Kapitel 4

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„Will jemand einen Kaffee?"
Ich sehe von meinem Bildschirm auf und schaue meine Kollegin Katharina an, die einen hoffnungsvollen Blick durch unser Großraumbüro schweifen lässt. Auch ich schaue mich kurz um. All meine anderen Kolleginnen und Kollegen sind so in ihre Arbeit vertieft, dass niemand Anstalten macht, auf Katharinas Frage zu antworten.
Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Ich sperre meinen Bildschirm, stehe auf und nicke.
„Bin dabei."
Katharina lächelt mich dankbar an. „Cool."
Wir gehen gemeinsam in die Mensa und holen uns jeweils einen Kaffee. Katharina bezahlt für uns beide und ich bedanke mich mit einem Lächeln bei ihr.
Gemeinsam steuern wir einen der freien Tische in einer Ecke am Fenster an und setzen uns.
Während sie in ihrem Kaffee rührt, schaut Katharina mich fragend an. „Und? Wie geht's dir so?"
Ich zwinge mich ebenfalls zu einem Lächeln und nicke schließlich ein wenig zögerlich. „Ganz gut soweit. Viel zu tun, wie immer."
Wir lachen beide kurz auf. „Und dir?"
Sie nickt. „Auch so." Wir nehmen beide einen Schluck von unserem Kaffee, ehe sich ein vielsagendes Lächeln auf ihre Lippen legt. Das Ziehen in meiner Magengegend beweist mir, dass ich genau weiß, was jetzt kommt.
„Und wie geht's Felix?"

Mit größter Mühe unterdrücke ich ein Seufzen. Katharina ist keine von den Kolleginnen, die mich den ganzen Tag damit löchern, was mein berühmter Freund gerade treibt. Im Gegenteil, sie lässt mich zum Großteil damit in Ruhe und stellt fast keine Fragen, deshalb kann ich es ihr nicht übelnehmen, dass sie es jetzt ausnahmsweise tut. Dass er gerade dabei ist, seine neue Tour zu planen, ist der „Gemischtes Hack"-Hörerschaft nämlich nicht verborgen geblieben.
Ich winke ab und lächele sie vorsichtig an. „Auch gut, aber ich glaub, er ist momentan sehr gestresst. Viel am Telefonieren, viel am Laptop, viel im Büro." Jetzt kann ich das Seufzen doch nicht unterdrücken.
„Ich weiß nicht, was ich mir darunter vorgestellt habe, als er gesagt hat, es ginge jetzt wieder los mit der Planung, aber das war es irgendwie nicht."
Verstohlen schaue ich mich um, aber die Mensa ist bis auf uns beide menschenleer. Trotzdem beuge ich mich ein Stück weiter vor und senke meine Stimme.
„Er ist quasi nur noch damit beschäftigt", sage ich. „Ich meine... ich arbeite 9 to 5 und wenn ich nach Hause komme, wünsche ich mir natürlich, dass wir den Abend zusammen verbringen können. Mir ist auch vollkommen klar, dass das nicht immer geht. Aber in letzter Zeit wird es einfach irgendwie immer... weniger."
Ich stoße ein hörbares Seufzen aus und Katharina schaut mich mit einem mitfühlenden Ausdruck auf dem Gesicht an. Ihr linker Mundwinkel hebt sich.
„Das kann ich gut verstehen", sagt sie. „Aber woanders ist das auch so. Ich meine, auch wenn der Partner nicht gerade eine große Tour plant, kann es Gründe dafür geben, dass man abends keine Zeit füreinander hat. Das ist ganz normal, glaub mir."
Ich muss ein Schlucken unterdrücken. „Meinst du?"
Sie nickt. „Klar. Und es wird auch wieder anders, versprochen." Sie streckt ihre Hand über dem Tisch aus und streichelt mir beruhigend über den Unterarm, was mir eine Gänsehaut beschert.
Katharina und ich verstehen uns sehr gut, aber bisher haben wir noch nie etwas in unserer Freizeit unternommen oder uns über solch privaten Themen unterhalten, was auch daran liegt, dass ich nicht weiß, inwiefern Felix es Recht ist, wenn ich mit Außenstehenden über unsere Beziehung spreche.
Kim ist davon natürlich ausgenommen, aber abseits von ihr und von Felix' Schwester Sophie gab es bisher niemandem, mit dem ich diesbezüglich über Smalltalk hinausgekommen bin.

Ich werfe Katharina ein dankbares Lächeln zu. Es freut mich, dass sie mich beruhigen will.
Kurz denke ich über ihre Worte nach. Ich zögere, bevor ich schließlich sage: „Er hat mir auch schon oft angeboten, einfach mitzukommen, wenn er abends noch spontan ins Büro muss, aber bisher wollte ich das nie."
Sie hebt fragend eine Augenbraue. „Warum nicht?"
„Weil ich nicht das Gefühl haben will, ihm auf die Nerven zu gehen, wenn er eigentlich arbeiten muss."
Zu meiner Überraschung lacht Katharina hell auf. Als sie meinen fragenden Blick auffängt, grinst sie mich an.
„Das Wort Arbeiten ist in der Veranstaltungsbranche Definitionssache", sagt sie. „Ich war mal mit einem Tontechniker zusammen. Wir haben ständig in irgendwelchen Backstage-Bereichen abgehangen. Natürlich hatte er da nicht immer Zeit für mich, aber während er beschäftigt war, hab ich dann einfach was gelesen oder mich mit den anderen unterhalten. Irgendjemand ist immer da, um sich die Zeit zu vertreiben und ich hatte trotzdem irgendwie das Gefühl, dass er mich in seine Arbeit einbindet, auch, wenn es eigentlich nicht so war."
Ihr Grinsen wird zu einem milden, aufmunternden Lächeln. „Was ich damit sagen will: in der Branche ist „arbeiten" nicht das gleiche wie bei uns im Büro. Natürlich gibt es auch da Phasen, in denen man konzentriert vorm PC sitzen und sich etwas anschauen muss, aber abseits davon macht es auch wirklich viel Spaß. Die Leute, die ich bis jetzt so kennengelernt habe, waren auch alle extrem nett. Geh doch einfach mal mit, du hast ja nichts zu verlieren."
Als sie das sagt, merke ich, wie sich in meinem Kopf ein Knoten löst. Ich lächele sie dankbar an und nicke langsam. „Du hast ja Recht."

Den restlichen Arbeitstag über wird meine Laune von Stunde zu Stunde besser. Nachdem ich am Abend meine Sachen eingepackt und mich von den anderen verabschiedet habe, fahre ich mit einem Strahlen im Gesicht nach Hause. Egal, ob Felix heute Zeit hat oder nicht - ich freue mich einfach sehr darauf, ihn zu sehen.
Als ich die Wohnung betrete, steht Felix schon vor mir, noch bevor ich meine Schuhe richtig ausgezogen habe. Er lächelt mich breit an. „Hey."
Er streckt seine Arme nach mir aus, nimmt mein Gesicht in beide Hände und drückt mir einen weichen Kuss auf die Lippen. Sofort bekomme ich eine Gänsehaut.
Eigentlich sollten wir aus der Phase draußen sein, in der ein bloßer Kuss dafür sorgt, dass man auf der Stelle in Ohnmacht fallen will, aber das hier ist anders. Felix konnte es anscheinend gar nicht erwarten, dass ich nach Hause komme, so, wie er mich jetzt anschaut. Mir entfährt ein leicht nervöses Lachen.
„Lass mich erstmal ankommen." Während ich meine Schuhe und die Jacke ausziehe, denke ich über den Satz nach, den ich gerade gesagt habe. Alleine die Tatsache, dass ich ihn sagen kann, ist so viel wert.
Es ist wirklich alles andere als selbstverständlich, dass wir zusammenwohnen und unsere Abende miteinander verbringen können, auch, wenn es in separaten Räumen ist.
Ich verschwinde schnell im Schlafzimmer, um meine Straßenklamotten gegen gemütlichere Kleidung zu tauschen, dann kehre ich zu Felix zurück. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass auf der Küchenzeile Zutaten stehen, aber bevor ich erkennen kann, was es genau ist, greift Felix auch schon nach meinem Arm und zieht mich Richtung Sofa. Überrascht lache ich auf.
„Was wird das hier?", frage ich grinsend. „Sind wir seit Neustem Teil von einem Zeugenschutzprogramm und müssen heute Abend noch überstürzt abhauen?"
„So ähnlich." Er erwidert mein Grinsen und verschränkt unsere Finger miteinander. Dann bekommt sein Blick etwas ernstes, bevor er sich räuspert.
„Ich dachte nur... weil wir in letzter Zeit nicht wirklich was voneinander hatten, machen wir uns heute einen gemütlichen Abend und kochen zusammen. Nur wir beide."
Mein Herz schmilzt. Seine Worte berühren mich so sehr, dass ich beinahe ein schlechtes Gewissen bekomme. Dabei kann er gar nicht wissen, dass ich mich in letzter Zeit ein bisschen vernachlässigt gefühlt habe. Schließlich habe ich nichts gesagt, aber scheinbar kennt er mich so gut, dass er es trotzdem gespürt hat.
Mir entfährt ein erleichtertes Seufzen und ich falle ihm um den Hals. „Das hört sich absolut fantastisch an", flüstere ich. Felix lacht leise auf, schlingt seine Arme um meine Taille und drückt mich fester an sich. „Dachte ich mir", flüstert er zurück.
Als wir uns voneinander lösen, hebe ich fragend eine Augenbraue. „Musst du heute Abend denn nichts mehr machen?"
Er schüttelt den Kopf. „Nichts, was sich nicht auf morgen verschieben lässt."
Ein schelmisches Grinsen legt sich auf seine Lippen. „Ich hab zu meinen Leuten gesagt, dass ich heute Abend Date-Night habe. Dann rufen die schon allein aus Selbstschutz nicht an."
Mir entfährt ein lautes Auflachen und ich umarme ihn nochmal.
„Du bist der beste."

Honestly (Felix Lobrecht) (Heavenly #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt