Kapitel 10

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Zu sagen, dass die Weihnachtsfeier ein Erfolg war, wäre eine gnadenlose Untertreibung. Quynh ist, so wie ich, ein eher zurückhaltender Typ, aber Nadja und Filiz haben mich sofort in ihre Mitte genommen. Es hat keine Stunde gedauert, bis ich mich von Felix abgekapselt und mit den Mädels einen Shot nach dem anderen getrunken habe. Über die Witze von Kinan und Daniel habe ich gelacht, bis mir die Tränen gekommen sind.
Am Ende des Abends waren wir alle zusammen so betrunken gewesen, dass wir die Autos stehenlassen und mit dem Taxi nach Hause fahren mussten. Es war die lustigste, aber auch unangenehmste Taxifahrt meines Lebens.
So überdreht habe ich Felix noch nie erlebt.
Wenn ich genau drüber nachdenke, habe ich ihn bisher generell noch nie betrunken erlebt. Zum Glück, sonst wäre ich wahrscheinlich schon längst an einem Lachanfall gestorben und hätte es gar nicht erst zu dieser legendären Weihnachtsfeier geschafft.

Am nächsten Morgen wachen Felix und ich beide mit dröhnenden Kopfschmerzen auf. Nachdem wir beide ein bisschen gejammert und rumgeächzt haben, zieht Felix mich in seine Arme.
„Hattest du Spaß?", flüstert er und streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Ich nicke schnell.
„So viel wie schon lange nicht mehr", antworte ich ebenfalls flüsternd und lächele ihn an. Meine Antwort scheint ihn zufriedenzustellen. Er küsst mich so leidenschaftlich wie schon lange nicht mehr, und in diesem Moment ist mir sogar egal, dass er noch immer nach einer Mischung aus Bier, Jägermeister, Jack Daniels und Rauch schmeckt.
„Fuck, ick glaub, ick bin immer noch betrunken", murmelt er und grinst mich schief an. Ich muss lachen und piekse ihm mit dem Zeigefinger in den Bauch. „Verliebt", korrigiere ich ihn.
„Verliebt ist das Wort, das du suchst."
Felix lacht ebenfalls, dann richtet er sich auf und drückt mich an meinen Schultern tiefer in die Matratze. „Das auch", antwortet er, seine Stimme ist nicht mehr als ein Hauchen. „Und horny."
Als er sich über mich beugt und die Beule in seiner Hose meine Mitte streift, stelle ich fest, dass er nicht gelogen hat. Mir entfährt ein schwaches Seufzen und ich richte mich auf, um ihn zu küssen. Diesmal werden wir nicht anfangen, bevor ich bereit bin, schwöre ich mir.
Wir küssen uns so lange und so intensiv, dass ich beinahe vergesse, wo ich bin. Plötzlich löst Felix sich von mir und ich würde taumeln, wenn ich nicht gerade unter ihm liegen würde.
„Hast du Bock?", fragt er leise mit einem vorsichtigen Lächeln auf den Lippen. „Oder soll ick lieber noch ein bisschen an dir rumfummeln?"
Er wackelt anzüglich mit den Augenbrauen, ohne, dass sein Lächeln verrutscht. Dieser Anblick kombiniert mit seiner Wortwahl bringt mich zum Lachen, aber dennoch zögere ich.
Wenn ich ehrlich bin, habe ich gerade auch mit Vorspiel keine große Lust auf Sex. Ich würde viel lieber noch ein bisschen mit ihm hier liegen, knutschen und die Zeit verstreichen lassen.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und weiche seinem Blick aus. Wenn ich jetzt nein sage, wird er enttäuscht sein. Also entscheide ich mich für einen Kompromiss, den einzigen, von dem ich mir sicher bin, dass er sich auf ihn einlassen wird.
„Kann ich dir nicht einfach einen blasen?", frage ich leise. Ich halte die Luft an, doch zu meiner Verwunderung bricht Felix nicht in Begeisterungsstürme aus.
Er hebt überrascht die Augenbrauen, seine Lippen verziehen sich zu einem Strich. Ich merke, wie das Herz in meiner Brust immer schneller klopft, aber nicht auf die gute Art.
Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Dann richtet Felix sich mit einem Seufzen auf und lässt sich auf seine Seite des Bettes fallen.
Ohne. Ein. Einziges. Wort. Zu. Sagen.
Ich drehe mich auf die andere Seite, weil ich ihm nicht zeigen will, wie verletzt ich bin und das, obwohl ich ganz alleine Schuld daran bin, dass die Stimmung gerade von 100 auf 0 gekippt ist.
Kurz ist es still, dann reißt seine Stimme mich aus meinen Gedanken.
„Ich geh eine rauchen."
Dann steht er auf und ist im nächsten Moment aus dem Schlafzimmer verschwunden.

Ich sehe ihm nach, obwohl er längst weg ist, dabei rauscht das Blut in meinen Ohren. In mir herrscht das reinste Gefühlschaos.
Was hätte ich machen sollen? Hätte ich ja sagen sollen, obwohl ich eigentlich keine Lust hatte? Dann wäre das Ganze genauso ausgegangen wie neulich, als wir mittendrin abgebrochen haben. Und Felix hat mir mehr als deutlich klar gemacht, dass er sowas nicht mehr will, also wo war jetzt genau das Problem? Dass ich ihm stattdessen einen Blowjob angeboten habe?
Unweigerlich muss ich an den ersten Morgen denken, an dem wir nebeneinander aufgewacht sind. Genau hier, in seinem Bett, nachdem er mich am Abend zuvor auf seiner Couch gevögelt hat.

Honestly (Felix Lobrecht) (Heavenly #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt