Kapitel 5

278 13 1
                                    

Am darauffolgenden Freitag treffe ich mich abends mit Felix' Schwester Sophie. Kurz, nachdem ich nach Berlin gezogen bin, hat er sein Versprechen eingelöst und uns einander vorgestellt.
Anfangs war ich extrem nervös und zwiegespalten darüber gewesen, ob es so eine gute Idee ist, mich ausgerechnet mit der Schwester von meinem Freund anzufreunden, aber jetzt könnte ich nicht glücklicher über diese Entscheidung sein.
Das Thema „Familie des Freundes" ist dank Jakob und Melina wahrscheinlich einfach ein rotes Tuch für mich, aber bei den Lobrechts ist das anders.
Sophie, Julian und ihr Vater Frank haben mich ganz herzlich empfangen und ab der ersten Sekunde so behandelt, als würde ich zur Familie gehören.
Als ich jetzt bei einer Weißweinschorle in Sophies Wohnzimmer sitze, lächele ich selig vor mich hin. Ich könnte ihr stundenlang dabei zuhören, wie sie Geschichten aus ihrer Kindheit erzählt oder sich darüber auslässt, wie anstrengend es war, als Felix sein Studium abgebrochen und Vollzeit Comedy machen wollte.
„Nie im Leben hätte ich damals gedacht, dass er mal jede Halle in Deutschland ausverkauft", sagt sie immer und lacht. „Vergiss die Schweiz, Österreich und Luxemburg nicht", antworte ich dann mit einem Grinsen im Gesicht.

Heute reden wir über alles mögliche. Von ihren Urlaubsplänen fürs nächste Jahr, über ihre Jobsuche im künstlerischen Bereich und ihrem Freund - es ist von allem etwas dabei.
Als Sophie mit frisch aufgefüllten Weingläsern zu uns zurückkommt, wirft sie mir auf einmal einen fragenden Blick zu.
„Sag mal, wie geht's dir eigentlich?", fragt sie und mir sackt sofort das Herz in die Hose.
Ich beschließe, mich zunächst ahnungslos zu stellen und nippe an meinem Glas.
„Warum fragst du?"
Sophie seufzt kurz auf und lächelt mich dann an. „Du kannst mir nichts vormachen, Maddie, ich sehe sowas doch. Ist irgendwas passiert?"
Ich stelle das Glas ab und stoße ein nervöses Lachen aus. „Du hast genauso feine Antennen wie dein Bruder."
Sophie grinst mich an und macht eine triumphierende Geste. „Wusste ich's doch."
Dann wird ihr Blick wieder ernst. „Aber jetzt mal wirklich, was ist los?"
Ich lasse meinen Blick durch ihr Wohnzimmer schweifen. „Gar nichts", murmele ich, doch Sophie zieht mit so einem argwöhnischen Blick ihre Augenbrauen hoch, dass ich es nicht länger für mich behalten kann.

„Ich bin irgendwie ein bisschen frustriert weil wir kaum mehr Zeit füreinander haben, seit die Tourplanung wieder angefangen hat." Es bricht einfach so aus mir heraus. Sophie schaut mich fragend an, doch ich spreche schnell weiter, bevor sie etwas sagen kann.
„Ich weiß auch, dass das wahrscheinlich unfair von mir ist. Er hat jetzt so lange Pause gemacht und freut sich höllisch darauf, endlich wieder auftreten zu können, da will ich ihm den Spaß nicht versauen, indem ich darüber jammere, dass er keine Zeit für mich hat." Ich räuspere mich kurz.
„Außerdem stimmt das auch nur so halb. Neulich Abend hat er sich freigenommen, damit wir zusammen kochen können. Das haben wir vorher noch nie gemacht und es war richtig schön."
Ich hebe meinen Kopf und schaue Sophie in die Augen, die mich anlächelt. Ich erwidere ihr Lächeln, bis meine Gedanken wieder abschweifen und mir automatisch ein Seufzen entfährt.
„Aber dann ist er auch manchmal einfach so... gestresst. Er sitzt dann vor seinem Laptop und flucht, und ich weiß dann nicht, ob ich ihn ansprechen darf oder nicht, also mache ich's lieber nicht und stecke meine Nase in irgendein Buch, aber wirklich darauf konzentrieren kann ich mich dann auch nicht. Wir reden dann stundenlang nicht miteinander und schlussendlich liegen wir am Ende des Tages im Bett, beide total erledigt, selbst zu müde zum -"
„Stop." Sophie hebt ihre Hand und lacht. „Das will ich gar nicht wissen."
Ich muss ebenfalls lachen und winke ab. „Schon gut, du kannst es dir ja denken." Wir grinsen uns vielsagend an und brechen dann beide erneut in Gelächter aus. Sofort merke ich, dass es mir schon ein Stück besser geht. Es hat schon sehr geholfen, sich alles von der Seele zu reden und jetzt mit ihr gemeinsam zu lachen.
Eine Weile ist es still, bis Sophie schließlich tief und herzhaft seufzt.

„Ich versteh dich so gut Maddie, wirklich." Sie lächelt mich entschuldigend an. „Das ist auch nicht einfach. Und... genau genommen ist das auch der Grund, warum er die ganzen Jahre über keine Freundin haben wollte."
Erschrocken schaue ich sie an, doch sie lässt mich nicht zu Wort kommen. „Dieses Tour-Leben ist halt einfach turbulent, unbeständig, unzuverlässig und wild. Das kann man fast nicht anders sagen. Es ist natürlich auch aufregend, spannend und witzig, aber dazu gehört eben auch der ganze Aufwand mit planen, vorbereiten und allem."
Sie wirft mir ein entschuldigendes Lächeln zu. „Du konntest das vorher nicht wissen, aber so ist sein Leben eigentlich immer. Das jetzt, das ist der Normalzustand." Sie räuspert sich.
„Und wenn die Tour dann richtig anfängt, wird's auch nicht besser."

Ich merke, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildet und ich muss ihn herunterschlucken, um mich davon abzuhalten, zu weinen. Mit der Antwort hatte ich eigentlich nicht gerechnet.
Ich wollte, dass sie mich beruhigt und mir sagt, dass die Phase jetzt zwar stressig ist, aber auch wieder vorübergeht und dass er bald wieder mehr Zeit für mich haben wird. Dass alles wieder so wird wie vorher. Aber sie soll mich ja auch nicht anlügen. Also ist es vermutlich das einzig richtige, wenn sie so ehrlich wie möglich zu mir ist.
Mir entfährt ein Seufzen. Lobrecht - der Name steht anscheinend für schonungslose Ehrlichkeit, geschlechtsübergreifend.
Während ich versuche, ihre Worte zu verarbeiten, nicke ich langsam. Auf einmal fühle ich mich, als hätte mir jemand in die Magengrube geboxt.
Ein paar Sekunden lang sage ich nichts, aber dann fällt mir plötzlich etwas ein.

„Du hast vorhin gesagt, dass sein turbulenter Alltag der Grund dafür ist, dass er jahrelang keine Freundin haben wollte", sage ich leise. Sophie nickt. „Wann... hatte er denn seine letzte Beziehung?"
Nachdenklich kneift Sophie die Augen zusammen, ihre Stirn legt sich in Falten. „Warte mal, da muss ich drüber nachdenken", murmelt sie. „Es gab zwei, mit denen er am Anfang seiner Karriere noch zusammen war, das war glaube ich auch kurz nacheinander. Die eine hat sich von ihm getrennt, als die ganze Poetry Slam-Geschichte gerade so angefangen und er sein Studium geschmissen hat, danach hat er dann Maria kennengelernt."
Ich schaudere. Aus einem albernen, kindischen Grund will ich nicht, dass seine Exfreundinnen Namen haben und somit in meiner Vorstellung zu echten Personen werden. Ich will, dass sie weiterhin gesichts- und namenlos bleiben, damit ich mich nicht weiter mit ihnen auseinandersetzen muss. Aber ich habe ja gefragt.
Sophie scheint mein kurzer Stimmungsumbruch nicht aufzufallen. „Mit Maria war er dann relativ lange zusammen, auch während der ‚Kenn Ick'-Zeit. Wenn ich mich richtig erinnere, haben sie sich aber dann während der Tour irgendwann getrennt."
„Warum?"
Sie schaut mir in die Augen. Ihr Blick lässt mir sofort das Herz in die Hose rutschen.
Sie macht mir Angst. Sie schaut mich an, als ob ich die Antwort auf diese Frage eigentlich kennen müsste.
„Weißt du das nicht?"
Ich schüttele den Kopf.
„Er hat sie betrogen."

Honestly (Felix Lobrecht) (Heavenly #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt