch ein Abschiedsküsschen geben. Ich hoffe, dass es dich nicht stört..."

„Es ist okay." Liebevoll betrachtet meine Schwester mich und ich bin versucht, mich wieder in eine ihrer Umarmungen zu hüllen. „Es geht sowieso nicht mehr lange. Der Kleine muss ins Bett und ich bin auch ziemlich platt von... allem heute. Danke, dass du hier warst, Matze."

„Danke dir, Sinchen Bienchen."

„Nenn mich bitte nicht so."

„Dann hör auf mich Matze zu nennen. Du weißt, dass ich seit Frida..."

„Ist okay", knickt sie ein. „Ich will mich nicht schon wieder mit dir streiten. Bis eben war es so schön und jetzt..."

„Jetzt weißt du, wie ich mich fühle. Jede Sekunde, Sina." Es kommt viel kälter, als ich es vorhatte.

„Ich gehe jetzt rein", murmelt meine Schwester erschöpft. „Ich bin wirklich müde und am besten überrede ich Mike, dass wir gleich nach Hause gehen."

„Ich wollte nicht, dass es... Es war nicht so gemeint."

„Ich glaube für heute ist es genug", erwidert sie mit einem sanften Lächeln, das aber ihre Augen nicht mehr erreicht. „Ich hab dich schrecklich lieb, Matthias. Wir reden morgen weiter, wenn du das möchtest, aber heute... Ich kann einfach nicht mehr."

„Sina..."

„Bitte, Matthias."

Stumm geht sie ins Restaurant, ich meine ein leichtes Schniefen ihrerseits wahrzunehmen, reagiere aber nicht darauf. Ich weiß, dass meine Schwester gerade nicht von mir getröstet werden will. Wir sind beide verdammt stur.

Der Abend muss ein einzige Vollkatastrophe für Sina gewesen sein...

Und das alles nur, wegen mir!

Wäre ich doch einfach zuhause geblieben.

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