Kapitel 8

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Augenblicklich zieht sich alles in mir zusammen. Ich beiße mir auf die Unterlippe und verstärke den Druck um seine Hand, als wäre es ein Reflex, dem ich nicht widerstehen kann.
Es dauert einen Moment, bis ich etwas sagen kann. Felix lässt mir Zeit. Auch er umgreift meine Hand fester und als er schließlich anfängt, mit seinem Daumen über meine Hand zu streicheln, bricht es aus mir heraus.
„Nein, es geht nicht nur um Sex."
Stille. Dann höre ich ihn leise ausatmen.
„Worum geht es dann?"
Mir entfährt ein Seufzen. Ich wollte dieses Gespräch nicht führen. Nicht heute, nicht morgen, nicht in ein paar Wochen, gar nicht. Ich hatte gehofft, dass meine Sorgen ganz von selbst weggehen, wenn ich einfach nicht darüber rede, aber so funktioniert das nicht. Und außerdem hatte Felix bis jetzt immer Recht, was meine Gefühle angeht. Ich kann nichts vor ihm verheimlichen, auch jetzt nicht.
Es herrscht Totenstille in unserem Schlafzimmer. Es ist so dunkel, dass ich noch nicht einmal die Hand vor meinen Augen erkennen würde. Während ich noch überlege, ob das hier wirklich der richtige Moment für dieses Gespräch ist, seufzt Felix neben mir leise auf und rückt ein Stück naher an mich heran.
„Sag mir, was dich beschäftigt, Maddie", flüstert er. „Ich merke das doch. Du kannst es mir sagen, okay?"
Augenblicklich macht sich Übelkeit in mir breit. Seine Fürsorge und sein Mitgefühl machen mich krank. Ich möchte nicht, dass wir eines der Paare sind, das diese Art von Gesprächen führen muss. Wir sind noch nicht mal ein Jahr zusammen. Wann ist alles so ernst geworden?
Gerade eben waren wir noch frisch verliebt, im Wellnessurlaub, dann in Amsterdam, unbeschwert und frei. Gerade eben hatten wir noch guten Sex, der uns beiden Spaß gemacht hat. Und jetzt auf einmal... nicht mehr.
Plötzlich merke ich, wie meine Wangen nass werden. Na toll. Wieso kriege ich es nicht ein einziges Mal hin, nicht zu weinen? Wie soll er mich so ernst nehmen?
Aber Felix nimmt mich ernst. Er nimmt mich so ernst, dass er meine Stille nicht verurteilt - im Gegenteil.
Als er merkt, dass ich weine, dreht er sich auf die Seite und legt einen Arm um meine Brust. Seine Lippen nähern sich meinen Wange und er küsst mich. So, als würde er die Tränen wegküssen wollen. Seine Hand streichelt dabei sanft an meiner Seite entlang.

Gerade, als ich zum wiederholten Mal den Kloß in meinem Hals runterschlucke und dazu ansetzen will, etwas zu sagen, kommt Felix mir zuvor.
„Ist es wegen der Tour?"
Ich erstarre. Woher weiß er das? Er kann es nicht wissen! Ich habe bisher kein einziges Wort darüber verloren. Außer... oh Gott, hat Sophie ihm irgendwas gesagt?! Nein, das würde sie nicht. Niemals! Oder...?
Als ob er meine Gedanken lesen könnte, seufzt er leise auf. „Ich bin nicht blöd, Maddie. Ich merke das doch auch. Dass es dich verletzt, wie wenig Zeit wir füreinander haben, meine ich."
Ich bin wie erstarrt, doch er ignoriert mich. Er räuspert sich kurz, bevor er weiterspricht.
„Und das tut mir auch wirklich leid, aber... ich weiß nicht, wie ich daran etwas ändern soll. Jetzt kommt die heiße Phase, wir müssen bald damit anfangen, die Tickets zu verkaufen und -"
„Ich will nicht über die Tour reden." Ich weiß nicht, wo das auf einmal herkommt, aber jetzt ergreife ich doch das Wort. Meine Antwort scheint Felix die Sprache zu verschlagen.
Er verstummt und wartet geduldig ab, bis ich erneut zu sprechen anfange.
„Ich will über uns reden." Ich seufze und schließe die Augen, obwohl ich ohnehin nichts sehen kann. „Ich meine, wir... wir kennen uns noch nicht besonders lange, ich bin deine erste richtige Freundin, seit du diesen Job wirklich Vollzeit machst und ich weiß einfach nicht... also... ob das alles so zusammenpasst."
„Du meinst, ob wir beide zusammenpassen?" Seine Stimme klingt überrascht und irgendwie auch ein wenig erschrocken.
„Nein! Oh Gott, nein." Mir entfährt ein leises Auflachen, von dem ich nicht weiß, wo es herkommt. Wahrscheinlich eine Art Übersprungshandlung, weil mein Körper nicht weiß, wie er damit umgehen soll, dass wir gerade vorhin noch Sex hatten und jetzt hier liegen, in vollkommener Dunkelheit und ein so ernstes Gespräch führen. Über uns. Über unsere Zukunft.
„Ich meine, ob dein Leben als Bühnenkünstler mit deinem Leben als Mensch, der in einer festen Beziehung ist, zusammenpasst." Stille. Ich räuspere mich kurz, bevor ich fortfahre.
„Das klingt jetzt vielleicht bescheuert, aber das ist das, was mich momentan beschäftigt."

Wieder Stille. Dann atmet Felix leise aus.
„Wie lange schon?"
„Was meinst du?"
„Na, wie lange beschäftigt dich das schon?"
Mir entfährt ein Seufzen. Wenn ich die Frage jetzt wahrheitsgemäß beantworte, wird Felix wieder sauer, weil ich damit nicht früher zu ihm gekommen bin. Aber ich muss es tun. Alles andere ist keine Option.
„Seit ein paar Monaten. Also, seit die ganze Planung angefangen hat."
Zu meiner Verwunderung antwortet Felix darauf nichts. Ich weiß genau, wie gerne er mir jetzt sagen würde, dass das so nicht geht, dass Totschweigen keine Lösung ist und dass wir solche Dinge nur lösen können, indem wir darüber sprechen, aber er tut es nicht. Und ich bin froh darüber.
Stattdessen legt er jetzt auch seinen anderen Arm um mich und zieht mich ganz nah an sich heran. Automatisch schlinge ich meine Arme um ihn und auf einmal muss ich mich beherrschen, ihn nicht so fest zu umarmen, dass er keine Luft mehr bekommt.
Du gehörst zu mir, denke ich. Wir beide. Wir gehören zusammen.
Felix scheint ähnliche Gedanken zu haben, denn auch er intensiviert den Druck seiner Arme.
Seine Hand wandert langsam an meinen Hinterkopf und verliert sich in meinen Haaren. Mit sanften Bewegungen beginnt er, meine Kopfhaut zu kraulen, was sowohl Entspannung als auch eine Art Verzweiflung in mir auslöst. Leise atme ich aus.
Warum kann es nicht immer genau so sein? So wie jetzt.
Nur wir beide, Arm in Arm, ob angezogen oder nackt spielt dabei keine Rolle. Die Hauptsache ist, dass wir alleine sind. Ohne Außenwelt um uns herum. Ohne die Tour, ohne meinen Job, ohne Probleme.
Aber natürlich geht das nicht, tief in mir drin weiß ich das genau. Das hier ist kein Märchen, in dem die Prinzessin auf ihrem Pferd - oder, wie Felix sagen würde, mit ihrem Ferd - in den Sonnenuntergang reitet und dann zu ihrem Prinzen ins Schloss geht, wo alle Sorgen vergessen sind und reale Probleme nicht existieren.

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis Felix endlich etwas sagt.
„Was kann ich machen?", fragt er. „Was kann ich machen, damit es besser wird?"
Ich stoße einen Atemzug aus. „Keine Ahnung", antworte ich schließlich wahrheitsgemäß.
„Ich weiß es wirklich nicht, Felix. Ich meine, die Tour muss ja auch geplant und organisiert werden, das weiß ich auch alles, aber -"
„Aber eben nicht abends?"
Seine Frage trifft mich mitten ins Herz. Er spricht genau das aus, worüber ich seit Monaten insgeheim nachdenke. Einfach so, ohne, dass ich es hätte aussprechen müssen. Er kann mich lesen wie ein Buch.
Mir entfährt ein tiefes Seufzen und ich nicke, obwohl er es nicht sehen kann.
„Ja. Das wäre vielleicht ein Anfang."
Er scheint zu überlegen. „Okay. Dann schau ich, dass ich ab morgen alle Termine, so gut es geht, tagsüber mache und mir die Abende für uns freihalte, okay?"
Sofort merke ich, wie sich Erleichterung in mir breit macht und durch jede Faser meines Körpers strömt. Auf einmal habe ich das Gefühl, zu schweben.
Mir entfährt ein leises, fast schon nervöses, aber nicht weniger glückliches Auflachen und ich presse ihn noch fester an mich.
„Wenn das gehen würde, wäre das wirklich sehr schön."
Felix gibt mir einen Kuss auf die Wange, dann auf die Schläfe und schließlich auf die Stirn.
Erst einen, dann zwei, dann drei und irgendwann sind es so viele, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann.
„Okay", flüstert er. „Ich geb mein Bestes, versprochen."
Und der Tonfall, in dem er das sagt, verrät mir, dass er noch nie etwas so ernst gemeint hat.

Honestly (Felix Lobrecht) (Heavenly #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt