Gefahr in Vorzug

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Harry und Draco liefen Hand in Hand auf das verfallene Haus, mit herrlichem Garten, am Rande der Muggelsiedlung zu. Nirgends sonst auf der Welt wuchsen Rosen, Lilien und Petunien in derartiger Fülle und Schönheit, es schien, als würde die liebevolle Hand eines magischen Gärtners sie hegen und pflegen. Dabei konnte das nicht sein, denn das Haus stand seit Jahrzehnten leer und niemand hatte sich darum gekümmert. Während der Wohnort der jüngsten Tochter zur Pilgerstätte für Zauberer und Hexen geworden war, interessierte sich niemand dafür, dass sie hier ihre ersten Zauber ausgeführt hatte.

Harry hatte keine Erklärung dafür, aber sein Herz schlug höher, je näher sie dem verfallenen Haus kamen. Eine innere Stimme flüsterte ihm zu, dass ihm hier keine Gefahr drohen würde, denn SIE war da, würde es immer sein.

Plötzlich schlug diese heitere, gelassene Stimmung um. Der Dumblesnape-Schüler hörte plötzlich Snapes Stimme, die ihm zuraunte: „Hast Du denn gar nichts daraus gelernt, Potter?" Dann blitzte und donnerte es und ehe sich Harry versah, stand er in der Kammer des Schreckens. Noch immer lag der Kadaver des Basilisken hier, auch der Tod hatte das Monster nicht verändert. Nur ein weiterer Giftzahn fehlte, Hermine hatte damit den Horcrux in Helga Hufflepuffs Tasse zerstört. Noch immer jedoch prangten die schimmernden Buchstaben an der Wand, die Tom Riddle damals mit Harrys Zauberstab dorthin geschrieben hatte: „IST LORD VOLDEMORT". Der Dunkelhaarige würde nie vergessen, wie die Buchstaben damals ihre Reihenfolge geändert hatten. Tom Vorlost Riddle hatte sich eine neue Existenz verschafft, um den Namen seines Muggelvaters nicht länger tragen zu müssen. „Benutze Deinen Verstand, Potter", hörte Harry wieder Snapes Stimme, „hinter Sir Nufu verbirgt sich ..."

„Furnius", keuchte Harry auf und war schlagartig wach. Ihr neuer Hausgeist war in Wirklichkeit der gemeine Königsmörder.

Neben ihm räkelte sich Draco und linste verschlafen durch seine halb geöffneten Augen. „Was ist los, Schatz? Hast Du schlecht geträumt?"

„Draco, Sir Nufu ist Furnius! Ich hörte Snapes Stimme und der hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass...", sprudelte es aus Harry hervor.

„Aber Snape kennt doch Sir Nufu überhaupt nicht", murmelte Draco, der zu dieser nächtlichen Stunde geistig alles andere als topfit war. Dann jedoch wurde dem Blonden klar, was Harry da erzählte. Plötzlich saß auch er aufrecht im Bett. „WAS?!", schrie er entsetzt. „Bist Du Dir auch ganz sicher?" Harry nickte und erklärte seinem Freund, was in seinem zweiten Schuljahr vorgefallen war. Entgeistert hörte Draco zu, als der Dunkelhaarige ihm erklärte, aus welchen Gründen Tom Riddle seinen Namen abgelegt und wie er ihn neu geschaffen hatte.

„Und genauso hat Sir Nufu das auch gemacht", schloss der ehemalige Gryffindor schließlich seine Erzählung.

„Aber wie ist er nach Hogwarts gekommen? Hier kann man nicht nach Lust und Laune reinspazieren wie in einen Park", gab der Blonde zu bedenken.

Harry lächelte grimmig. „Ich vermute, im Körper von McLaggen."

Zum Glück für die beiden Zauberer war der nächste Tag ein schulfreier Samstag. Nachdem sie die halbe Nacht mit Mutmaßungen und Verdächtigungen verbracht hatten - sowohl Draco als auch Harry waren sich nun absolut sicher, dass Furnius die bösen Gerüchte über das Haus Dumblesnape gestreut hatte, um sie von den anderen Häusern abzuspalten - waren sie erst gegen Morgen wieder eingeschlafen.

Auf leisen Sohlen schlich Theo in ihr Zimmer, blickte grinsend auf die eng aneinander geschmiegten Zauberer. „Sehen die beiden nicht niedlich aus?", flüsterte er leise. Milli, die als nächste eintrat, lächelte verzückt. „Seht doch nur, Harry hat sich an Dracos Brust gekuschelt. Er sieht aus wie ein kleines Kätzchen, das gerade an der Sahne genascht hat."

Blaise schmunzelte, denn auch Draco wirkte in dieser Schlafhaltung ausgesprochen glücklich.

„Da haben sich wohl zwei gefunden", raunte er Neville zu, der prompt Gänsehaut bekam, als Blaise ihn mit diesem „Das möchte ich genau jetzt auch mit Dir tun"-Blick bedachte.

Ron zerstörte diese Idylle, indem er hereinstapfte wie eine junge Elefantenhorde. „Hey, Ihr Schlafmützen, wacht endlich auf! Heute ist Hogsmeade-Tag!", brüllte er laut. Harry und Draco schreckten hoch.

„Mann, Weasley, Du störst", stöhnte Draco, während Harry sein Kissen über den Kopf zog, um vielleicht noch ein, zwei Minütchen weiter zu schlummern.

„Nichts da, raus aus den Federn", kam es nun auch von Hermine. „Wir sind ohnehin schon die Letzten in der Großen Halle, die anderen sind schon alle weg!"

„Na, prima, nur wegen der beiden Faulpelze hier bekomme ich kein Frühstück", jammerte Ron. „Dabei habe ich solchen Hunger!"

„Fresssack", knurrte Harry, der nun endgültig die Aussicht auf ein gemütliches Schmusestündchen mit Draco begraben musste. Dann aber erzählte er ihnen, welche Erkenntnis er in seinem Traum gemacht hatte.

„Spitze", ätzte Blaise. „Tür an Tür mit dem Feind - und wir wundern uns, warum die anderen uns behandeln wie den letzten Dreck! Wahrscheinlich hat er den anderen Lügenmärchen über uns aufgetischt."

„Wir sollten mit Professor McGonagall reden", meinte Hermine, „vielleicht kann sie ihn rauswerfen."

„Klasse, Granger, und was willst Du ihr sagen? Wir haben einen Mördergeist in Dumblesnape, schmeißen Sie ihn raus? So einfach wird das nicht sein, Harrys Träume zählen nun mal nicht als Beweismittel. Da müssen wir schon anders vorgehen", bedauerte Draco.

Als sie schließlich in die Große Halle kamen, fanden sie diese nahezu verwaist vor. Nur Filch und seine Katze waren noch hier und beäugten die Dumblesnape-Schüler mit unverhohlenem Ärger.

„Wenn ich Euch dabei erwische, dass Ihr noch einmal Unwahrheiten über mich verbreitet, werdet Ihr MEINE Art von Nachsitzen kennenlernen!", schimpfte der Hausmeister.

„Mr. Filch, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Sie zu keinem Zeitpunkt Thema unserer Konversation waren", schnarrte Draco.

„Ach ja? Und wieso denkt plötzlich ganz Hogwarts, dass Mrs. Norris eine verzauberte Hexe ist und ich meine Gelüste an ihr auslebe?" Filch schien vor Wut fast zu platzen.

„Wieso, tun Sie das denn?", erkundigte sich Blaise mit unschuldigem Augenaufschlag, während Harry darüber nachdachte, warum Furnius nun auch noch den Hausmeister in den Streit miteinbeziehen wollte.

Neville zerrte seinen vorlauten Freund an den Haustisch der Dumblesnapes, musste jedoch enttäuscht feststellen, dass es kein Essen mehr gab. Wo jedoch sonst leckere Brötchen, frisch gebackener Toast und duftende Croissants standen, lagen heute mit schwarzer Tinte geschriebene Drohungen. Erschüttert las Hermine das Pergament mit der Überschrift „Wir hassen alle Dumblesnapes, weil..."

„Lasst uns nach Hogsmeade gehen, bevor Ron verhungert", bat sie leise, einige Tränen hatten sich in ihre Augen geschlichen. Sie hatte im letzten Jahr alles aufgegeben, was sie hatte, war monatelang mit Harry und Ron durch die magische Welt gezogen, um die Horcruxe zu vernichten und zum Dank dafür bekam sie Hassbriefe? Hermine konnte nicht verstehen, wann sich die Welt so sehr verändert hatte.

Auch die anderen standen fassungslos vor ihrem Tisch und fragten sich, was der Grund für diesen offensichtlichen Hass war. Welche Lügen erzählte man sich in den Gemeinschaftsräumen? Warum schienen plötzlich alle vergessen zu haben, dass auch sie ein Teil von Hogwarts waren?

Auf dem Weg in das kleine Zaubererdörfchen waren die vier Paare ungewöhnlich ruhig. Blaise und Neville gingen engumschlungen voran, ihnen folgten Ron und Hermine sowie Theo und Milli. Draco und Harry bildeten händchenhaltend das Schlusslicht. Sie waren so sehr in ihre Gedanken versunken, dass sie die aufgebrachten Hogwarts-Schüler, die am Wegesrand auf sie zu warten schienen, erst spät bemerkten.

„Da kommt ja das feige Mörderpack!" „Todesserbrut!" „Lügner!" „Betrüger!" „Diebe!", schrieen die Viertklässler.

„Lasst uns in Ruhe!", fauchte Draco, der geistesgegenwärtig Harrys Hand losgelassen hatte. „Was wollt Ihr von uns?"

„RACHE!", brüllten die Fünftklässler, die sich von hinten näherten, während die ersten Sechstklässler damit begannen, Flüche auf die acht Zauberer abzufeuern.

„SEID IHR VERRÜCKT GEWORDEN?!", polterte Theo. „IHR HÄTTET FAST MILLI GETROFFEN!"

Ein „Stupor" wurde in seine Richtung geschleudert, den der ehemalige Slytherin geistesgegenwärtig mit einem „Protego" abwehrte.

„HÖRT AUF MIT DEM QUATSCH!", forderte Neville. „WAS SOLL DAS?!" Er war zwar normalerweise ein sehr ausgeglichener Mensch, aber langsam wurde selbst er wütend. Was fiel den Hogwarts-Schülern ein, sie so in die Zange zu nehmen und mit Flüchen zu attackieren?

Die einzige Antwort, die der ehemalige Gryffindor bekam, war ein Stein, der ihn hart am Kopf traf. Nur Blaise' beherztes Eingreifen verhinderte, dass Neville stürzte. Blut rann aus der offenen Platzwunde auf seiner Stirn. Milli musterte ihren Mitschüler besorgt, ehe sie den Zauberstab hob und die Wunde mit einem „Episkey" heilte.

Durch das Blut auf seinem Gesicht wirkte Neville plötzlich sehr furchteinflößend und das war er jetzt auch. Wütend hob er seinen Zauberstab. „Ich warne Euch ein letztes Mal. Lasst uns endlich in Ruhe." Er sprach sehr leise, seine Stimme zitterte vor unterdrücktem Zorn. Was um Merlins Willen war in die Schüler der anderen Häuser gefahren?

Er konnte ja nicht wissen, dass Furnius die Abwesenheit der Dumblesnapes beim Frühstück ausgenutzt und die wildesten Lügengeschichten über sein Haus zum Besten gegeben hatte.
In seinem Auftrag hatte McLaggen einen Imperius auf die Schüler legen müssen, die Anstrengung hatte den Gryffindor fast an den Rand seiner Kräfte getrieben. Seine exzellenten Kontakte zu Professor Slughorn hatten sich jedoch bezahlt gemacht, denn er hatte den Tränkemeister nicht nur um einige Stärkungstränke, sondern auch um einen Trank, der das Magielevel eines Zauberers verzehnfachen konnte, erleichtert.

Als Furnius den unterworfenen Schülern dann auch noch hohe Belohnungen versprach, wenn sie die Schüler des 5. Hauses gefangen nehmen würden, brach er den letzten Widerstand. Wie eine Meute tollwütiger Hunde wirkten die Verzauberten, als sie die Dumblesnapes immer mehr einkreisten.

„Es hat keinen Sinn, wir müssen hier schnellstmöglich weg", raunte Hermine. „Man kann nicht mal mit ihnen reden. Los, auf drei, mir nach! Eins...Zwei....DREI!"

Überrascht glotzten die Angreifer den acht Fliehenden hinterher, bis plötzlich ein Schrei kam: „Los, hinterher, Ihr trägen Kreaturen!"

Furnius hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst zu erscheinen, um den Niedergang seines Hauses live mitzuerleben.

Hermine lief wie der Wind, instinktiv schlug sie eine Richtung ein, ohne darüber nachzudenken, wohin dieser Weg führte. Die anderen Dumblesnapes folgten ihr voller Vertrauen, gelegentlich feuerten sie einen Fluch in die Reihen ihrer Verfolger, um diese aufzuhalten. Ron und Harry hatten sich im letzten Jahr einigen Kämpfen stellen müssen, so kamen sie wenigstens nicht aus der Übung. Neville hatte sich als einer der Helden bei der großen Schlacht erwiesen, auch seine Flüche trafen sicher. Er wollte die Verfolger zwar nicht wirklich verletzen und verzichtete deshalb auf Zauber, die gefährlich gewesen waren, zeigte doch auch sein Wabbelbeinfluch die gewünschte Wirkung.

Blaise hingegen wählte den Beinklammerfluch, mit dem er einige der schnellsten Jäger außer Gefecht setzte. Außerdem hatte sein Zauber den netten Nebeneffekt, dass diejenigen, die in der 2. Reihe liefen, über die bereits am Boden liegenden Zauberer stolperten.

Zum Glück dachte keiner ihrer Gegner daran, einen Schildzauber zu benutzen, Furnius selbst war nun einmal kein Magier und hatte die Möglichkeit, dass seine Opfer sich mit Magie helfen konnten, nicht weiter bedacht. Jetzt erst bemerkte er seinen Fehler. Aus der großen Meute, die die Dumblesnapes anfänglich gejagt hatten, war mittlerweile ein kümmerliches Häufchen von 20 Schülern geworden.

Stolperflüche und Lähmzauber wurden ausgesprochen, trafen die Hogwarts-Schüler, dezimierten die Zahl der Verfolger weiter.

„Wehrt Euch gefälligst", zischte Furnius die verbliebenen 10 Zauberer an, die Fünftklässler setzten gehorsam einen Schildzauber ein, während die Dritt- und Viertklässler nicht recht wussten, wie sie das anstellen sollten.

Trotz aller Bemühungen wurde der Abstand zwischen Jäger und Opfer immer kleiner, als Hermine endlich erkannte, in welche Richtung sie die ganze Zeit gerannt war. Unmittelbar vor ihr stand die Peitschende Weide, angriffslustig wie eh und je. Niemand, der den Mechanismus kannte, würde an ihr vorbeikommen.

„Stop, Hermine, Du läufst genau auf die Peitschende Weide zu!", warnte Theo, doch die Hexe brüllte nur „Egal, weiter!" Ihr Plan schien aufzugehen. Mit einem Zauberspruch, der sie gegen die schlimmsten Schläge des Baumes schützen sollte, hechtete sie in das Astwerk der Weide. Kurze Zeit später hörte diese auf, wie wild um sich zu schlagen.

Harry übernahm das Kommando. „Los, folgt mir. Sie werden uns nicht weiter jagen." Er deutete auf die Öffnung des Schachts, der geradewegs in die Heulende Hütte führte. Sicher hatte er sich den Hogsmeade-Ausflug anders vorgestellt, als ihn ausgerechnet an dem Ort zu verbringen, an dem Remus Lupin seine bittersten Stunden durchlebt hatte, aber zumindest waren sie dort in Sicherheit.

Rasch und überhastet verschwanden die Dumblesnapes einer nach dem anderen in dem dunklen Schacht, ehe Hermines Stab sich von der Wurzel löste und dadurch den Mechanismus wieder freigab. Sofort peitschte die Weide wieder los; ihre Äste griffen nach den ersten beiden Verfolgern, schleuderten diese in die Luft und prügelten die Eindringlinge kräftig durch, ehe der Baum sie höchst unsanft fallen ließ und noch einmal warnend nach den Zauberern schlug.

Niemand hatte erkannt, wie Hermine die Weide zum Stillstand gebracht hatte, kein Einziger wagte, es ihr gleichzutun. Die Gefahr, ebenso hart behandelt zu werden wie die beiden Schnellsten, die gerade stöhnend und ächzend mit zahlreichen Blutergüssen und angebrochenen Knochen versuchten, sich aufzurichten, erschien den anderen doch zu hoch.

Furnius war wütend. „Ihnen nach, Ihr Ratten!", brüllte er die Zauberer an, die jedoch nur die Schultern zuckten. Mittlerweile hatte McLaggens Spruch seine Wirkung verloren und die Schüler fragten sich, was um alles in der Welt sie ausgerechnet hierher geführt hatte. Der Honigtopf lag doch in einer ganz anderen Richtung und Butterbier gab es hier auch nicht.

Wortlos drehten sie sich um und ließen Furnius und McLaggen einfach stehen. „Das hast Du wieder gut gemacht", stichelte Furnius. „Gibt es überhaupt irgendetwas, das Du wirklich kannst? Dank Deiner Unfähigkeit sind sie ein weiteres Mal entkommen!"

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Während Furnius oberhalb der Erde McLaggen für sein Versagen verantwortlich machte, glitten die acht Dumblesnape-Schüler über eine Erdrutsche in einen Schacht hinein und landeten in einem sehr niedrigen Tunnel. Nur drei von ihnen kannten diesen Ort, den anderen war er völlig unbekannt. Dracos Herz schlug ihm bis zum Hals, die beklemmende Dunkelheit und Enge des Ganges ließen ihm kalte Angstschauer über den Rücken laufen.

„Wohin führt dieser Tunnel?", erkundigte sich Blaise besorgt, der Klang seiner Stimme verriet, wie unwohl auch er sich fühlte. Neville, der hinter ihm war, strich seinem Freund beruhigend über den Rücken. Zwar hatte auch er nicht die leiseste Ahnung, wohin die schlaue Hexe sie geführt hatte, doch der Sprechende Hut hatte ihn im ersten Schuljahr nicht grundlos nach Gryffindor gesteckt. Gefasst harrte er der Dinge, die kommen würden.

Harry flüsterte leise: „Keine Angst, hier sind wir in Sicherheit", ehe er mit einem Lumos das dunkle Erdreich erhellte. Draco atmete auf, als er Harry nicht mehr nur schemenhaft sah. Der Dunkelhaarige blinzelte ihm liebevoll zu.

„Seid Ihr alle okay?", erkundigte er sich besorgt und war erleichtert, dass seine Gefährten außer ein paar harmlosen Kratzern und der Erschöpfung nach der anstrengenden Hetzjagd keine schwereren Schäden davongetragen zu haben schienen.

„Wir müssen jetzt einfach dem Tunnel folgen", erklärte Harry und begann, in tief gebückter Haltung tiefer in die Erde vorzudringen.

Nahezu endlos schien der niedrige Tunnel, der vor ihnen lag, schon bald mussten die Zauberer auf den Knien krabbeln, um nicht stecken zu bleiben. Draco machte sich Sorgen um den Zustand seiner Robe, er hatte sich extra für den geplanten Ausflug nach Hogsmeade schick gemacht. Doch weitaus wichtiger als das ramponierte Kleidungsstück erschien ihm die Sicherheit von ihm und seinen Hausgenossen.

„Was war eigentlich mit den anderen los?", fragte Milli völlig entsetzt.

„Ich befürchte, sie standen unter einem Imperius", erwiderte Hermine, die gemeinsam mit Ron das Schlusslicht bildete. „In ihren Augen stand keinerlei Gefühlsregung, wie willenlose Marionetten, die nur den Befehl hatten, uns zu jagen."

„Aber warum?"

„Furnius", vermutete die braungelockte Hexe. „Vielleicht hat er herausgefunden, dass wir ihm auf der Spur sind und will verhindern, dass wir den Schild erbeuten."

„Wohin führt dieser Tunnel eigentlich?", keuchte Neville, der schon Seitenstechen hatte.

Harry wandte sich kurz um. „In die Heulende Hütte."

„WAS?" Theo blieb schlagartig stehen, sodass Blaise, der hinter ihm war, fast auf ihn auflief. „Da spukt es doch!"

„Ich erkläre es Euch später, wenn wir oben sind", versprach Harry, „beeilt Euch lieber ein wenig!"

Endlich begann der Tunnel anzusteigen, kurz darauf folgte die letzte Biegung und von weitem war schon eine kleine Öffnung an der Decke zu sehen.

Harry richtete sich auf, hob die Luke an und stemmte sich nach oben, ihm folgten Draco, Milli, Theo, Blaise, Neville, Ron und Hermine. Besonders Milli rang heftig nach Atem, die Verfolgungsjagd hatte sie an ihre körperlichen Grenzen gebracht.

Vorsichtig blickte sich Theo um und raunte ganz leise: „Was tun wir, wenn jetzt die Geister kommen?"

Das staubige Zimmer war ihm nicht geheuer. Die Möbel waren zertrümmert, die Tapeten schälten sich von den Wänden, der Boden war mit merkwürdigen Flecken übersät, die Fenster mit Brettern vernagelt.

„Ich habe ein ungutes Gefühl", wisperte Neville, „irgendetwas IST hier! Ich spüre es deutlich."

Harry verkeilte den Griff der Luke mit einem herumliegenden Stück Holz. Dieser Eingang war schon einmal gesichert. Ein zusätzlicher Zauber würde verhindern, dass ein Mensch hier eindringen konnte. Der Dunkelhaarige bezweifelte, dass Furnius mit den Ländereien rund um Hogwarts so vertraut war, als dass er freiwillig an diesen höchst ungastlichen Ort kommen würde. Der Geheimgang war ebenfalls nur wenigen vertraut, die meisten, die ihn gekannt hatten, waren zwischenzeitlich tot.

„Hier gab und gibt es keine Gespenster", betonte er nochmals. „Snape hat Euch doch erzählt, dass Re...Lupin ein Werwolf war. Als er nach Hogwarts kam, mussten spezielle Vorkehrungen getroffen werden. Niemand durfte wissen, dass er sich bei jedem Vollmond in eine reißende Bestie verwandelte, die vor nichts und niemandem Halt machte. In diesen Nächten wurde er von Madam Pomfrey hierher geführt. Die Peitschende Weide wurde gepflanzt, damit kein Schüler den Geheimgang entdecken und ihnen folgen konnte. Um zu verhindern, dass jemand aus Neugier die Heulende Hütte aufsucht, wurde das Gerücht gestreut, dass es hier spuken würde. Die Geräusche, die man in den Vollmondnächten hören konnte, stammten von Lupin selbst, der dazu verdammt war, allein hier zu sein, bis...." An dieser Stelle stockte Harry kurz; Ron und Hermine ahnten, wie schmerzvoll es für ihn sein musste, darüber zu reden.

Der Dunkelhaarige schloss kurz die Augen. „...bis seine drei besten Freunde herausfanden, was mit ihm los war und sich entschlossen, Animagi zu werden. Sie wählten ihre Gestalten so, dass sie den Werwolf im Zweifelsfall überwältigen konnten."

„Wer waren diese Männer?", flüsterte Blaise fast andächtig.

„Mein Dad, Sirius und Peter Pettigrew!" Harry seufzte tief auf. „Sie verwandelten sich in einen Hirschen, einen Hund und eine Ratte. Während der ganzen Schulzeit hindurch waren sie die besten Freunde, zumindest drei von ihnen. Die „Karte der Rumtreiber" entstammt aus ihrer Feder. Dann kam Voldemort. Peter Pettigrew, der Geheimnisverwahrer meiner Eltern, verriet ihren Aufenthaltsort und lieferte somit meine Eltern dem Tod aus. Wäre Voldemort nicht gewesen, hätte diese Freundschaft heute noch Bestand."

Schweigend wandte er sich um und verharrte in seinem Schmerz. Milli räusperte sich. „Um so wichtiger ist es, dass unsere Freundschaft durch nichts getrübt wird. Ich denke, ich spreche für alle, wenn ich sage, dass Dumblesnape das Beste ist, was uns passieren konnte. Wenn wir zusammenhalten, wird kein böser Geist uns jemals schaden können!", meinte sie mit entschlossener Stimme.

Ein merkwürdig warmes Gefühl durchströmte die Zauberschüler in diesem Augenblick, Millis Worte schienen eine Schleuse geöffnet zu haben. Aus der früheren Feindschaft war langsam Kameradschaft geworden, jetzt jedoch entstand etwas weit Größeres: Eine tiefe Freundschaft. Wo früher Hass und Neid gewesen waren, wuchsen jetzt Vertrauen und Treue.

Ohne es bewusst wahrzunehmen, fassten sich die Dumblesnapes an den Händen und verhakten ihre Finger ineinander. Im Kreis standen sie nun da, hielten einander fest, sie waren eine Einheit. Acht Zauberschüler, die bereit waren, jeder Gefahr zu trotzen. Es spielte keine Rolle, ob sie reinblütig, Halbblüter oder muggelgeboren waren. Offen sahen sie sich in die Augen, Grün traf auf Silbergrau, Braun auf Blau. Ein pulsierendes, goldenes Licht umgab sie, wurde heller und wärmer. In diesem Kreis fand ein jeder, wonach er suchte.

Blaise fasste neuen Mut, Neville wurde von einer unbekannten Stärke erfüllt. Ron vertraute allen seinen Hausgenossen bedingungslos. Theo hatte das Gefühl, plötzlich alle Dinge klar erkennen zu können, Milli fühlte sich in diesem Kreis beschützt und geborgen, Hermine, die bislang nur ihrem Kopf gefolgt war und ihre Entscheidungen alle dementsprechend fällte, entwickelte ihre Intuition. Draco sah die Welt mit den Augen der anderen, lernte, was Verständnis war. Und Harry? Harry blickte voller Stolz auf die sieben lächelnden Gesichter. Wie sehr er jeden einzelnen von ihnen doch liebte!

Das Licht wurde strahlender. Die acht mussten ihre Augen schließen, um nicht geblendet zu werden, doch sie FÜHLTEN einander. Plötzlich begann ihre Haut zu kribbeln, ein unangenehmes Ziehen breitete sich in ihren Mägen aus – es war, als würden sie auf einer Wolke schweben.

Sie waren immer noch in der Heulenden Hütte, sahen und wurden doch nicht gesehen.

Ein ärmlich gekleideter Mann stürzte in die Hütte, unter seinem Arm trug er ein Stoffbündel. „Verzeiht, dass ich Euch störe, doch nun ist eingetreten, was wir so lange befürchteten. Der unselige Furnius sucht verzweifelt nach dem Schild und scheut nicht zurück, dabei eine Schneise aus Blut und Elend zu schlagen. Mein Bruder war Hüter dieses Bruchstückes, nun musste er sein Leben dafür lassen. Unsere Welt ist nicht mehr sicher, verwahrt Ihr es, oh mächtiger Prospero. Eure Mittel sind stärker als unsere."

Eine wohlklingende Stimme antwortete: „So sei es. Lange schon sahen meine Vorväter diesen Tag kommen. Niemals hätte der Schild die magische Welt verlassen dürfen, zu groß war die Gier der Menschen nach diesem Artefakt. Ihn zu brechen und zu verstecken vermochte den Verräter nur aufzuhalten, doch wird er nicht ruhen, ehe er seine blutbefleckte Hand an ihn legt und unser beiden Welten in den Abgrund stürzt mit seinem Streben nach Macht.
Und so verspreche ich Euch, dieses Stück zu hüten, bis acht Wesen gleicher Gesinnung und reinen Herzens ihn zurückfordern."

Der Zauberer, den der Muggel mit dem Namen Prospero angesprochen hatte, erhob sich mühsam von seinem harten Stuhl und nahm das Stoffbündel entgegen. Vorsichtig schlug er die weichen Bahnen zurück und betrachtete ehrfürchtig das ihm anvertraute kostbare Gut. „So schön und so gefährlich", murmelte er. „Möge mein Zauber ihm Schutz und Sicherheit bringen."

Theo murmelte leise: „Der Bernstein" und erntete ein Nicken seitens seiner Gefährten.

Unter zahlreichen Verbeugungen und Lobpreisungen zog sich der Muggel zurück. Nachdem er aus der Hütte verschwunden war, flüsterte der Zauberer: „Die Sterne verkünden, dass Du schon bald mit Deinem Bruder vereint sein wirst. Doch möge Dir Deine tapfere Tat vergolten werden."

Bedächtig stieg er die Treppe hinauf, die Zauberer schwebten hinter ihm her. Oben angekommen, entfernte er vorsichtig ein Stück der Wandvertäfelung, um den Schild dahinter zu verstecken. Mächtige Zauber wurden gesprochen, die Erde bebte...

... und die Schüler von Dumblesnape standen fest auf dem schmutzigen Boden der Heulenden Hütte.

Theo schlug sich die Hand an die Stirn. „Ich Idiot. Der Springer hat uns genau gesagt, an welchem Ort wir suchen sollten. Erinnert Ihr Euch an seine Worte? Sucht nicht nach der Macht. In der Einigkeit liegt Eure Kraft. Der Unselige trachtet nach dem Schild, um die Herrschaft an sich zu reißen. Heulen und Stöhnen wird Euch nichts nützen. Den Geist zu besiegen sei Eure Aufgabe. Hütte, Haus und Höhle führen Euch zum Ziel.
Das war ein Code."

Harry sah ihn fragend an. Worauf wollte der ehemalige Slytherin hinaus?

Theo keuchte auf. „Überleg doch mal, Harry. Er hat jeden Satz so begonnen, dass wir den Aufenthaltsort des nächsten Schildteils herausfinden. Sucht-In-Der-Heulen-Den-Hütte! Furnius darf den Schild niemals bekommen! Kommt, wir müssen ins Obergeschoss!"

„Und was machen wir, wenn er uns erwischt?", fragte Ron.

„Oh, er wird uns nicht erwischen!", lachte Hermine glockenhell und deutete auf die Ritze der zugenagelten Eingangstür, durch die sich eine dünne Nebelschicht zog. „Bei dem Wetter wirst Du ihn niemals draußen finden!"


Offenbar wurden die acht Dumblesnapes von einer höheren Macht beschützt. Während sie in der Heulenden Hütte waren, war dichter Nebel aufgezogen, der alles unter seinem schützenden Schleier verbarg. Furnius hatte sich feige aus dem Staub gemacht, war doch dieser Dunst sein größter Feind. Kein feindliches Auge konnte die Heulende Hütte in den trägen, weißen Massen ausmachen, auch Hogsmeade lag unsichtbar irgendwo unter diesen Wolken.

Die Schüler, die vorher die acht anderen verfolgt hatten, beäugten das ganze kritisch. Irgendetwas war hier nicht in Ordnung. Ängstlich schlichen sie nach Hogwarts zurück. Für ihre Besorgungen mussten sie wohl einen anderen Tag auswählen.

Der Nebel wehrte wie eine schützende Mauer jeden Zugriff des gierigen Geistes auf die Auserwählten ab.

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Unterdessen machte sich Minerva McGonagall in Hogwarts große Sorgen um die verschwundenen Schüler. Unruhig wanderte sie in ihrem Büro auf und ab. Was war heute nur in Hogsmeade passiert? Normalerweise mieden die Zauberschüler die Peitschende Weide wie die Pest, heute jedoch waren gleich zwei von ihnen auf die Krankenstation gebracht worden. Auch die anderen wirkten nicht so, als ob sie einen vergnüglichen Tag verbracht hätten. Die einzigen, die noch normal waren, waren die Erst- und Zweitklässler sowie Greg Goyle, Ginny Weasley, Seamus Finnigan und Dean Thomas. Die vier Volljährigen waren jedoch nicht in Hogsmeade gewesen, sondern hatten sich gleich nach dem Frühstück zurückgezogen, weil sie etwas Dringendes erledigen wollten.

Die Direktorin hatte nicht weiter nachgehakt, zumal Peeves ihr auch noch aufgeregt mitgeteilt hatte, dass der Blutige Baron spurlos verschwunden war. Seit gestern Abend hatte ihn keiner mehr gesehen. Slughorn wusste natürlich wieder einmal von gar nichts.

„Ich wünschte, Du wärst noch Hauslehrer von Slytherin", seufzte McGonagall ein gewisses Portrait an. Snape grinste. „Und das, wo wir uns während all der Jahre so bekriegt haben? Minerva, Du enttäuschst mich."

Dumbledore schaltete sich ein. „Severus, hör auf, Minerva zu ärgern. Sie sieht ohnehin so aus, als quälten sie andere Sorgen. Darf ich fragen, was passiert ist?"

Die Schulleiterin winkte ab. „Ich dachte, dass nach dem Krieg alles besser und friedlicher werden würde. Stattdessen ist alles noch schlimmer geworden und ich befürchte, dass meine Gryffindors dahinterstecken!"

„Als ob das was Neues wäre", spottete Snape. „Ich sage Dir schon seit Jahren, dass die Löwen nur Ärger machen. Sie halten sich nicht an die Regeln, stecken ihre Nase in Dinge, die sie nichts angehen,..."

„SEVERUS??!!" Dumbledore hob den Zeigefinger und drohte dem einstmals so grimmigen Tränkemeister, konnte das verschmitzte Lächeln in seinen Augen aber nicht unterdrücken.

„Albus, lass mich ein wenig Spaß haben. Sonst ist doch auch nichts los hier. Ich habe mir alles ganz anders vorgestellt. Mein ganzes Leben lang war ich Spion für die gute Seite, dann kommt dieses Monstervieh und beißt mich tot und jetzt hänge ich den ganzen Tag in diesem bescheuerten Rahmen. Wenn er wenigstens silbern wäre - oder grün. Aber nein, ich, der Hauslehrer der Slytherins, hänge in einem Goldrahmen. Gold!? Fehlt nur noch das rote Schleifchen", beschwerte sich Snape. „Außerdem finde ich diesen Raum langweilig. Hier passiert doch nichts. Ab und zu ein Schüler, der die Regeln übertritt. Manchmal ein Lehrer, der sich beschwert. Soll das wirklich alles gewesen sein?"

„Möchtest Du vielleicht lieber einen anderen Platz haben?", fragte McGonagall mit gespielter Liebenswürdigkeit. „Vielleicht in Slughorns Klassenzimmer? Dann könntest Du ihm den ganzen Tag auf die Finger schauen und an ihm herumkritisieren. - Wenn Du willst, kann ich auch gern die Fette Dame fragen, ob sie vielleicht mit Dir Platz tauscht. Du könntest dann sämtliche Gryffindors ärgern, indem Du sie nicht in ihr Haus lässt."

Die Vorstellung einer Löwenherde, die wie bestellt und nicht abgeholt vor seinem Portrait stand und ihn anbettelte, endlich den Weg freizugeben, entlockte dem früher so strengen Lehrer ein Grinsen. „Das wäre sicherlich sehr reizvoll!", flachste er, bevor er wieder ernst wurde. „Aber wenn ich ehrlich bin, hätte ich mir ein anderes Plätzchen gewünscht!"

„Ach ja, und wo?"

„Im Gemeinschaftsraum der Dumblesnapes! Irgendwer muss ja auf die Tunichtgute aufpassen. Bestimmt hecken sie gerade etwas aus, das sagt mir schon mein Instinkt. Hoffentlich sitzen sie nicht schon wieder in der Patsche!"

Der Magische Schild - HP FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt