Kapitel 11

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Auf einen Schlag scheint Felix stocknüchtern zu sein. Seine Gesichtszüge entgleisen komplett.
Er zieht die Augenbrauen so weit hoch, dass sie jeden Moment seinen Haaransatz berühren müssten.
„Wie bitte?!"
Er schüttelt den Kopf, einmal, zweimal, dreimal, dann rückt er ein Stück näher zu mir vor und streckt die Hand nach mir aus, doch ich weiche automatisch zurück.
„Bitte nicht", flüstere ich unter Tränen.
Ein paar Sekunden schauen wir uns nur an. Er sieht mir in die Augen, die Fassungslosigkeit deutlich ins Gesicht geschrieben. Er schaut mich einfach nur an und sieht mir dabei zu, wie ich weinend vor ihm sitze, weil ich gerade mit ihm Schluss gemacht habe.

Scheiße. Ich habe gerade wirklich mit Felix Schluss gemacht. Einfach so.

Ich wische mir mit dem Handrücken übers Gesicht, ohne dabei aufzuhören, zu schluchzen.
Das hier ist an Erbärmlichkeit wirklich nicht mehr zu überbieten. Gerade habe ich mit einem einzigen Satz unsere Beziehung beendet und ich bin diejenige, die heult wie ein Schlosshund.
Felix scheint das Ganze genauso wenig ertragen zu können wie ich. Er stößt ein tiefes Seufzen aus, dann steht er auf und verlässt den Raum, nur, um kurz darauf mit einer Packung Taschentücher zurückzukommen. Als ich zu ihm aufschaue, hält er sie mir hin und sieht mich auffordernd an. „Nimm."
Wortlos greife ich danach, ziehe ein Taschentuch hervor und putze mir damit die Nase.
Felix setzt sich wieder neben mich, beobachtet mich dabei und sagt kein einziges Wort.
Es scheint ihm buchstäblich die Sprache verschlagen zu haben und auf einmal tut es mir leid, dass ich ihn so überrumpelt habe, aber ich hatte keine andere Wahl. Oder...?
Nein. Nein, hatte ich nicht. Wir können so nicht weitermachen. Ich kann nicht länger mit ihm zusammen bleiben, wenn ich jeden Abend auf dem Nachhauseweg bete, dass er all seine To Dos für den Tag erledigt hat und dann insgeheim enttäuscht bin, wenn es nicht so ist.
Das ist einfach nicht fair, nicht für mich und vor allem nicht für ihn.

Eine ganze Weile bleiben wir so nebeneinander sitzen, bis meine Tränen versiegt sind. Felix bleibt die ganze Zeit über stumm und schaut mich nur an. In seinen Augen glaube ich zu erkennen, dass auch er mit den Tränen kämpft, aber er reißt sich zusammen. Er will stark bleiben, für mich.
Und das alleine ist ein so tiefer Schlag in meine Magengrube, dass ich beinahe von Neuem anfange, zu heulen.
Mein Blick wandert zur Uhr an der Wand. Von dem Zeitpunkt an, als ich das Wohnzimmer betreten habe, ist bis jetzt fast eine halbe Stunde vergangen. Eine halbe Stunde, in der das, was wir hatten, wie ein Kartenhaus zusammengefallen ist.
Weil ich es umgeworfen habe.

Als meine Tränen endlich getrocknet sind, sieht Felix mich noch eine Weile stumm an, bis er langsam den Kopf schüttelt und seinen Mund öffnet. Er scheint mich jetzt für zurechnungsfähig genug zu halten, um darüber zu sprechen, aber ich will nicht reden. Ich habe alles gesagt, was ich sagen wollte, aber ich muss ihm die Chance einräumen, sich auch dazu zu äußern.
Alles andere wäre nicht fair.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll."
Der Klang seiner Stimme ist so hohl und fremd, dass ich überrascht aufsehe. Ich weiß nicht, womit ich gerechnet habe, aber das war es nicht.
Seine Augenbrauen ziehen sich in der Mitte zusammen und er schüttelt nochmal den Kopf. „Das... also... ich meine, hä?"
Sofort merke ich, dass sich wieder ein Kloß in meinem Hals bildet und ich schlucke ihn schnell herunter. „Es tut mir leid", flüstere ich. „Ich liebe dich wirklich sehr, Felix, ehrlich. Und genau deswegen muss ich das tun."
Ich tupfe mir mit beiden Händen unter den Augen entlang, um Tränen wegzuwischen, die gar nicht da sind.
„Ich kann nicht länger mit dir zusammen sein, wenn ich dir nicht 100% von dem geben kann, was du verdient hast." Ich ziehe die Nase hoch.
„Du hast es nicht verdient, dich mit einem  Kompromiss zufrieden geben zu müssen", flüstere ich. „Du hast das beste verdient. Und das bin im Augenblick nicht ich."
Dieser Satz scheint ihn zu treffen wie ein Vorschlaghammer. Fast glaube ich, erkennen zu können, wie er zurückweicht, aber vielleicht ist es auch nur Einbildung. Langsam und fassungslos schüttelt er den Kopf.

Er atmet tief ein und aus, bevor er antwortet. „Verstehe. Oder nein, ich verstehe überhaupt nichts, aber egal."
Er seufzt. „Heißt das jetzt, dass... also... fuck, darf ich dich wenigstens noch einmal kurz umarmen?"
Erstaunt sehe ich ihn an und ringe mit mir. Eigentlich wäre es vernünftiger, es nicht zu tun, weil es das Ganze für uns dann noch viel schwerer machen wird. Andererseits ist unser letzter Versuch in Sachen körperlicher Intimität vor knapp einer Stunde kläglich gescheitert, deswegen ist es wahrscheinlich in Ordnung, wenn wir uns diesen einen Moment erlauben.
Nur noch einmal.
Ich nicke knapp und wie in Zeitlupe stehen wir gleichzeitig auf. Kurz sehen wir uns nur an, dann macht Felix einen Schritt auf mich zu, ich mache einen Schritt auf ihn zu und im nächsten Moment halten wir uns in den Armen.
Aus Gewohnheit lege ich den Kopf auf seiner Schulter ab, seine Hände streicheln langsam und behutsam über meinen Rücken.
Erst macht sich ein vertrautes Gefühl von Geborgenheit in mir breit, doch dann merke ich, wie sich ein Ball in meinem Bauch formt, der immer größer wird und beinahe zu platzen droht.
Das hier zerreißt mich. Es zerreißt mich so sehr, dass ich ihn loslassen muss, obwohl ich es eigentlich gar nicht will.
Als wir uns voneinander lösen, sehe ich, dass jetzt auch in seinen Augen Tränen glitzern. Und dieser Anblick dreht mir beinahe den Magen um.
Das halte ich nicht aus. Ich halte es nicht aus, Felix so zu sehen, aber er hat es auch ausgehalten und das nicht nur vorhin, sondern auch schon unzählige Male davor.
Als sich ein Schluchzen aus seiner Kehle Bahn bricht, zucke ich zusammen. Es läuft mir eiskalt den Rücken herunter und dann wird mir von jetzt auf gleich knallheiß.
Ich will meinen Blick von ihm abwenden, aber ich zwinge mich, hinzusehen, während nach und nach Tränen seine Wangen herunter laufen.

Sieh es dir nur an, sagt die Stimme in meinem Kopf. Sieh dir an, was du angerichtet hast. Du bist schuld daran. Du ganz alleine.

Ich widerstehe dem Drang, ihn nochmal in den Arm zu nehmen und greife stattdessen nach den Taschentüchern, die ich vorhin auf dem Wohnzimmertisch abgelegt habe. Ich ziehe eins heraus und halte es ihm hin.
Mit einem knappen Nicken nimmt er es an und dann, endlich, dreht er sich von mir weg.
Ich schließe meine Augen und höre ihm beim Weinen zu, während er sich die Nase putzt.
Und dieses Geräusch sorgt dafür, dass automatisch ein Instinkt in mir anspringt, der mir sagt, dass ich mich aus dieser Situation befreien muss. Jetzt sofort, denn sonst...
„Sorry", flüstere ich, als er sich wieder zu mir umdreht und ich sein verzweifeltes, verheultes Gesicht sehe. „Ich muss nur kurz..."
Dann presse ich mir die Hand vor den Mund und flüchte ins Badezimmer, wo ich es gerade so schaffe, den Klodeckel gegen die Fliesen zu schlagen, bevor ich mich übergebe.

Honestly (Felix Lobrecht) (Heavenly #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt