Kapitel 16

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24. Dezember 2024

Felix

Noch nie habe ich mich an meinem Geburtstag so mies gefühlt. Mein Vater war der erste, der mich angerufen und mir traditionell „Happy Birthday" von Stevie Wonder vorgespielt hat und ich musste mich wirklich zusammenreißen, um ihm nicht zu zeigen, wie es mir wirklich geht.
Außer Nadja habe ich noch niemandem von der Trennung erzählt. Noch nicht mal meinem Bruder und erst recht nicht meiner Schwester. Ich will mir ihr lieb gemeintes Blabla nicht anhören müssen. Wahrscheinlich, weil es das erst so richtig real machen würde.
Solange fast niemand davon weiß, sind wir auch nicht getrennt. Schrödingers Trennung.
Ich stehe auf dem Balkon, ziehe an meiner Kippe und schüttele den Kopf über mich selbst. Traurig sein am Geburtstag ist irgendwie ein Klassiker, aber nicht für mich. Normalerweise würden gleich meine Kumpels vor der Tür stehen und mit mir die ersten Drinks exen, aber heute habe ich ausnahmsweise überhaupt keine Lust auf Daydrinking.
Deshalb habe ich die ganze Bande auf heute Abend vertröstet und meine Familie dafür auf morgen.
Dieses Jahr läuft eben alles irgendwie anders als geplant. Das wäre es zwar auch, wenn ich mit Maddie in den Urlaub gefahren wäre, aber dann wäre sie wenigstens hier. Bei mir.
Wie aufs Stichwort werde ich vom Klingeln meiner Wohnungstür aus meinen Gedanken gerissen und als ich die Zigarette ausdrücke, reingehe, die Tür öffne und meine (Ex)-Freundin vor mir sehe, fallen mir beinahe die Augen aus dem Kopf.
Ich bin so überfordert, dass ich den ersten Satz ausspreche, der mir in den Kopf schießt.
„Mit dir hab ich als letztes gerechnet."
Der nervöse und leicht betretene Ausdruck auf ihrem Gesicht verschwindet und weicht einem überraschten Grinsen, gefolgt von einem glockenhellen Auflachen, das mir bis ins Mark fährt.
„Sorry. Ich bin gleich wieder weg, aber ich wollte nur... also... darf ich kurz reinkommen?"
Ich nicke stumm und gehe zwei Schritte nach hinten, um sie reinzulassen. Während ich die Tür hinter ihr schließe, schaut sie prüfend den Flur entlang, als würde sie nach jemandem suchen.
Ein wenig spöttisch hebe ich eine Augenbraue. „Keine Sorge, ist niemand da."
Das scheint sie zu erleichtern, aber ich verstehe nicht ganz, warum. Was hat sie denn erwartet? Dass ich hier eine Gangbang-Bukakke-Party schmeiße? An einem Dienstag um 11 Uhr?

Ein wenig verstohlen räuspert sie sich und sieht mich verunsichert an, dann streckt sie mir das Päckchen entgegen, das sie schon die ganze Zeit in der Hand hält.
„Alles Gute zum Geburtstag", sagt sie und es klingt ein wenig heiser.
Ich beiße mir auf die Unterlippe. Das ist definitiv nicht das, was ich mir unter meinem ersten gemeinsamen Geburtstag mit Maddie vorgestellt habe, aber irgendwie freue ich mich trotzdem darüber, dass sie vorbeigekommen ist.
Ich nehme das Päckchen entgegen und werfe ihr einen erstaunten Blick zu. „Danke", sage ich und meine es genau so. „Hättest du aber nicht müssen."
Maddie winkt ab. „Ich hatte das Geschenk schon lange besorgt", sagt sie, beinahe flüsternd. „Zurückgeben wäre Quatsch gewesen. Und... ich hab's ja gekauft, als wir noch zusammen waren, also steht es dir auch zu."
Ich nicke langsam, während ich das Päckchen in meiner Hand anstarre und langsam abtaste.
Es fühlt sich weich an und obendrauf muss sowas wie eine Karte liegen. „Darf ich auspacken?"
Maddie lacht leise auf und nickt. „Klar."
Auf einmal kann ich es gar nicht eilig genug haben, das Geschenkpapier aufzureißen. Wenn es darum geht, Geschenke auszupacken, bin ich immer noch wie ein kleines Kind.
Unter dem Geschenkpapier verbergen sich zwei Jogginghosen, eine schwarz, eine grau, und ein Briefumschlag.
Ich kann nicht anders, als sie anzugrinsen. „Zwei neue gegen die zwei ausgeleierten, die du beschlagnahmt hast?"
Zu meiner Überraschung entfährt Maddie ebenfalls ein kurzes Lachen und sie nickt. „Ja, genau."
Dann erwidert sie mein Grinsen und Fuck, es ist das schönste, was ich seit langem gesehen habe.
Es ist, als würde mir erst jetzt so richtig bewusst werden, wie sehr ich sie vermisse. Auf einmal verspüre ich solche Sehnsucht nach ihr, dass ich sie am liebsten umarmen würde, aber ich bin mir nicht sicher, ob ihr das Recht wäre.
Deshalb lächele ich sie nur dankbar an und lege die Jogginghosen auf der Kommode neben mir ab, bevor ich den Umschlag öffne.
Es ist eine Karte, auf der eine große 36 prangt, die so gestaltet ist, als wäre es eine Karte für einen 6-jährigen. Ich muss lächeln, doch als ich sie aufklappe, bleibt mir beinahe das Herz stehen.

Honestly (Felix Lobrecht) (Heavenly #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt