Kapitel 14

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13. Dezember 2024

Felix

„Hört das eigentlich nie auf?", murmele ich genervt, während ich durch meinen E-Mail Posteingang scrolle. Von allen bürokratischen Tätigkeiten hasse ich Mails beantworten am meisten. Deshalb versuche ich immer, es so gut es geht zu vermeiden, aber heute ging es nicht anders. Becci, Quynh und ich mussten uns aufteilen, um der Flut an E-Mails von den Veranstaltern, Caterern und Venues gerecht zu werden.
Ich hebe meinen Laptop kurz an, nehme das linke Bein von meinem rechten Oberschenkel und verschränke meine Beine zum Schneidersitz. Von außen muss das völlig bescheuert aussehen, aber für mich ist es die bequemste Art zu arbeiten, wenn ich schon mit meinem Laptop auf der Couch sitzen muss.
In meinem Arbeitszimmer halte ich es aktuell nicht aus. Seit mich der Aufräum-Wahn gepackt hat und ich alles weggeschmissen habe, was ich nicht mehr brauche, fühle ich mich dort nicht mehr wohl. Jetzt ist dort alles viel zu ordentlich, zu perfekt, zu professionell und vor allem zu wenig Felix.
Als ich vor ungefähr zwei Stunden mit meinem Laptop ins Wohnzimmer gekommen bin, musste ich Maddie nur einen knappen Blick zuwerfen, schon hat sie nach ihrem Buch gegriffen und ist damit im Schlafzimmer verschwunden.
Ich hasse es, dass wir mittlerweile auf diesem Level angekommen sind.
Mitbewohner, mehr sind wir nicht. Mitbewohner, die aus sadistischen Gründen weiterhin zusammen in einem Bett schlafen, weil sie ganz offensichtlich auf Selbstgeißelung stehen.
Frustriert stöhne ich auf. Am liebsten würde ich meinen Laptop an die Wand klatschen, eine rauchen gehen und mir danach einen runterholen, aber das würde die Mails auch nicht schneller aus meinem Postfach befreien. Leider.
Ich stelle den Laptop kurz zur Seite und vergrabe mein Gesicht in beiden Händen.

Auf einmal höre ich Schritte. Dann ein zaghaftes Räuspern. „Felix?"
Ich nehme die Hände von meinem Gesicht. Maddie steht vor mir und sie sieht atemberaubend aus. Ich schaue zu ihr hoch und versuche dabei, so gleichgültig und neutral wie möglich auszusehen, obwohl die Tatsache, dass sie vor mir steht und ich sie nicht berühren darf, mich von innen auffrisst. „Ja?"
Sie sieht ein wenig schuldbewusst aus.
Was kommt jetzt?, frage ich mich. Willst du mir vielleicht vorschlagen, dass wir zusätzlich dazu, dass wir im selben Bett schlafen, auch wieder mit bumsen anfangen, um diesem ganzen Arschfickgaga so richtig den Rest zu geben?!
Im nächsten Moment würde ich mir für den Gedanken am liebsten eine Schelle geben. Ich bin unfair. Zwar in meinem Kopf, aber ich bin unfair.
Sie räuspert sich nochmal, dann macht sie vorsichtig ein paar Schritte auf die Couch zu und deutet darauf. „Darf ich?"
Ich atme hörbar aus und nicke, wobei ich nicht verhindern kann, dass sich ein leichtes, kaum merkliches Schmunzeln auf meine Lippen legt, weil sie immer noch nicht verstanden hat, dass sie mich das nicht fragen muss.
„Immer."

Ein wenig zögerlich setzt sie sich neben mich, ganz vorne auf die Kante des Sofas.
Ganz offensichtlich will sie mir irgendwas sagen, was mir nicht gefallen wird, sonst würde sie nicht so ein Gesicht machen.
„Also, ich... hab mich mal umgehört. Wegen Wohnungen, meine ich." Sofort merke ich, wie sich eine unsichtbare Faust um mein Herz krampft, doch ich versuche mit aller Kraft, mir nichts anmerken zu lassen.
„Und das ist gar nicht so leicht. Aber gestern hat mich meine Kollegin Katharina angesprochen. Sie... sucht nach einer neuen Mitbewohnerin, ihre ist vor zwei Monaten ausgezogen. Und ich könnte bei ihr einziehen."
Sie macht eine kurze Pause und sieht mich an, als würde sie darauf warten, dass ich etwas dazu sage, aber ich tue es nicht. Deshalb ergreift sie wieder das Wort.
„Es wäre auch nur vorübergehend. Bis ich was eigenes gefunden habe, was... dauern kann."
Bei diesem Satz muss ich wirklich aufpassen, nicht zu lachen. Der Berliner Wohnungsmarkt ist eine absolute Katastrophe. Es wird Monate, vielleicht sogar Jahre dauern, bis sie etwas gefunden hat, was zu ihren Bedürfnissen passt und einigermaßen bezahlbar ist.
Ein paar Sekunden schauen wir uns nur an und beinahe verliere ich mich in ihren Augen, bis ich wieder zu mir komme und schließlich nicke. Es ist ein zögerliches und alles andere als begeistertes Nicken, aber es ist das einzige, wozu ich mich durchringen kann.
Maddie scheint meine Reaktion auch nicht wirklich einschätzen zu können. „Ist das okay?", fragt sie vorsichtig und ich kann nicht verhindern, dass mir ein Seufzen entfährt.

Nein. Nein, verdammt, ist es nicht. Ich will, dass du hier bleibst. Hier, bei mir, damit ich dich wenigstens weiterhin sehen kann, auch, wenn ich dann in jeder einzelnen Sekunde daran erinnert werde, was ich verloren habe. Ich will dich weiterhin sehen, damit ich Abend für Abend hoffen kann, dass du dich doch wieder in meine Arme legst. Ich will einfach nur, dass alles wieder so wird, wie es war.
Weil ich dich so sehr liebe, dass es mir die verdammte Kehle zuschnürt, Maddie.

Aber natürlich sage ich nichts davon. Weil ich kein Arschloch bin. Weil ich ihr versprochen habe, dass ich es uns beiden nicht unnötig schwer machen werde. Weil es so schon schwer genug ist.
Es ist verdammt schwer und es ist nicht zu glauben, aber es ist die Realität.
Maddie schaut mich noch immer fragend an und wenn es nach mir ginge, könnten wir noch stundenlang hier sitzen und uns anschauen, aber so langsam sollte ich wohl ihre Frage beantworten.

Schließlich seufze ich leise auf und nicke. „Ja", sage ich mit einer Stimme, die nicht wirklich nach meiner klingt. „Natürlich ist das okay."
Aus irgendeinem Grund scheint meine Antwort sie zu erleichtern. „Gut", sagt sie und lächelt.
Sie lächelt einfach! Ganz vorsichtig und kaum sichtbar, aber sie tut es. Es ist mir völlig unklar, warum. „Dann kann ich Katharina schreiben, dass das klappt."
Ich muss mich wirklich zusammenreißen, um sie nicht zu fragen, warum sie dabei so begeistert klingt. Zum Glück merkt sie nichts davon, wie sehr ich gerade gegen meine eigenen Reflexe ankämpfen muss.
Sie steht auf, doch dann scheint ihr noch etwas einzufallen. Sie dreht sich noch einmal zu mir um und wirft mir einen fragenden Blick zu.
„Weil es nur vorübergehend ist, würde ich gerne erstmal nur die wichtigsten Sachen mitnehmen und den Rest bei dir lassen, bis ich eine dauerhafte Wohnung habe. Wäre das ein Problem für dich? Ich meine, ich könnte es völlig verstehen, wenn du das nicht willst. Ich will dich ja auch nicht ausnutzen oder so, es ist so schon großzügig genug von dir, dass ich bis jetzt bei dir wohnen durfte und -"
„Es ist okay", falle ich ihr ins Wort. Sie soll einfach damit aufhören, herumzustammeln.
Das Lächeln von vorhin, das dafür sorgt, dass sich mir die Zehennägel aufrollen, kehrt augenblicklich auf ihr Gesicht zurück.
„Danke, Felix. Ich weiß das sehr zu schätzen. Eine Woche, dann bist du mich los, versprochen."
Ich reiße die Augen auf.
Wie bitte? Nur eine Woche?!
Doch bevor ich genauer nachfragen kann, was sie damit meint und warum es ihr auf einmal anscheinend nicht mehr schnell genug gehen kann, von mir wegzukommen, ist sie auch schon abgerauscht.

Honestly (Felix Lobrecht) (Heavenly #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt