Mythen und Prophezeiungen

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Natürlich gab es am nächsten Morgen in der Großen Halle nur zwei Themen: Das Erste war die Berufung der durchgeknallten Lehrerin für Wahrsagen zur Hauslehrerin Dumblesnapes, das Zweite war Nevilles Hinterteil. Auf diese Art erfuhren auch Ron, Theo, Harry, Draco, Milli und Hermine den wahren Grund, weshalb Neville seit der gestrigen Strafarbeit ein Sitzkissen mit sich herumschleppte. Ihre Gedanken waren ja in eine ganz andere Richtung gegangen, jetzt musste weniger Neville, sondern vor allem der angeblich so feurige Liebhaber Blaise den Spott seiner Hausgefährten erdulden.

Allerdings musste Draco seinem besten Freund neidlos zugestehen, dass dieser und Neville schon viel weiter waren als er und Harry. Seit dem leidenschaftlichen Kuss während der Siegesfeier hatten sie nur einige scheue Küsse ausgetauscht, nur heimliche Umarmungen zeugten davon, dass sie wirklich ein Pärchen waren.

Der Blonde hätte das gerne geändert, er wusste nur nicht wie. Vielleicht würde ihm Blaise, der in diesem Gebiet deutlich mehr Erfahrungen hatte, einige wertvolle Tipps geben können.
Vorsichtig pirschte er sich nach dem Frühstück an seinen besten Freund heran und zog ihn kurz zur Seite.

„Kann ich Dich was fragen, Blaise?", rutschte es aus Draco heraus. Blaise blickte ihn verwundert an. „Wo brennt's denn, Drache?"

„Du und Longbottom, Ihr... habt Ihr eigentlich schon... na, Du weißt schon", druckste der Blonde herum. Blaise genoss es, Draco so nervös und verlegen zu sehen und stellte sich absichtlich dumm. „Wir haben schon was?", fragte er nach.

„Du weißt genau, was ich meine!", schnauzte Draco ihn an. Nur die Tatsache, dass Blaise im Gegensatz zu ihm wusste, wie Sex zwischen zwei Männern funktionierte, hinderte den Blonden daran, seinen besten Freund jetzt zu erwürgen. Blaise wusste das ganz genau und raunte in Dracos Ohr: „In der Bibliothek gibt's ein nettes Buch darüber. Wende Dich an den Bibliothekar Deines Vertrauens, er hilft Dir bestimmt weiter!" Breit grinsend eilte er hinter Neville her. „Warte auf mich, Süßer!" Draco starrte ihm entgeistert hinterher.


Durch den eigenen Unterricht und den der Erstklässler abgelenkt, kam Draco erst am Nachmittag dazu, Blaise' Tipp zu befolgen. Nur gut, dass Theo seit der Kindheit mit ihm befreundet war, der Blonde vertraute auf seine Verschwiegenheit. Trotzdem war ihm etwas mulmig zumute, als er in die Bibliothek ging, in der Theo über ein Buch gebeugt saß und ziemlich mürrisch den Kopf schüttelte.

„Hey, Deine Lektüre scheint nicht besonders aufregend zu sein, wenn ich Deine Miene so anschaue", sprach er ihn unvermittelt an. Theo schrak hoch und das Buch fiel mit lautem Krachen auf den Boden. „Hoppla, ich wollte Dich nicht erschrecken", entschuldigte Draco sich halbherzig.

„Macht nichts, Draco, das Buch ist enttäuschend." Theo klang ziemlich verstimmt. „Ich hab' es gestern in der Umkleide der Gryffindors entdeckt und dachte, dass vielleicht ein schönes Liebesgedicht für Milli drin steht. Aber Fehlanzeige. Hier, hast Du schon mal so viel Quatsch gehört?"

Theo warf sich in Position und begann mit übertriebenen Gesten das Gedicht zu rezitieren, über das er sich soeben geärgert hatte.

Onyx, der Schwarze bringt Stärke und Kraft
Malachit, der Grüne, Verständnis schafft
Hämatit, der Glänzende stärkt den Mut
Für Vertrauen und Milde ist Rosenquarz gut
Intuition bringt der Amethyst
Bernstein ein Schutz vor dem Bösen ist
Der Diamant bringt endgültige Klarheit,
Erleuchtung, Frieden, reine Wahrheit.
Doch erst mit des Rubins blutrotem Schein,
zieht die Allmacht der Liebe in die Herzen ein.

„Soll ich das vielleicht Milli zu unserem 1-monatigen Jubiläum schenken? Sie liefert mich dann doch gleich im St. Mungos ein. Ich frage Dich, Draco: Welcher arme Poet verfasst solch lächerliche Verse?"

Draco wollte gerade eine ebenso spöttische Bemerkung loslassen, als ihm etwas einfiel. „Du, Theo, auf dem Metallstück, das wir in der Gruft gefunden haben, war doch ein Diamant. Was wäre denn, wenn...?"


„Ja, das könnte durchaus sein", bestätigte Hermine am Abend Dracos Vermutung. „Allerdings stellt sich die Frage, welches Geheimnis hinter diesen Steinen steckt und was es mit dem Metall drum herum auf sich hat. Es sieht aus, als wäre der Gegenstand, aus dem unser Bruchstück stammt, rund gewesen, wie ein Schild." Aufgeregt wanderte die Hexe im Dumblesnape-Gemeinschaftsraum auf und ab. „Warum wurde der Gegenstand zerbrochen? Was steckt dahinter? Und wo sind die anderen Bruchstücke?"

Das fragten sich auch die anderen und stellten die kühnsten Vermutungen an. Theo hatte hochrote Wangen vor Aufregung, die Abenteuerlust hatte den einstigen Slytherin gepackt. Zu gern würde er das Geheimnis um den Schild lüften. Es wäre sicherlich eine Sensation, wenn der Name „Nott" nicht mehr mit seinem Todesservater in Askaban, sondern mit dem jungen Entdecker in Hogwarts in Zusammenhang gebracht würde. Im Geiste sah er sich schon mit Rita Kimmkorn plaudern, die alles über die Expeditionen der Dumblesnape-Schüler wissen wollte.

So vertieft waren sie in ihre Gespräche, dass sie nicht bemerkten, dass ihre neue Hauslehrerin den Raum betreten hatte und sie würdevoll musterte. Minerva McGonagall hatte die Gerüchte über Neville ebenfalls gehört und sich daran erinnert, was Trelawney dem Jungen prophezeit hatte. Dass die Wahrsagelehrerin damit ins Schwarze getroffen hatte, bestätigte der Schulleiterin die Richtigkeit ihrer Entscheidung. Nun würde sie besser schlafen, da sie ihre Sorgenkinder in guten Händen wusste.

Trelawney scheuchte ihre Schüler in die Betten und wies auch Milli darauf hin, dass das Mädchenschlafzimmer auf der anderen Seite lag. Mürrisch trottete die frühere Slytherin die Treppe hinunter, aus der gewünschten heißen Nacht mit Theo würde wohl nichts werden, es sei denn, Trelawney würde gleich wieder verschwinden.

Die Lehrerin blickte sich unterdessen im Gemeinschaftsraum „ihres" Hauses um. Das Metallstück lag offen auf dem Tisch. Neugierig trat Trelawney näher, um diesen merkwürdigen Gegenstand genauer zu beäugen, als sie plötzlich erstarrte.

Mit einer Stimme, die Harry erst einmal in seinem Leben gehört hatte, nämlich an dem Tag, als sie ihm Pettigrews Flucht und Voldemorts Wiederkehr ankündigte, sprach sie laut:

„Ein Schild ward geschmiedet aus Silber, mit Gold beringt
auf dass er dem Träger Glück im Übermaß bringt.
Die königlichen Tugenden zu vereinen,
ward er geschmückt mit acht Edelsteinen.
Der magische Schild, so ward es verheißen,
vermag dem Tod 8 Seelen zu entreißen"

Harry fuhr herum, Trelawney war offensichtlich in Trance gefallen und das hieß, dass diese Prophezeiung ernst zu nehmen war. Der Kopf der Lehrerin sackte auf ihre Brust und nur dadurch, dass Blaise schnell genug reagierte, verhinderte er deren sicherlich harten Aufprall auf dem Boden.

Plötzlich zuckte ihr Kopf in die Höhe. „Verzeihen Sie, offenbar scheine ich gesundheitlich angegriffen zu sein, mir wurde für einen Moment schwindelig. – Warum starren Sie mich alle so an?"

Hermine, die noch nie eine echte Prophezeiung der Seherin erlebt hatte, blickte diese skeptisch an. „Aber Professor Trelawney, erinnern Sie sich nicht mehr daran, was Sie uns soeben sagten?"

„Doch, Miss Granger, ich erklärte Miss Bullstrode, dass der Weg zum Mädchenschlafzimmer über die andere Treppe führt und ich wünsche, dass sich meine Schüler an die Zimmereinteilung von Minerva halten."

Theo deutete seiner Mitschülerin an, nicht weiter zu sprechen und die Lehrerin nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Hermine verstand sofort und zog sich mit einem kurzen „Gute Nacht" in ihr Zimmer zurück. Eines stand für sie außer Frage. Sie würde versuchen, herauszufinden, was es mit diesem Schild, wenn er denn tatsächlich existierte, auf sich hatte. Wenn sie sich auch nicht selbst eine Erlaubnis für die Verbotene Abteilung ausstellen konnte, so würde Binns das bestimmt tun. Der Geist konnte ja froh sein, dass sie ihn bei seiner Arbeit so tatenkräftig unterstützte.

Auch die anderen gingen in ihre Betten; Ron und Milli tigerten noch kurze Zeit in den Zimmern umher, bis sie sicher sein konnten, dass Trelawney gegangen war. Leise schlichen sie die Treppen hinunter, um Zimmer zu tauschen. Im Vorbeigehen grinste Milli Ron frech an. „Bananengeschmack hätte ich Dir nicht zugetraut". Der Rothaarige wusste sofort, worauf die Hexe anspielte und wurde knallrot.

Auch Harry und Draco fanden in dieser Nacht keine Ruhe. Harry war zu aufgewühlt, um an Schlaf auch nur denken zu können. Immer und immer wieder überlegte er, was Trelawneys Worte wohl bedeuten mochten. Dadurch fand aber auch der Blonde keinen Schlaf.
Schließlich reichte es Draco. „Seit wann nimmst Du denn die Worte der alten Schleiereule Trelawney ernst?", erkundigte er sich gereizt.

„Seitdem ich weiß, was eine Prophezeiung und was nur leeres Gerede ist – und das heute war eine echte Vorhersehung", erklärte Harry mit Nachdruck.

„Und woher willst Du das wissen?" Zum Schlafen würde Draco ohnehin nicht kommen, also konnte er ruhig nachfragen.

„Weil Trelawney nicht mit ihrer Stimme gesprochen und sich hinterher an nichts erinnert hat. Den Quatsch, den sie uns während des Unterrichts erzählt hat, kannte sie 5 Wochen später noch, während sie Hermine nicht sagen konnte, was sie vielleicht 2 Minuten vorher erzählt hat. Das war damals genauso, als ... "

„Als was?", bohrte Draco nach.

„Als wir in der 3. Klasse waren, hat sie vorausgesehen, dass Pettigrew sich wieder Voldemort anschließen würde und diesen dabei unterstützen würde, noch schrecklicher als vorher zu werden." Es fiel Harry nicht leicht, über das damals Erlebte zu reden. In jener Nacht, als Peter geflohen und sich dem Lord angeschlossen hatte, war Harry für einen kurzen Augenblick glücklicher gewesen als jemals zuvor. Damals hatte ihm Sirius angeboten, bei ihm zu leben. Alles schien damals gut zu werden und dann war alles anders gekommen. Sirius musste weiterhin fliehen und fiel schließlich beim Versuch, Harry zu retten, durch den Vorhang.

„Pettigrew war doch dieser kleine, widerliche Schleimer mit der silbernen Hand, nicht wahr? Vater fand ihn schließlich tot im Verlies, kurz nachdem Ihr geflohen seid. Hast DU ihn umgebracht?"

„Ich mochte ihn zwar nicht, immerhin hat er meine Eltern auf dem Gewissen, aber nein, ich habe ihn nicht getötet. Die Hand hatte Pettigrew von Voldemort. Als ihm bewusst wurde, dass er noch eine Lebensschuld einzulösen hat, hat ihn die Hand erwürgt", erklärte Harry und hoffte, dass dieses Thema damit erledigt sei.

Es schien, als würden sich seine Hoffnungen diesbezüglich erfüllen. „Ich habe auch noch eine Lebensschuld einzulösen", murmelte Draco betroffen, als ihm bewusst wurde, dass Harry auch sein Leben gerettet hatte.

„Vergiss es", winkte der Dunkelhaarige ab, Draco jedoch erklärte: „Das geht nicht und das weißt Du auch. Ich hoffe, dass ich das irgendwann wieder gutmachen kann."

Einige Minuten lang hingen die beiden ihren Gedanken nach, als Draco plötzlich die Stille durchbrach. „Angenommen, Du könntest 8 Leben retten. Wen würdest Du wählen?"

Auf diese Frage wusste Harry keine Antwort.


Harry stand am Rande einer Siedlung. Sein Gefühl hatte ihn hierher geführt, im Haus der Blumen würde er den Stein finden, der das Vertrauen stärken würde. Und diese Tugend war bitter nötig geworden. Die jüngeren Schüler hatten im charismatischen McLaggen einen Anführer gefunden, häuserübergreifend schürte der Zauberer Misstrauen und Hass gegen ihn. Nun war sogar das Ministerium informiert worden, in den nächsten Tagen würde eine Inspektion durchgeführt werden, um den mysteriösen Tod von Draco aufzuklären.

Für die meisten Schüler stand der Schuldige schon fest: Harry Potter. Dass der Dunkelhaarige am meisten unter dem Tod Dracos litt, schien sie nicht zu interessieren, im Gegenteil, sie setzten alles daran, ihn nicht vergessen zu lassen. Kein Tag, an dem nicht ein Foto von Draco auf seinem Tisch landete, kein Abend, an dem er nicht die Kritzelei „Mörder" an der Tür zum Gemeinschaftsraum stand.

Das Schlimmste jedoch war, dass Harry wusste, dass er den Tod des Blonden verschuldet hatte, wenn er sich auch nicht an den Grund seines Handelns erinnern konnte. Wie im Nebel sah er die Szene, als er Draco über die hohe Klippe schubste, beobachtete, wie der Körper des Blonden mehrmals auf hervorstehenden Felsen aufschlug, ehe er mit gebrochenen Knochen und blutüberströmt am Ufer des Flusses zum Liegen kam.

Er brauchte diesen Teil des Schildes, brauchte jedes einzelne Bruchstück. Nur wenn er die 8 Teile fand, konnte er dem Tod die 8 Seelen abtrotzen. Eine davon wäre sein Geliebter. Draco würde ihm zwar nie verzeihen, dass er ihn erst getötet hatte, aber lieber ein wütender und lebender Draco als ein toter.

Die anderen Dumblesnape-Schüler hatten sich entsetzt von ihm abgewandt. Ohne die Hilfe seiner früheren Freunde hatte er nach dem Haus der Blumen gesucht, nun stand er hier und scheute sich doch davor, es zu betreten. Doch ihm blieb keine andere Wahl. „Für Draco", flüsterte er leise und schickte sich an, das Haus zu betreten, als ihm plötzlich eine fremde Gestalt den Weg abschnitt. Es war McLaggen und doch war er es nicht. Die Augen des Gryffindors waren die eines Toten, seine Haut war wächsern und ein kaltes Lächeln lag auf seinen Lippen.

„Gib Dir keine Mühe, Harry Potter. Du wirst den Schild nie benutzen. Nur diejenigen, die ein reines Herz haben, beherrschen die Macht, die auf ihm ruht. Das Blut Deines Geliebten an Deinen Händen wird Dich bis zum Tod an Deine Tat erinnern, so wie es mich an Cumulus erinnert. Jeder Atemzug den Du tust, Harry Potter, jedes Wort aus Deinem Mund ist verflucht." Mit kalten Händen griff die Gestalt nach seinen Schultern, um ihn zurückzudrängen ...

als Harry laut schreiend aus seinen Träumen aufwachte. Schweißgebadet und heftig atmend saß er in seinem Bett, er zitterte am ganzen Körper und war außer sich vor Panik. Draco, der seine Hände auf Harrys Schultern gelegt hatte, um ihn zu beruhigen, hatte alle Mühe, ihn festzuhalten. „Ganz ruhig, Harry, es war nur ein böser Traum", streichelte er dem Anderen sanft über den Rücken und legte seine Arme um ihn. „Draco, ich... Du... ich habe Dich umgebracht", stammelte Harry zusammenhanglos.

„Dafür fühle ich mich aber ziemlich lebendig", schmunzelte der Blonde. „Willst Du mir alles erzählen?"

Harry schüttelte verneinend den Kopf. Er fühlte sich elend, die Kälte, die er in seinem Inneren spürte, breitete sich nach draußen aus.

„Scheint wohl wieder eine unruhige Nacht zu werden", seufzte Draco resignierend. „Wenn Du mir nur sagen würdest, wovon Du ständig träumst. Es muss wahrhaft schrecklich sein... Rutsch doch mal!" Ohne lange zu fragen, legte sich der Blonde in Harrys Bett, der Dunkelhaarige kuschelte sich verängstigt und zitternd an ihn. Zwar schien er immer noch auf dem schmalen Grat zwischen Traum und Realität zu wandern, doch Draco flüsterte ihm belanglose, zärtliche Worte ins Ohr und hörte nicht auf, ihn zu streicheln, bis Harry schließlich ruhiger wurde und sich zu entspannen begann.

Eng umschlungen fielen die beiden in einen tiefen, traumlosen Schlaf, aus dem sie am nächsten Morgen viel zu früh geweckt wurden.


Während er sich die Zähne putzte, überlegte Harry, wie der Name des Mannes lautete, den der falsche McLaggen in seinem Traum getötet hatte. ‚Cirrus? Nein, das war es nicht, irgendwie anders. Campilus? Cornius? Ich bin mir sicher, dass es was mit „C" war und hinten ein „us" hatte. Aber wie hieß der Kerl?' Es wollte ihm partout nicht mehr einfallen.

Was er jedoch noch wusste, war das „Haus der Blumen", in dem ein Teil des Schildes war. Doch was war dieses Haus? Ein Gewächshaus? Ein Gartenhäuschen? Alles Mögliche konnte sich hinter dieser Bezeichnung verbergen.

Noch mehr jedoch quälte Harry eine andere Frage: Wer hatte ihm in seinen Träumen den Zugang zu diesem Haus verwehrt? Es war nicht McLaggen, so viel stand für ihn fest. Die toten Augen des Anderen hatten es ihm verraten. Doch wer hatte solches Interesse daran, dass Harry den Schild nicht in die Hände bekam? Und wer ging dabei sogar soweit, die tiefsten und geheimsten Ängste des Dumblesnape-Schülers gegen ihn einzusetzen?

Nach all der Zeit machte sich Harry immer noch Vorwürfe, den Tod Sirius' verschuldet zu haben. Wäre er damals nicht auf Voldemorts Trick hereingefallen und Hals über Kopf ins Ministerium gestürmt, um seinen Paten zu retten, würde dieser noch leben. Wer um Merlins Willen hasste ihn so sehr, dass er ihm diese Träume schickte? Harry fand keine Antworten auf seine Fragen.

Ähnlich ging es Hermine, die während der unterrichtsfreien Zeit die Bibliothek durchforstete, um einen Hinweis auf den Schild zu finden. Theo hätte ihr zwar liebend gern den Zutritt zur Verbotenen Abteilung gewährt (und wäre völlig selbstlos auch bereit gewesen, sie dorthin zu begleiten), doch McGonagall hatte einen speziellen Zauber auf diese Abteilung gelegt, so dass nur jemand mit gültiger Unterschrift eines richtigen Lehrers diesen Teil betreten konnte. Es half Hermine also nichts, dass Harry heute Mittag mit seiner üblichen „Zwanzig Hühner laufen gleichzeitig über mein Pergament"-Schrift seine Unterschrift auf einen Zettel gekritzelt hatte, denn die anderen Lehrer waren keine Hilfe gewesen.

Binns hatte sie noch nicht einmal zur Kenntnis genommen, so dass die Hexe sich fragte, ob der Geist überhaupt bemerkt hatte, dass sie an seiner Stelle die Erstklässler unterrichtete.
Trelawney hatte einen spitzen Schrei ausgestoßen und von schrecklichen Omen geschwafelt, die allesamt im Zusammenhang mit dieser Unterschrift stünden.

Slughorn hatte gelacht und sie jovial zum nächsten Treffen des Slugclubs eingeladen (Hermine hatte dankend abgelehnt, DAS brauchte sie nun wirklich nicht zu ihrem Glück).

Sinistra und Vektor hatten es herzlich bedauert, jedoch hatten sie von McGonagall die genaue Anweisung bekommen, Hermine auf keinen Fall den Zutritt zur Verbotenen Abteilung zu gewähren. Daraufhin beschloss die Hexe, die Schulleiterin gar nicht erst zu fragen.

Hagrid hatte ihr zwar ebenfalls die Unterschrift verweigert, sie jedoch zu Tee und Keksen eingeladen, woraufhin die Braungelockte ihn auf das nächste Wochenende vertröstet und ihm aber gleichzeitig erklärt hatte, dass es durchaus möglich war, dass sie zu acht kämen. Diesen Schock musste der Halbriese erst einmal verdauen.

Doch jetzt fehlte eben die vermaledeite Unterschrift. „Theo, was soll ich nur machen?", jammerte Hermine in der Bibliothek, in der sie an diesem Nachmittag völlig allein waren.

Der Angesprochene überlegte. Grübelnd kratzte er sich an der Nase, als er plötzlich die Erleuchtung hatte. Schon seit jeher war Theo ein begeisterter Leser des „Tagespropheten" gewesen und daran hatte sich auch nichts geändert. Erst neulich hatte er doch mit einem spöttischen Grinsen auf den Lippen einen höchst interessanten Kurzartikel gelesen.

„Sag mal, Hermine, hast Du noch ein Autogramm von Lockhart?", fragte er die Hexe grinsend, die natürlich prompt dachte, er wollte sie mit ihrer längst abgeflachten Begeisterung für den inkompetenten Schönling aufziehen. Sie wollte gerade zu einer Schimpftirade ansetzen, als Theo weitersprach: „Wenn ja, interessiert es Dich vielleicht, dass Lockhart seit einigen Wochen in Beauxbatons unterrichtet – und nachdem nie die Rede davon war, dass derjenige in Hogwarts unterrichten muss..."

Hermines Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Natürlich hatte sie noch ein Autogramm von Lockhart, damals im St. Mungos hatte er ihr doch eines gegeben. Wenn sie nur wüsste...! Hatte sie das Autogramm damals in ihre Manteltasche gesteckt oder in ein Buch?

Mit einem hastigen „Ich bin gleich wieder da!" zu Theo stürzte sie aus dem Raum, raste die Treppe hinauf in den Gemeinschaftsraum der Dumblesnape-Schüler, fegte an Ron vorbei, der es sich gerade mit einigen Schokofröschen auf dem kleinen Sofa gemütlich gemacht hatte und seiner Freundin mit offenem Mund hinterher starrte, rannte fast Harry und Draco über den Haufen und lief in ihr Zimmer. Dort öffnete sie die alte Truhe, in der sie alles aufbewahrte, was in ihrem Leben eine Bedeutung hatte.

Achtlos durchwühlte sie die Truhe, Bücher, Fotos und Erinnerungsstücke flogen durch den Raum, bis sie schließlich den geschlossenen Umschlag mit der Aufschrift „Die größte Dummheit meines Lebens" fand. Ja, Hermine hatte das Autogramm Lockharts aufbewahrt, als Erinnerung und Mahnung, sich nie wieder vom Äußeren eines Menschen blenden zu lassen.

Sie packte den Umschlag, stopfte die restlichen Gegenstände in die Kiste zurück und verließ Zimmer und Gemeinschaftsraum ebenso hastig, wie sie gekommen war. Ron rief ihr noch hinterher, was denn los sei, doch Hermine hörte ihn kaum noch.

Außer Atem kam sie in der Bibliothek an und lächelte Theo zu. Mit zuckersüßer Stimme flötete sie: „Ich würde gern in der Verbotenen Abteilung nach einem ganz bestimmten Buch suchen. Hier ist die Unterschrift des Lehrers." Theo nahm das Pergament mit dem schwungvollen Autogramm Lockharts entgegen, nun konnten sie nur noch hoffen.

Voller ängstlicher Erwartung gingen die beiden hinüber zum abgegrenzten Teil des Raumes, mutig setzte Hermine einen Fuß über die magisch geschaffene Linie. Wenn der Plan scheiterte, würde sie gleich durch die Luft fliegen, während McGonagall im Direktorat informiert würde, dass jemand versuchte, in die Verbotene Abteilung einzudringen. Erleichtert stellten Theo und Hermine fest, dass ihr Vorhaben offenbar geglückt war. Ohne Probleme konnten sie den nicht zugänglichen Teil betreten.

Die Augen des Zauberers leuchteten, schon immer wollte er diese Bücher anschauen und nun hatte er endlich die Gelegenheit dazu. Neugierig flogen seine Augen über die Buchrücken, während Hermine bedächtig alle in Frage kommenden Bücher begutachtete. Schließlich war es Theo, der das unscheinbare Buch „Magische Mythen, verschollene Geheimnisse und tödliche Waffen" entdeckte. Vorsichtig zog er es heraus, der Zahn der Zeit hatte schon heftig an diesem Werk genagt. Der schmucklose schwarze Ledereinband wies einige Löcher auf, die Seiten selbst waren ausgetrocknet und vergilbt. Und doch durchfuhr den ehemaligen Slytherin ein merkwürdiges Gefühl, dass ihm sagte, dass dies der Schlüssel für das Mysterium sei.

Wortlos drückte er Hermine, die gerade einen dicken Wälzer über magisch veränderte Muggelwaffen überflog, das Buch in die Hand und zwinkerte er ihr zu. Die Hexe staunte nicht schlecht, denn auch sie erkannte instinktiv, dass Theo einen Glückstreffer gelandet hatte. Leise flüsterte sie „Und Du glaubst, dass das ...?" Sie sprach das Unsagbare nicht aus, Theo nickte nur.

Lautlos zogen sie sich aus der Verbotenen Abteilung zurück, Hermine setzte sich an einen Tisch nahe dem Fenster und begann, das Werk Adalbert Schwahfels zu lesen. Der Name des Verfassers war ihr natürlich ein Begriff, entstammte seiner Feder doch das Schulbuch „Theorie der Magie", dass er jedoch auch „Magische Mythen, verschollene Geheimnisse und tödliche Waffen" geschrieben hatte, war in der Zauberwelt völlig unbekannt.

Auch Theo kehrte an seinen Platz zurück, gerade als eine Horde Zweitklässler kichernd und johlend die Ruhe der heiligen Hallen störte. „Ich darf doch wohl um etwas Ruhe bitten", forderte er die Quälgeister unmissverständlich auf und bemerkte dabei nicht, dass ein weiterer Zauberer seine kurzzeitige Ablenkung ausnutzte, um sich heimlich in die Verbotene Abteilung zu schleichen. Erst als wenige Sekunden später ein ohrenbetäubendes Geschrei aus dieser Ecke der Bibliothek kam, ließ Theo die kleinen Gryffindors, die plötzlich ruhig waren, stehen und eilte zu der magischen Absperrung.

„Darf ich fragen, McLaggen, was Du hier suchst?", fragte er betont höflich, als er den Zauberer erkannte, der wie eine Fliege an der Absperrung kleben geblieben war.

„Was geht Dich das an, Nott!", fauchte der Ertappte. „Mach mich sofort los!"

„Oh, ich fürchte, DAS übersteigt meine Kompetenzen. Was willst Du überhaupt in der Verbotenen Abteilung? Die Quidditchbücher stehen doch alle im zugänglichen Teil der Bibliothek."

Eine Antwort auf seine Frage bekam Theo von McLaggen nicht, im Gegenteil, der Gryffindor schimpfte wie ein Rohrspatz, weil ein Todessersohn es wagte, IHN so zu behandeln. Bei diesen Worten sah der ehemalige Slytherin rot, doch Hermine, die ihre Lektüre wegen des Radaus unterbrochen hatte, legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.

„Lass es, Theo, er ist es nicht wert, dass man sich die Hände an ihm schmutzig macht", meinte sie mit einem abfälligen Blick auf den festklebenden Gryffindor. „Sieh nur, da kommt McGonagall, soll sie sich doch um ihn kümmern!"

Als der Alarm im Direktorenzimmer losgeschlagen hatte, vermutete die Schulleiterin sofort einen der drei speziellen Kandidaten dahinter. Umso größer war ihr Erstaunen, als sie McLaggen erkannte, dummerweise hatte sie jedoch dessen Beleidigungen an Theos Adresse mitbekommen und war äußerst ungehalten.

„Mr. McLaggen! Bevor ich Sie vom Klebefluch befreie, werden Sie sich bei Mr. Nott entschuldigen! Während er die Bibliothek beaufsichtigt, ist er ein Angestellter der Schule und ich verlange, dass Sie ihm ein Mindestmaß an Respekt entgegenbringen, vor allem, wenn er nur seine Pflicht tut! Außerdem wüsste ich gerne, was um Merlins Willen Sie in der Verbotenen Abteilung gesucht haben! Der Lehrplan sieht zur Zeit nichts vor, was nicht auch mit den zugänglichen Büchern abzudecken wäre!", schimpfte sie.

McLaggen murmelte ein undeutliches „Hab mich verlaufen" und ein sehr kurzes, knappes „Sorry", beides war jedoch äußerst unglaubwürdig. Die Direktorin blickte ihn strafend an und meinte ebenso knapp: „Nachsitzen, heute Abend um 8.00 Uhr bei mir!", ehe sie den Gryffindor aus seinen unsichtbaren Fesseln löste.

McLaggen verschwand pfeilschnell und mit ihm auch die Zweitklässler. McGonagall schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich möchte nur wissen, was mit dem Jungen los ist! Bis zum Sommer war er ein völlig normaler Zauberer mit einem leichten Hang zur Überheblichkeit. Man könnte glauben, er sei besessen."

Hermine war sich fast sicher, dass McLaggen etwas verbarg. Ihrer Meinung nach dienten die Zweitklässler nur dazu, Theos Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, damit Cormac ungehindert die Verbotene Abteilung durchforsten konnte. Zwar hatte man schon immer die Unterschrift eines Lehrers gebraucht, um dorthin zu gelangen, doch der Klebefluch war neu. Nur Theo, McGonagall, Madam Pince und Filch konnten davon wissen. ‚Was hat er dort gesucht?', stellte sich die Hexe die Frage.

Seufzend widmete sie sich wieder dem Buch und eine Zeit lang war nur leises Seufzen und das gelegentliche Umblättern zu hören.

Plötzlich vernahm Theo, der gerade seine Arithmantik-Hausaufgaben machte, weil ja außer ihm und Hermine keiner im Raum war, ein lautes Keuchen, gefolgt von einem „Theo, da ist es, komm schnell!"

Er ließ vor Schreck sein Buch fallen, schoss in die Höhe und stolperte fast über seinen Stuhl, als er zu der Hexe hinüberlief, die vor Aufregung rote Wangen hatte.

„Ich hab es gefunden, sogar mit Zeichnung", triumphierte Hermine stolz und wedelte mit dem aufgeschlagenen Werk Schwahfels in der Luft herum. „Hier, lies selbst."

Theo konnte es nicht fassen. Sein Gefühl hatte ihn nicht betrogen. Der Teil des Schildes, der in ihrem Gemeinschaftsraum lag, sah genauso aus wie auf der Skizze, sogar die Schriftzeichen waren die gleichen.

Interessiert begann er den angefügten Text zu lesen:

In früheren Jahrhunderten griffen Magier oftmals in die Königswahl der Muggel ein. Als Beispiel sei hier das Volk der Pikten genannt, die nach dem Tod ihres Anführers Oengus mac Fergus lange Zeit darum stritten, wer dessen Stelle einnehmen sollte. Da sich Nechton und Ciniod, zwei Muggel von hohem Alter und großem Einfluss,nicht einigen konnten, entschieden die Zauberer, dass Ciniods Sohn Cumulus trotz seiner Jugend die Herrschaft über das Land antreten solle. Nechtons Erstgeborener Furnius war mit Cumulus befreundet, so dass die weisen Männer hofften, die Freundschaft der beiden würde den Frieden des Landes garantieren.

Um die Macht des neuen Königs zu stärken, ließen sie ihre magischen Kräfte in ein Stück Metall fließen, das durch geschickte Hände zu einem unvergleichbar wertvollen Kleinod wurde. Acht Edelsteine repräsentierten die Tugenden, die der junge König für seine Herrschaft brauchte: Die Stärke, ein Land zu regieren;Verständnis für sein Volk; den Mut, Änderungen herbeizuführen, die ihm notwendig erschienen; Vertrauen zu sich und anderen; die Intuition, auch auf sein Gefühl zu hören; Schutz vor dem Bösen, Klarheit und Liebe.

Cumulus war ein guter Mann mit reinem Herzen, jedoch machte er den Fehler, seinem Freund Furnius weiterhin zu vertrauen. Dieser konnte es nicht überwinden, so knapp am Thron gescheitert zu sein. Mit Intrigen und Verrat stürzte er den König, der mit seinen acht treuesten Dienern floh. Furnius jagte seinen früheren Freund, nachdem er bemerkt hatte, dass dieser den Schild, das Zeichen der Magier für die Rechtmäßigkeit seiner Herrschaft, mit sich genommen hatte.

Welches Schicksal der gestürzte König fand, bleibt ungewiss. Furnius kehrte einsam und von allen Männern verlassen an den königlichen Hof zurück, an dem er noch drei Jahrzehnte regierte.

Über seinen Tod ranken sich diverse Legenden, alle Quellen berichten jedoch einvernehmlich davon, dass der Palast plötzlich von einer dichten Nebelwand umgeben war. Als diese sich auflöste, fand man die ausgezehrte Leiche des Verräters. Seine Finger berührten nie den Schild und schließlich tauchten Jahrhunderte später die Bruchstücke des Schildes in der magischen Welt auf, in der sie von großen Magiern beschützt und bewacht wurden.

Die Wirkung des Schildes scheint enorm zu sein: An jedem Ort, an dem eines der Bruchstücke aufbewahrt wird, ist ungewöhnlich viel Magie zu spüren. Meine Nachforschungen ergaben jedoch nur rätselhafte Hinweise.

So soll nur eine Gemeinschaft aus acht Personen bestehend in der Lage sein, den Schild zu entdecken, genaue Ortsangaben waren jedoch keiner Quelle zu entnehmen. Übereinstimmend wurde davon berichtet, dass sich der Ort, an dem sich eines der Bruchstücke befindet, dem Würdigen nur in seinen Träumen offenbart.

Einer uralten Prophezeiung zufolge soll demjenigen, der das Schild zusammenfügt, es jedoch nicht für die Herrschaft benutzt, die Macht gegeben sein, dem Tod selbst acht Seelen abzutrotzen, sofern diese weniger als vier Jahren in dessen Reich verweilten. Von wissenschaftlicher Seite aus betrachtet, ist diese Behauptung nichts weiter als ein Ammenmärchen.

Theo las den Text zu Ende und atmete erst einmal kräftig durch. „Stell Dir vor, wenn WIR diesen Schild tatsächlich finden... Hermine, wir werden berühmt! Dann wird nie wieder jemand wagen, mich das nichtsnutzige Balg eines verfluchten Todessers zu nennen. Das müssen wir unbedingt den anderen zeigen!"

Der Dumblesnape-Schüler dachte gerade noch daran, die Tür abzusperren, ehe er mit Hermine im Schlepptau in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors stürmte.

„Ihr ahnt ja nicht, was wir gefunden hab-...", hob er seine Stimme an und verstummte prompt, als er die Direktorin, Trelawney und einen ihm unbekannten Geist entdeckte.

McGonagall lächelte die beiden Schüler mit schmalen Lippen an. „Nun, es erscheint mir zwar etwas verfrüht, um die Bibliothek zu schließen, aber dadurch kann ich Ihnen gleich den neuen Hausgeist von Dumblesnape vorstellen. Das ist Sir Nufu!"

Der Magische Schild - HP FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt