Kapitel 21

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Irgendwie hatte ich befürchtet, mich in der Wohnung fremd zu fühlen, jetzt, wo ich seit über einem Monat nicht mehr hier wohne, aber ich merke, dass das vertraute Gefühl von Geborgenheit und Zuhause ganz von alleine einsetzt.
Ich weiß nicht, ob es wirklich an der Wohnung oder einfach nur an Felix liegt, aber ich nehme es trotzdem dankbar an.
Felix nimmt wortlos meine Jacke entgegen und hängt sie an die Garderobe, dann ziehe ich meine Schuhe aus und stelle sie ab.
Abwartend und ein wenig unsicher schaue ich ihn an. Will er ins Wohnzimmer? Ins Schlafzimmer? Auf den Balkon?
Felix scheint sich die gleiche Frage zu stellen. Er deutet mit dem Finger in Richtung Schlafzimmer und hebt dabei fragend die Augenbrauen. Ich nicke schnell.
Mich jetzt neben ihm auf die Couch zu setzen - dort, wo alles angefangen, aber auch alles geendet hat - würde sich einfach nur falsch anfühlen.
„Geh schon mal vor", sage ich und lächele matt. „Ich muss noch kurz auf Toilette."
Felix lacht. „Stimmt ja. Blasenentzündung und so."
Ich nicke grinsend und verschwinde schnell in seinem Gästebadezimmer. Während ich auf der Toilette sitze, schaue ich mich ganz genau um, als wäre ich zum ersten Mal hier. Ich präge mir jede Fliese und jeden Dekogegenstand genau ein.
Als mein Blick auf die Comedy- und Podcastpreise fällt, die er hier aufgestellt hat, entfährt mir ein Lachen, das automatisch die Leichtigkeit zurückbringt, mit der ich mich noch vor ein paar Wochen völlig selbstverständlich hier aufgehalten habe.
Rückblickend kommt es mir wie ein Fiebertraum vor, dass wir wirklich zusammengewohnt haben.
Nachdem ich mir die Hände gewaschen und abgetrocknet habe, gehe ich auf wackeligen Beinen ins Schlafzimmer.
Ich weiß nicht, wo das Selbstbewusstsein hin ist, mit dem ich vorhin auf seinen Schoß geklettert bin und mit ihm geschlafen habe, aber jetzt, wo es wirklich ernst wird, werde ich mit jedem Schritt ein bisschen nervöser.

Felix hat sich in einer entspannten Position auf dem Bett niedergelassen, so, dass es gerade noch als sitzen durchgeht.
Insgeheim bin ich froh, dass er mir die Entscheidung abgenommen hat, in welchem Winkel wir uns für dieses Gespräch hinsetzen. Auf dem Sofa hätte es dafür nicht viele Optionen gegeben, im Bett gibt es dafür quasi unendlich viele.
Ich werfe ihm ein zaghaftes Lächeln zu, krabbele neben ihn - auf meine Seite - und lasse mich ein wenig nach unten rutschen, bis ich ungefähr auf der gleichen Höhe sitze wie Felix.
Er lächelt mich liebevoll an und ich frage mich, womit ich das verdient habe. Seit seine Lippen meine berührt haben, hat er kein einziges vorwurfsvolles Wort mir gegenüber verloren. Dabei habe ich tief in mir drin fest damit gerechnet, dass er das tun würde.
Fast fühle ich mich schlecht deswegen. Mir entfährt ein Seufzen und ich schaue kurz an die Decke, um zu überlegen, was ich sagen soll.
„Es war mir einfach alles zu viel", höre ich mich plötzlich sagen. Felix sieht mich überrascht an.
Wahrscheinlich hat er erwartet, dass er mich erstmal eine Weile mit Fragen löchern muss und hat bis jetzt überlegt, welche Fragen die richtigen sind. Diese Entscheidung nehme ich ihm jetzt ab.
Es gibt ohnehin nur eine alles entscheidende Frage, und die lautet: was war los?
Ich räuspere mich kurz und greife nach seiner Hand. Automatisch verschränken unsere Finger sich miteinander, als hätten sie nie etwas anderes getan.
Ich schaue ihm in die Augen, bevor ich weiterspreche.

„Ich weiß auch nicht, aber auf einmal war ich einfach so... überfordert, verstehst du?" Felix sagt nichts und schaut mich nur abwartend an, aber ich sehe ihm an, dass er überhaupt nichts versteht.
Wie soll er auch? Ich spreche nur in Rätseln.
Während ich nach Worten ringe, sagt er kein Wort. Er lässt mir genau den Raum, den ich brauche, um mich zu sortieren.
Meine Gedanken rasen und ich merke, wie langsam ein Kloß in meiner Kehle heranwächst, doch bevor meine Emotionen mich überwältigen und davon abhalten können, zu sprechen, öffne ich den Mund.
„Das alles hier." Ich mache eine vage Handbewegung. „Ich meine... Ich war mir so sicher, dass das mit uns beiden das richtige ist, dass ich bei dir perfekt aufgehoben bin und du bei mir. Aber als deine Bühnenpause dann vorbei war, hatte ich auf einmal das Gefühl, dass ich dein richtiges Leben, deinen normalen Tagesablauf bis dahin gar nicht kannte. Und deine Schwester hat mir das bestätigt."
Ich räuspere mich und Felix setzt sich ein Stück auf, doch bevor er einhaken kann, spreche ich weiter. „Du musstest ständig spontan weg und warst auf einmal in einer Art dauerhaften Stresszustand, der mir einfach Angst gemacht hat. Ich wusste nicht, wie ich dir helfen kann und habe mich machtlos gefühlt."
Ich mache eine kurze Pause. Felix nickt langsam.
„Und gleichzeitig wusste ich, dass ich die erste Frau bin, von der öffentlich bekannt ist, dass sie mit dir zusammen ist und das hat bei mir einfach Druck ausgelöst."
Ich wende meinen Blick von ihm ab und lasse ihn langsam über seine Bettdecke schweifen, weil ich es nicht mehr aushalte, ihm bei diesem Gespräch in die Augen zu schauen. Wenn er mich noch länger so anschaut, muss ich vielleicht doch heulen.
„Das alles in Kombination mit der Tatsache, dass ich für dich in eine andere Stadt gezogen bin und damit ungewollt unsere Beziehung auf eine ernstere Ebene gehoben habe, als die meisten Menschen es nach den paar Monaten, die wir zu dem Zeitpunkt zusammen waren, tun, das..."
Ich nehme einen tiefen Atemzug. „Das hat mich einfach komplett überfordert. Alles."
Erst jetzt sehe ich Felix wieder an. Sein Gesicht hat sich zu einem nachdenklichen Ausdruck verzogen. Er scheint eine ganze Weile zu brauchen, bis das, was ich gesagt habe, bei ihm ankommt, doch dann nickt er langsam.
„Ich glaube, ich weiß, was du meinst", murmelt er. Dann verstummt er wieder, um nachzudenken. Gerade als ich denke, dass ich jetzt vielleicht wieder etwas sagen sollte, ergreift er erneut das Wort.
„Und das mit dem... Sex?" Mir entfährt ein langgezogenes Seufzen.
Ich hatte gehofft, er würde es nicht ansprechen, aber natürlich tut er das. Es ist sein gutes Recht und ich würde mich wahrscheinlich das gleiche fragen.
Augenblicklich muss ich wieder an Kims Worte denken.

Honestly (Felix Lobrecht) (Heavenly #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt