Prolog

106 4 0
                                    

Atemlos warfen die Flüchtigen einen Blick zurück ins Tal auf die berittene Meute, die sie verfolgte. Der Abstand wurde immer kleiner, bald würde man sie eingeholt haben. Der entmachtete König Cumulus mochte nicht daran denken, was passieren würde, wenn sein Schild in die Hände dieser machtbesessenen Horde fiel. Nur wenige seiner Getreuen waren bei ihm geblieben, mit ihm geflohen, als Furnius, der Oberbefehlshaber seiner Armee, den Palast gestürmt hatte und alles niedermetzelte, was sich ihm in den Weg stellte. Zu übermächtig waren seine Feinde, Verrat und Korruption hatten die Schar seiner Getreuen auf acht Männer schrumpfen lassen. Acht Männer, von denen ein jeder ihn bis zum Tod verteidigen würde. Doch welchen Sinn hätte ein solches Opfer?

‚Ausgerechnet Furnius', dachte Cumulus verzweifelt. ‚Mein ehemals bester Freund wendet sich gegen mich'. Der König hatte ihm jahrelang vertraut, ihm sein Heer unterstellt und ihn in all seine Entscheidungen mit einbezogen. Erst als es zu spät war, verstand Cumulus, dass Furnius ihm die Freundschaft nur vorgespielt hatte und er einzig und allein nach der Macht des Schildes gierte.

Cumulus fühlte keine Angst, nur Verbitterung und Schmerz. Und eine tiefe Verzweiflung darüber, dass ausgerechnet der Mann, den er von Kindesbeinen an zu kennen glaubte, den er liebte wie einen Bruder, sich mit Waffengewalt gegen ihn wandte.

Cumulus drehte sich um, um einen weiteren Blick auf die Soldaten zu werfen, die ihn und seine 8 getreuen Diener verfolgten. ‚Vielleicht haben ihre Pferde Probleme mit dem steinigen Gelände. Wenn wir es bis zum Fluss schaffen, sind wir gerettet', hoffte er inständig und übersah dadurch eine Felsspalte im Boden. Sein rechtes Fußgelenkt verfing sich daran. Mit einem lauten Aufschrei ging er zu Boden, ein knirschendes Geräusch verriet ihm, dass er den Sturz nicht unbeschadet überstanden hatte.

„Majestät, bitte erhebt Euch. Wir müssen weiter. Der Fluss ist nur noch 2 Meilen entfernt. Wir dürfen keine Zeit verlieren!", mahnte einer der 8 Männer.

Cumulus versuchte, sich zu erheben, sank jedoch mit einem lauten Schmerzenslaut auf den Lippen zu Boden. „Ich kann nicht mehr!", stöhnte er auf. „Ihr müsst alleine weiterziehen. Vielleicht kann ich Furnius aufhalten, so dass Ihr den Fluss erreicht!"

„Aber Majestät, wir können Euch hier nicht liegen lassen! Und was wird aus dem Schild? Wenn es in die Hände dieses Verräters fällt, ist das das Ende!"

Helfende Hände zerrten den König nach oben, doch Cumulus konnte keinen Schritt mehr gehen, ohne entsetzliche Schmerzen zu haben.

„Wir dürfen hier nicht verweilen!", rief einer seiner Begleiter. „Ich werde Euch tragen, wenn es sein muss!"

„Dann sind wir alle verloren", flüsterte der König. „Bringt das Schild in Sicherheit und überlasst mich meinem Schicksal. Niemals darf es in die Hände Furnius' fallen!"

Cumulus überlegte einen kurzen Moment. Dann nickte er. „Die Macht des Schildes ist zu verlockend, kein Unwürdiger soll es jemals berühren", wisperte er mit schwacher Stimme. Er zog sein blitzendes Schwert aus der Scheide und schlug auf das Schild ein, das unter der Wucht der Hiebe in 8 Teile zersprang.

„Das ist mein letzter Befehl an Euch. Jeder soll ein Stück des Schildes nehmen und mit sich führen. Versucht, über den Fluss zu entkommen. Sobald Ihr in Sicherheit seid, müssen sich Eure Wege trennen. Versteckt die Bruchstücke gut, so dass niemals mehr ein Mensch in der Lage ist, das Schild wieder zusammenzuschmieden und seine Macht zu erneuern. Ich übertrage das Schicksal der Menschheit in Eure Hände. Mögen die Götter Euch gnädig sein!"

Die Männer versuchten, zu protestieren. Cumulus hier zurückzulassen, wäre sein Todesurteil. Doch der König duldete keinen Widerspruch und in ihrem Inneren wussten die Männer, dass er recht hatte.

Mit Tränen in den Augen griff jeder nach einem Bruchstück des Schildes. Ein letztes Mal verbeugten sie sich vor ihrem Herrn, drückten und umarmten ihn, ehe sie weiterrannten, weg von ihren Verfolgern, dem rettenden Fluss entgegen.

Cumulus blickte ihnen noch kurz hinterher, während sie in dem unliebsamen Gelände verschwanden. „Gehabt Euch wohl, meine treuen Freunde", flüsterte er als letzten Abschiedsgruß, „und verzeiht mir meine Schwäche. Eine einsame Träne lief aus seinen grünen Augen über seine staubigen, eingefallenen Wangen, als er mühsam und vor Schmerzen aufstöhnend zu einem kleinen Abhang humpelte und sein schartiges Schwert in das Buschwerk warf. Vielleicht würde Furnius' blutheischende Meute das silbrige Glitzern für das Schild halten und hinabsteigen, um es zu bergen, was seinen treuen Dienern den nötigen Vorsprung verschaffen konnte. Für ihn war die Waffe nutzlos geworden, Furnius würde sofort erkennen, dass Cumulus den Schild zerschlagen hatte und alles daran setzen, die Flüchtigen aufzuhalten.

Der entmachtete König ließ sich auf den ausgetrockneten Boden fallen und wartete. Auf seine Häscher. Auf seinen früheren besten Freund. Auf seinen Tod.

Nach 10 Minuten hörte er Hufgeklapper, laute, raue Stimmen und das Klirren von Schwertern. Cumulus stöhnte laut auf, der Schmerz in seinem rechten Fuß vernebelte fast seine Sinne und ließ ihn schier wahnsinnig werden. Wie durch einen Vorhang sah er Furnius, der von seinem edlen Reitpferd abstieg und sich höhnisch grinsend über ihn beugte.

„Nun, Cumulus, so allein? Haben Dich jetzt Deine edlen Gefährten im Stich gelassen? Dachtest Du wirklich, Du könntest uns entfliehen und mir das vorenthalten, wonach mein Herz sich sehnt? WO IST DER SCHILD?!", schrie er seinen verratenen König an.

Cumulus blickte von unten in die stechenden Augen des Verräters. Nun lag es allein an ihm, ob er den vermeintlichen Freund täuschen und so den Hütern der Schildteile zur Rettung verhelfen konnte. „Die anderen haben mich mitsamt dem Schild diesen Abhang hinuntergeworfen und sind geflohen. Sie... Sie meinten, Du wärst ohnehin nur hinter mir her und überließen mich meinem Schicksal. Beim Hochklettern habe ich es fallen lassen!"

Furnius lachte auf. Für ihn bestand keinen Augenblick lang Zweifel an Cumulus' Version, hätte er doch ebenso gehandelt wie die Männer, nur mit dem Unterschied, dass er den Schild vorher an sich gerissen hätte. Als ihm dann auch noch einer seiner Männer meldete, dass aus den Büschen an diesem Abhang etwas silbern zu glänzen schien, war das für Furnius der letzte Beweis für die Wahrheit der Aussage. Bald, sehr bald würde ER den magischen Schild besitzen und dann wäre ER der König. Er wies zwei seiner Männer an, nach unten zu steigen und den Schild zu bergen.

Ungeduldig stand er am Rande des Abhangs und sah seinen Kriegern dabei zu, wie sie sich vorsichtig über die glatten Steine nach unten bewegten, bis sie schließlich nach 15 Minuten klettern endlich bei dem Busch angelangt waren, aus dem das silbrige Glitzern kam. Cumulus zitterte vor Aufregung, sein Herz schlug wie wild in seiner Brust. ‚Ich denke, nun dürften meine Gefährten beim Fluss angekommen sein', zog der hoffnungsvolle Gedanke durch den Kopf des früheren Königs.

Lautes Wutgeschrei ertönte, als Furnius sah, dass das aufblitzende Silber nicht von dem begehrten Schild, sondern von Cumulus Schwert stammte. „Wo ist der Schild?", zischte er seinen früheren Freund an. Dieser lächelte ihn milde an. „Weg!", antwortete Cumulus. „Dein Streben wird unerfüllt bleiben. Niemals wirst Du die Macht des Schildes für Deine Machtgier missbrauchen, Deine Hand wird ihn nie berühren!"

„Das wirst Du bereuen!" Furnius Augen funkelten vor Wut und sein sonst so ebenmäßig schönes Gesicht war vor lauter Zorn verzerrt. „Aufsitzen!", brüllte er seine Mannen an. „Verfolgt die Flüchtigen, sie haben den Schild bei sich!"

„Wir müssen doch zuerst auf die anderen warten!", wagte einer der Soldaten zu protestieren und deutete auf die beiden Krieger, die gerade den Berg wieder herauf kletterten.

„Dafür ist jetzt keine Zeit! Sie sollten mir den Schild bringen und ließen sich täuschen. Für Versager gibt es keinen Platz in meiner Armee!"

Er wandte sich wieder zu Cumulus. „Nun zu Dir, mein betrügerischer Freund. Sag Lebwohl zu dieser Welt!"

Cumulus war völlig ruhig. Er hatte seinen Teil zur Rettung des Schildes beigetragen. Der Rest lag nun in den Händen anderer, treuer Leute!

Furnius zögerte kurz, doch dann siegte seine Machtgier. Er zog sein Schwert aus der Scheide und ließ es durch die Luft sausen, ehe er mit all seiner Kraft und all seinem Hass den tödlichen Stoß ausführte und das Herz Cumulus' durchbohrte. Schwer atmend richtete sich Furnius auf und blickte hämisch auf die verkrümmte Gestalt des Königs. Er wandte sich um und wollte auf sein Pferd steigen, als Cumulus stöhnend zum letzten Mal im seinem Leben die Augen öffnete.

Er blickte Furnius an und sprach: „Das Blut, das Du in Deiner Machtgier vergossen hast, wird immer an Deinen Händen kleben. Ich verfluche Dich, Furnius. Mögest Du niemals Ruhe finden, bis der Schild seine Kraft verliert!"

Ein leiser Windhauch trug die Stimme des Königs hinauf in die Lüfte und einen Augenblick lang war es totenstill. Die Vögel unterbrachen ihr Lied, die Grillen hörten auf zu zirpen und aus dem Nichts heraus zog eine dichte undurchdringbare Nebelwand auf.

Die Krieger erstarrten. War dies ein Zeichen der Götter? Hatten sie mit ihrer Gier nach Gold und Macht ein höheres Wesen beleidigt? Keiner der Soldaten war in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.

Nur Furnius reagierte gelassen. Er glaubte nicht an göttliche Vorsehungen und schon gar nicht an die leeren Worte eines Sterbenden. Wütend fauchte er seine Untergebenen an: „Los, jetzt, auf die Pferde, wir müssen die Flüchtigen erreichen, bevor sie den Fluss überqueren!"

Er stieg auf sein Reittier und gab ihm die Sporen. Ohne dem toten Cumulus einen letzten Blick zuzuwerfen, trieb er sein Pferd durch den Nebel. Zögernd folgten ihm seine Krieger.

Der Nebel umtanzte den Leichnam des Königs.

----

Cumulus' Hinhaltetaktik hatte funktioniert. Während Furnius seine Soldaten den Abhang hinabschickte, um den vermeintlichen Schild zu bergen, erreichten die Männer Cumulus' den rettenden Fluss. Das einzige Boot, ein alter, vermoderter Kahn, brachte sie sicher hinüber auf die andere Seite. Sobald der Letzte seinen Fuß auf das Ufer setzte, brach das Boot auseinander.

„Die Götter sind mit uns", murmelte einer von ihnen. Ein zweiter seufzte tief auf. „Mögen sie auch unserem Herrn gnädig sein!"

Plötzlich bemerkten auch sie die Stille. Ein hochgewachsener Mann deutete auf die andere Seite des Hügels, auf der plötzlich eine Nebelwand emporstieg. Alle acht griffen sich an die Brust, ein stechender Schmerz schien ihnen das Herz zu zersprengen. „Cumulus ist tot", flüsterte der Große mit Grabesstimme. „Nun lasst uns dafür Sorge tragen, dass sein Opfer nicht vergebens war!"

Die acht Männer wussten, dass das Schicksal ihnen auferlegte, sich in diesem Leben nicht wiedersehen zu dürfen. Traurig verabschiedeten sie sich voneinander, wünschten sich gegenseitig den Segen der Götter und zogen in unterschiedlichen Richtungen weiter. Keiner von ihnen wusste, wohin er gehen sollte. Sie waren zum Hüter eines Schatzes bestimmt. Nur in der Stunde ihres Todes würden sie das Geheimnis an einen Menschen weitergeben, der seinerseits verhindern musste, dass das Schild geborgen und wieder vereint wurde.

Aus Monaten wurden Jahre, aus Jahren Jahrzehnte, aus Jahrzehnten Jahrhunderte. Die Geschichte des Schildes wurde zum Mythos, nur 8 Männer wussten, wo jeweils ein Teil des Schildes verborgen war.

Rastlos irrte der Geist des Königsmörders durch die Welt, immer auf der Suche nach dem Schild, doch so sehr er auch suchte, er fand ihn nicht.

Längst schon war der Schild der menschlichen Welt entrückt, ein Zufall hatte dafür gesorgt, dass nach und nach jeder Teil in eine andere Welt glitt, eine Welt, in der Mächtigere den Schutz garantieren konnten, die Welt der Magier. Zwar versuchten die Zauberer, den Aufenthaltsort des ihnen anvertrauten Schildteils in alten Pergamenten verschlüsselt niederzulegen, doch diejenigen, welche die Orte wussten, scheuten vor den Gefahren, denen sie sich stellen mussten, zurück.

Und dann geschah, was nicht geschehen sollte. Durch einen Krieg fielen 7 der Magier, ohne einen neuen Hüter des Schatzes bestimmt zu haben. Sieben Teile gingen verloren und nur von einem Teil war der Aufbewahrungsort bekannt. Kein Zauberer konnte es ertragen, diesen Ort zu betreten. Die Kraft, die an dieser Stelle innewohnte, war zu mächtig, um ihr standhalten zu können.

Man versiegelte man den Raum und niemals versuchte jemand, den Ort zu betreten. Es gab Gerüchte, dass sich hinter der Tür etwas Unzugängliches befand. Auch durch größte Kraft ließ sich die Tür nicht öffnen, kein Zauberspruch vermochte den Zugang zu ermöglichen. Selbst der Zaubereiminister wusste nicht, was hinter der Tür lag.

Nur ein einziges Mal wäre es einem Zauberer um Haaresbreite gelungen, das Schloss zu öffnen, und wäre er bereit gewesen, hätte sich die Tür für ihn auch geöffnet. Da er jedoch etwas Anderes suchte, blieb ihm der Zugang verwehrt. Der Name dieses Zauberers war Harry Potter.

Der Magische Schild - HP FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt