Magische Momente

46 6 0
                                    

Das Band zwischen Harry und Draco war gerissen; unmittelbar nach ihrer Rückkehr zum Manor zog Harry in ein anderes Zimmer. Auch sonst vermied er jeden Kontakt zum Blonden. Narzissa erkundigte sich besorgt bei ihrem Mann, was um Merlins Willen in der Winkelgasse vorgefallen wäre. Lucius erzählte es ihr; mittlerweile fehlte auch ihm jegliches Verständnis für Harrys heftige Reaktion.

Am liebsten hätte er den Dunkelhaarigen auf die Straße gesetzt, doch aus Rücksicht auf den angeschlagenen Ruf der Familie beschloss er, die wenigen Tage bis zur Rückkehr der Schüler nach Hogwarts abzuwarten und gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Beide Eltern litten mit Draco mit, der mit jedem Tag blasser wurde. Die anderen Dumblesnape-Schüler taten ihr Bestes, um den Blonden auf andere Gedanken zu bringen. Alle versuchten, mit Harry zu reden, doch der Dunkelhaarige gab nur patzige Antworten und sparte nicht mit höhnischen Bemerkungen.

Der böse Geist musste verhindern, dass er zu früh entdeckt wurde. Dadurch, dass Harry ihm seinen Körper nicht freiwillig überlassen hatte, konnte er auch dessen Magie nicht nutzen. Furnius ärgerte sich maßlos darüber, denn bei McLaggen war das anders gewesen. Die Gefahr, dass die Dumblesnape-Schüler herausfanden, was mit ihrem Freund los war, war sehr viel größer als es bei dem Gryffindor gewesen war.

Daher musste er es schaffen, Harry von den anderen zu isolieren und die Gemeinschaft der Acht zu zerstören. Durch die beleidigenden Äußerungen und das unerträgliche Verhalten, erreichte er, dass die übrigen Schüler den Dunkelhaarigen schließlich komplett ignorierten. Harry hatte niemanden mehr, keinem würde es auffallen, wenn der Geist schließlich die Seele Harrys aus dessen Körper verdrängte und dadurch wieder zum Mensch wurde.

Der Dunkelhaarige versuchte immer noch, sich gegen den Eindringling zu wehren, doch Furnius war stets auf der Hut. Er hatte den idealen Körper gefunden und würde ihn auch nicht mehr hergeben. Dass sein Wirt unter dieser Situation litt, interessierte ihn nicht. Für den Geist zählte nur eines: Der magische Schild.

Wenn er nur endlich wüsste, an welchem Ort die Schüler das Bruchstück aufbewahrten. Die anderen beiden Teile, die McLaggen an sich genommen hatte, würde er erobern, sobald er in Harrys Körper zurück nach Hogwarts kam. Sobald er die drei entdeckten Teile hatte, würde er die Schule verlassen und weitersuchen, bis der Schild vereint war und er die Herrschaft übernehmen konnte. Endlich würde er die Macht besitzen, nach der er sich ein Leben lang gesehnt hatte. Alle würden zu ihm aufschauen und ihn fürchten.

Jeden Morgen, wenn Harrys Körper aus dem Bett stieg, begrüßte der Geist seinen unfreiwilligen Gastgeber mit einem hämischen „Guten Morgen" und rechnete der gequälten Seele vor, wie viel Zeit ihr noch blieb. Furnius genoss diese bösen Spiele, mit denen er sein wehrloses Opfer schlimmer peinigen konnte, als jeder Cruciatus es jemals geschafft hätte.

Harry zog sich immer weiter zurück, nur der Gedanke an Draco und seine Freunde verhinderte, dass er den Kampf aufgab. Es waren schreckliche Nächte, wenn der Zauberer sich schlaflos im Bett wälzte und mitanhören musste, dass einige Zimmer weiter Draco derart von Alpträumen geplagt wurde und oftmals schreiend und weinend aufwachte. Wenn es doch nur eine Möglichkeit gäbe, den anderen mitzuteilen, was mit ihm los war!

Es waren harte Tage für den Blonden. Draco litt unsagbare Qualen, er hätte es nie gedacht, dass er Harry so vermissen würde. Jeden Tag versuchte er aufs Neue, mit ihm zu sprechen, doch der Dunkelhaarige ging ihm aus dem Weg. Am Silvestertag kam Harry nicht einmal mehr ins Esszimmer, sondern ließ sich die Speisen auf sein Zimmer bringen.

Als das neue Jahr schließlich mit Knallen und Raketen begrüßt wurde und sich die Paare küssten, stand Draco in der Kälte und starrte mit tränennassen Augen in den erleuchteten Himmel. Der Anblick der Verliebten, die gemeinsam ins neue Jahr starteten, ließ ihn verzweifeln und niedergeschmettert stellte er Überlegungen an, warum Harry sich in den wenigen Tagen so sehr verändert hatte. War das überhaupt noch sein Harry?

Noch immer trug er das Pergament bei sich, das er bei nächster Gelegenheit den anderen zeigen wollte. Die Worte, die darauf geschrieben waren, hatten sich jedoch tief in sein Gedächtnis gebrannt: Lernt, in das Herz hineinzuschauen, trauet nie dem äuß'ren Schein.

„Wenn Du mir nur Gelegenheit geben würdest, in Dein Herz zu sehen!", schrie er hilflos in die Nacht. „Ich möchte nur eine Chance, nicht mehr!"

Einer plötzlichen Eingebung folgend, ging er ins Haus hinein und lief den langen Gang entlang zu Harrys neuem Zimmer. Zögernd klopfte er an die Tür, Harry öffnete ihm überrascht. Bevor der Dunkelhaarige ihm die Tür vor der Nase zuschlagen konnte, hatte er schon einen Fuß zwischen Tür und Türstock geschoben und bat mit leiser Stimme.
„Ich wollte Dir wenigstens ein gutes neues Jahr wünschen, Harry." Flehend streckte er die Hand aus, die der Andere nach kurzem Zögern ergriff.

Draco schloss seine Augen und konzentrierte sich auf seine Gefühle. Er schüttelte die Hand Harrys, der Dunkelhaarige gab einen knurrenden Laut von sich. Draco schreckte zurück, die Hand des Anderen war eiskalt, wie die eines Geistes. Vor seinem geistigen Auge entstand ein Bild, das den Blonden zutiefst erschütterte. Vor ihm stand nicht Harry, sondern Furnius.

„Ich werde Dich nicht aufgeben, Harry, niemals", flüsterte Draco leise.

„Scher Dich zum Teufel", grollte Harry und schob ihn mit hartem Griff aus seinem Zimmer.

Der Blonde stand wie vom Donner gerührt vor der verschlossenen Tür und starrte gedankenversunken auf das schwere Holz. Wurde er langsam verrückt oder war das, was er gesehen hatte, Wirklichkeit?

Nachdenklich ging er in den Salon, in dem seine Familie und Freunde bereits auf ihn warteten. Lucius erstarrte, als er sah, dass sein Sohn offensichtlich geweint haben musste. Ruf hin oder her, aber niemand ging so mit Draco um. Entschlossen erhob er sich von seinem Sitzplatz.

„Jetzt reicht es, Potter soll auf der Stelle mein Haus verlassen! Ich werde nicht länger tatenlos zusehen, wie mein eigener Sohn vor die Hunde geht, und dem Verursacher nebenbei noch ein Dach über dem Kopf gewähren!"

Draco hob den Kopf. „Nein, Vater. Das ist nicht Harry. Das... ist Furnius", erklärte er mit gebrochener Stimme.

Die Dumblesnape-Schüler hielten erschrocken die Luft an, Milli entfuhr ein lauter Angstschrei.

Theo hatte sich als erster gefasst. „Bist Du Dir sicher, Draco?"

Der Blonde nickte. „Ja", verkündete er entschieden. „Offensichtlich hat dieser Idiot meinen Freund in Gringotts überwältigt."

Lucius starrte seinen Sohn zweifelnd an, ehe er schließlich losdonnerte. „Schluss mit den Heimlichkeiten! Ich wünsche auf der Stelle zu erfahren, was hier gespielt wird. Wer ist Furnius?"

Ratlos blickten sich die Schüler an. Sollten sie ihr Geheimnis wirklich preisgeben? Alle Augen waren auf Draco gerichtet, der schließlich schluckte und begann, seinen Eltern die ganze Geschichte zu erzählen. Er berichtete ihnen vom Zufallsfund des ersten Schildteils, davon, als sie herausgefunden hatten, was es mit dem Bruchstück auf sich hatte und von der Verfolgungsjagd bis zur Heulenden Hütte. Auch die Anfeindungen durch die Gryffindors verschwieg er nicht. Jede Einzelheit erzählte er, bis er nach einer Stunde endlich erschöpft verstummte.

Lucius und Narzissa sahen sich entsetzt an, ihnen war klar, was das für den Freund ihres Sohnes bedeutete. Doch wie sollten sie ihm das beibringen?

Schließlich räusperte sich die blonde Hexe. „Draco, wenn dieser Furnius tatsächlich gegen Harrys Willen in seinen Körper eingedrungen ist, müsst Ihr alle versuchen, diesen Geist wieder herauszulocken. Ein Zauberer kann sich über längere Zeit nur dann einen Körper mit einem anderen Wesen teilen, wenn dies freiwillig geschieht. Eine Besessenheit, wie sie hier vorliegt, endet normalerweise mit dem Tod der eigentlichen Seele und zwar nach genau zwölf Tagen. Je mehr Zeit verstreicht, desto schwächer wird Harrys Widerstand. Heute ist der 4. Tag, ein Drittel der Zeit ist um. Wenn Ihr handeln wollt, müsst Ihr es bald machen. Nach allem, was wir gehört haben, muss auf jeden Fall verhindert werden, dass Furnius in Harrys Körper nach Hogwarts zurückkehrt."

„Aber wie können wir Furnius herauslocken?", fragte Milli. „Er zwingt Harry dazu, uns aus dem Weg zu gehen."

„Wir müssen ihn überlisten", stellte Hermine fest. „Unsere Chance liegt darin, dass wir als Einheit auftreten müssen, wie das Pergament im Verlies der Malfoys es gesagt hat. Er soll wissen, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind. Auch Harry muss das erfahren. Vielleicht können wir ihm damit helfen, sich gegen Furnius zur Wehr zu setzen. Er darf nicht das Gefühl haben, allein zu sein."

Eifrig nickten die anderen, Hermines Vorschlag klang plausibel. Ron überlegte. „Sollen wir Furnius die Teile des Schilds geben? Vielleicht gibt er ja Ruhe, wenn er hat, was er will und lässt Harry frei."

Lucius schüttelte den Kopf. „Ich befürchte, dass sich dieser Geist nicht auf einen solchen Handel einlassen wird. Um herrschen zu können, benötigt er einen Körper. Harry ist dafür ideal geeignet: Er ist jung, kräftig und gutaussehend und hatte bis vor kurzem mit dem Horcrux des Lords einen „Gast", von dem keiner wusste", erklärte er ruhig.

„Aber wie ist es möglich, dass Harry es überlebt hat, als Voldemort fast 17 Jahre lang in ihm war?", wollte Draco wissen.

„Nun, mein Sohn, der Lord hat nur einen kleinen Teil seiner Seele auf Harry übertragen, unwissentlich noch dazu. Er machte aus dem Jungen einen Horcrux. Das ist etwas völlig Anderes als die Besessenheit, mit der wir es hier zu tun haben. Nein, Ihr müsst diesen Furnius dazu zwingen, sich offen zu zeigen. Nur dann, wenn seine Kräfte sich nicht auf Harry konzentrieren, hat der Junge eine Chance, sich gegen den fremden Geist zu behaupten."

„Toll, und wie zwingt man einen Geist? Wir können uns wohl schlecht vor Harry aufbauen und Furnius mit einem Cruciatus herauslocken", schnaufte Theo. „Davon abgesehen, dass wir damit nur Harry verletzen, habe ich keine Lust, mir mit meinem Vater eine Zelle in Askaban zu teilen."

„NEBEL!", entfuhr es Neville, der die ganze Zeit aufmerksam zugehört hatte. Fragend schauten die anderen ihn an. Verlegen ließ Neville den Kopf hängen und errötete. „Sobald der Nebel aufzog, begann Furnius immer zu schimpfen und verschwand."

Hermine nickte unterstützend. „Stimmt. In Schwahfels Buch stand sogar, dass Furnius' Schloss an seinem Todestag von dickem Nebel umgeben war und seine Leiche niemals gefunden wurde."

Lucius hatte eine geniale Idee und rieb sich zufrieden die Hände. „Nun, dann würde ich vorschlagen, dass wir nun alle zu Bett gehen und am Nachmittag das neue Jahr mit einem ausgedehnten Spaziergang beginnen. Ich kenne ein sehr reizendes Fleckchen Land, das nur den einen Nachteil hat, dass jeden Nachmittag um halb vier eine dichte Nebelwand aufzieht."

Narzissa lächelte plötzlich verträumt. „Die Berge von Fog's Heart. Wie lange war ich schon nicht mehr dort."

Lucius zog die Augenbraue hoch. „Cissa, nicht vor den Kindern!"


In dieser Nacht fand Draco erstmals wieder neue Kraft in seinem Schlaf. Die Hoffnung, Harry zu retten, trug ihn in seinen Träumen über die höchsten Berge und die tiefsten Seen. ‚Bald, Harry, bald habe ich Dich wieder', lächelte er.

---

Als Harry am nächsten Morgen einer Hauselfe anordnete, ihm etwas Essen zu bringen, senkte diese verlegen den Kopf. „Verzeihung, Harry Potter, Sir, aber Master Malfoy hat angeordnet, dass die Tradition des gemeinsamen Neujahrsessen von allen eingehalten werden muss. Harry Potter, Sir, soll bitte nach unten kommen."

„Ich hasse diese Zauberer mit ihren dämlichen Traditionen", knurrte der Dunkelhaarige und stapfte die Treppe hinunter zum Esszimmer. Dort waren schon alle versammelt und lächelten ihn an. „Ein gutes, neues Jahr, Harry", schmetterten sie ihm fröhlich entgegen und Blaise knuffte ihn in den Bauch. „Na, Du Schlafmütze, auch endlich wach?" Dracos silbergraue Augen waren fest auf seinen besessenen Freund gerichtet, Harrys Seele konnte die Liebe darin deutlich sehen.

Sein ungebetener Gast fuhr den Blonden jedoch an. „Was glotzt Du so blöd?"

Draco bemühte sich, den Schmerz über diese Worte nicht offen zu zeigen. ‚Das war nicht Harry, nein, das war nur Furnius. Harry liebt mich, so wie ich ihn liebe. Niemals würde er mich so behandeln', betete er für sich selbst.

Narzissa tat, als ob sie die letzte Bemerkung des Dunkelhaarigen überhört hätte. „Wie die älteren Freunde von Draco sicher wissen, ist es Tradition, dass alle, die in der Silvesternacht in Malfoy Manor übernachtet haben, am ersten Nachmittag des neuen Jahres einen gemeinsamen Spaziergang machen. Ich freue mich, dass in diesem Jahr auch die neuen Freunde meines Sohnes daran teilnehmen werden. Zieht Euch bitte warm an, es ist ziemlich kalt draußen."

Harry versuchte zu protestieren. „Ich... Ich fühle mich nicht wohl. Ich fürchte, ich habe mich erkältet." Ein gekünsteltes Husten sollte diese Bemerkung unterstreichen, doch Narzissa lachte nur. „Bei Erkältung hilft frische Luft am besten, sie stärkt den Körper und den Geist."

Schlecht gelaunt musste Harry sich also den anderen anschließen, schließlich durfte er seine wahren Beweggründe nicht preisgeben. Furnius fühlte sich absolut sicher, dass niemand ihn durchschaut hatte. Das freundliche Getue der Zauberer und Hexen ging ihm zwar auf die Nerven, aber er hatte sein Ziel schon so deutlich vor Augen, dass nichts ihn davon abbringen konnte.

Wenig später wanderten die Zauberer und Hexen durch die klare, kühle Luft und bemühten sich, Furnius so abzulenken, dass dieser nicht darauf achten konnte, wohin sie gingen. Harrys Seele verhielt sich sehr ruhig, der ehemalige Gryffindor hatte durch die Freundlichkeit der anderen neue Kraft geschöpft und wartete auf einen günstigen Moment, den Kampf gegen den Eindringling erneut aufzunehmen. Noch immer hatte Furnius ihn unter völliger Kontrolle und verspottete den ursprünglichen Besitzer seines Gastkörpers.

Narzissa hatte zwei Elfen gebeten, auf den geliebten Hügeln eine Picknickdecke auszubreiten und zwei randvolle Lebensmittelkörbe dorthin zu bringen. Sie wusste genau, wann sie zuletzt hier war, denn Fog's Heart war der Ort, an dem Draco gezeugt wurde. Lächelnd dachte sie an den warmen Tag im Oktober zurück, sie und Lucius waren damals frisch verheiratet gewesen und so verliebt wie heute. Zwar glaubte der Großteil der magischen Welt, die Ehe zwischen Lucius Malfoy und Narzissa Black sei eine reine Zweckehe gewesen, doch das stimmte nicht. Nur die wenigsten wussten, dass Lucius sich auf den ersten Blick in die hübsche Reinblüterin verliebt hatte, die seine Gefühle genauso innig erwiderte.

Gegen drei Uhr hatten die Malfoys und die Dumblesnape-Schüler den Picknickplatz erreicht. Ein Wärmezauber ermöglichte das Sitzen auf dem Boden, friedlich saßen alle zusammen, aßen und tranken und neckten sich mit albernen Bemerkungen. Zwar versuchte Furnius, die gute Stimmung durch Bösartigkeiten zu stören; doch diesmal gelang es ihm nicht. Der Geist schob es auf die rührselige Stimmung seiner Begleiter, nicht einen Moment kam er auf die Idee, dass er durchschaut worden war.

Dann geschah das Unfassbare: Wie Lucius Malfoy es den Schülern prophezeit hatte, zog pünktlich um halb vier aus dem Nichts heraus eine dicke Nebelwand auf; undurchdringbar wabberte die graue Luftmasse über den Hügel, auf dem das Picknick stattfand. Harry schrie entsetzt mit unnatürlich hoher und kreischender Stimme auf. Es waren keine menschlichen Laute, Furnius hatte erkannt, dass man ihn in eine Falle gelockt hatte.

„Ihr gemeinen Diebe!", geiferte er. „Erst stehlt ihr meinen Schatz und nun verbündet Ihr Euch mit meinem Feind! Ihr werdet Euren Freund niemals zurückbekommen. NIEMALS!" Er sprang auf und verschwand im Nebel, suchte einen Ausweg aus dem dichten Dampf. Draco lief ihm hinterher. „Harry!", gellte er. „Lauf nicht weg, bleib hier! Wehr Dich, Du bist nicht allein! Halte durch, bitte!"

Vor lauter Aufregung achtete er nicht auf den Weg und rutschte auf einem feuchten Stein aus. Da das Gelände abschüssig war, geriet der Blonde ins Straucheln und fiel auf den Abgrund zu. In letzter Sekunde konnte er sich an einer Baumwurzel festhalten. Vorsichtig drehte er sich um. Um ihn herum war dichter Nebel und Draco wusste instinktiv, dass der felsige Boden gut 20 m unter ihm lag. Mit einer Hand tastete er behutsam nach seinem Zauberstab, bis ihm einfiel, dass er dieser noch am Picknickplatz war. Unter Vermeidung jeder ruckartigen Bewegung griff er zur Wurzel, die bedenklich knackte. Lange würde er sich hier nicht mehr halten können.

„HILFE!", schrie er, so laut er konnte. „HELFT MIR! ICH HÄNGE IN DER LUFT UND STÜRZE GLEICH AB!"

Ein Gesicht schob sich über den Abgrund. Zwei smaragdgrüne Augen musterten ihn spöttisch. „Hochmut kommt vor dem Fall, Blondie, und Dein Fall wird sehr tief und schmerzhaft sein. Welch tragisches Unglück", höhnte Furnius.

„Harry, bitte hilf mir!", flehte Draco, er spürte, wie seine Kräfte ihn langsam verließen. Der Blonde versuchte, sich im Erdreich um die Wurzel herum festzukrallen, doch dieses war um diese Jahreszeit gefroren und bot keinen Halt.

„HARRY!", rief er verzweifelt. „Lass mich nicht im Stich! Ich vertraue Dir! Du kannst es schaffen und uns beide retten! Ich liebe Dich!"

Furnius richtete all seine Aufmerksamkeit auf den hilflos in der Luft baumelnden Draco. Diesen Augenblick nutzte Harry und sammelte all seine Kraft.

Dumbledores Gesicht erschien vor seinen Augen und er hörte die Stimme des freundlichen, alten Zauberers. „Harry, Du besitzt eine Macht, die Voldemort nicht kennt und deshalb fürchtet. Die Liebe wird Dich immer ein wenig schützen."

Dann verschwand das Gesicht und Harry erinnerte sich an das Gespräch mit McGonagall, das er zu Beginn dieses Schuljahrs mit ihr an Snapes Grab geführt hatte. „Solange wir lieben, sind wir verletzlich, aber dadurch sind wir Menschen. Alles, was wir sind, wofür wir kämpfen, ist die Liebe", hatte die Direktorin zu ihm gesagt.

Furnius begann gerade damit, gegen die Wurzel zu schlagen und so Draco abzuschütteln. Verzweifelt kämpfte Draco um sein Leben, die silbergrauen Augen hatten jede Hoffnung verloren.

„NEIN!", brüllte Harry auf und richtete all seine Gefühle gegen den Eindringling.

„DU WIRST MEINEM LIEBSTEN NICHTS TUN, VERSTANDEN?!"

Ein Ruck ging durch den Körper des Zauberers und sein Kopf schien sich in zwei Teile zu spalten. Ohne auf den Schmerz zu achten, der ihm fast die Besinnung raubte, drängte er Furnius Geist aus sich heraus. Dieser wehrte sich, versuchte, sich festzuhalten und bot Harry schließlich sogar an, ihn am Leben zu lassen und gemeinsam mit ihm zu herrschen.

„Als ob ich es auf die Herrschaft abgesehen hätte", knirschte Harry mit den Zähnen. „VERSCHWINDE ENDLICH!" Ein dumpfer Knall ertönte, als der Geist aus dem Körper verstoßen wurde. Harry seufzte erleichtert, er war am Ende seiner Kräfte, doch noch war seine Aufgabe nicht erfüllt.

Besorgt beugte er sich zu Draco. „Halt durch, bitte halt durch. Ich hole Dich hoch."

Harry lehnte sich so weit es möglich war über den Abgrund und griff nach den Händen des Blonden. „Halt Dich an mir fest und lass ja nicht los, hörst Du?"

Zentimeter für Zentimeter kämpfte sich Draco an Harrys Armen nach oben, seine Augen waren nur auf die seines Liebsten gerichtet. Keiner von beiden bemerkte, dass in der Zwischenzeit auch die anderen herankamen. Lucius erkannte die Situation und zückte den Zauberstab. Mit einem „Levicorpus" ließ er Retter und Geretteten schweben und bewegte sie sorgfältig auf den sicheren Boden, ehe er die beiden Jungzauberer sachte zu Boden gleiten ließ.

„Ich liebe Dich auch, Draco", flüsterte Harry, dann verließen ihn die letzten Kräfte und er wurde bewusstlos.

---

Harry schlug die Augen auf und blickte verwundert in die silbergrauen Sterne Dracos, der sich besorgt über ihn gebeugt hatte, als er das Aufwachen seines Partners bemerkte.

„Harry?", fragte Draco sanft und setzte sich vorsichtig auf das Bett des Dunkelhaarigen.

„Mann, ich fühle mich, als hätte mich ein Hippogreif überrannt", klagte Harry.

Draco lachte leise. „Kein Wunder, Du hast auch noch ein kleines Loch im Kopf. Aber keine Sorge, Mutter hat gesagt, dass es sehr schnell zuheilt. Wenn wir übermorgen nach Hogwarts zurückfahren, ist es vielleicht schon geschlossen."

„Übermorgen?" Der Dunkelhaarige war fassungslos. „Aber es war doch gerade erst Neujahr..."

Der Blonde wurde plötzlich sehr ernst. „Harry, Du warst fast zwei Tage lang bewusstlos. Ich hatte schon Angst, ich würde Dich verlieren. Die anderen sind noch da, sogar Greg und Rons Schwester waren hier." Ein spitzbübisches Lächeln zog auf sein Gesicht und zärtlich umfasste er den lädierten Kopf seines Liebsten „Aber eins sag' ich Dir: Von nun an bin ich der Einzige, der in Deinen Körper darf." Liebevoll legte er seine Lippen auf Harrys und küsste den Dunkelhaarigen. Er hatte ihn wieder, nach den endlos scheinenden dunklen Stunden war Harry wieder der Alte.

Ein lautes Räuspern unterbrach ihren Kuss. Unbemerkt von den beiden Zauberern hatte Lucius das Zimmer betreten; er bemühte sich, seine Rührung nicht offen zu zeigen, doch wie alle im Haus war auch er erleichtert, dass Harry die Besessenheit überstanden und besiegt hatte.

„Harry, ich denke, es ist an der Zeit, dass wir derartige Vorkommnisse in Zukunft verhindern", erklärte er dem Freund seines Sohnes. „Sie müssen sich besser wappnen, es ist nun schon das zweite Mal, dass eine fremde Seele oder ein fremder Geist in Ihren Körper eindringt. Dass Sie die Kraft dazu besitzen, haben Sie bewiesen, als Sie Furnius aus Ihrem Körper drängten. Doch es wäre gerade für meinen Sohn besser, wenn Sie von vornherein gegen Angriffe dieser Art geschützt sind. Die letzten Tage waren die Hölle für ihn."

Betroffen blickte Harry Draco an, der ihm sanft über die Wange strich. „Du kannst nichts dafür", flüsterte er leise, „Du warst es ja nicht."

Lucius erstickte diese Zärtlichkeiten im Ansatz. „Draco, informiere bitte die anderen Schüler und Deine Mutter, dass Harry nun aufgewacht ist. Lass Dir ruhig Zeit dabei, ich habe ohnehin noch etwas mit Deinem Freund zu bereden."

„Aber...", protestierte der Blonde und fing sich einen scharfen Blick seines Vaters ein. „Gut, Vater ...", brummte er und verließ das Zimmer, aber nicht, ohne Harry vorher noch einmal geküsst zu haben.

Lucius zauberte sich einen Stuhl herbei und nahm neben dem Krankenbett Harrys Platz. „Harry, wie ist es um Ihre Okklumentikkenntnisse bestellt?", erkundigte er sich.

Der Dunkelhaarige seufzte. „Ich konnte zwar Furnius davon abhalten, mehr über die Schildteile zu erfahren, aber ansonsten würde ich sagen: nicht so gut."

Lucius nickte: „Das dachte ich mir. Wenn ich in Hogwarts bin, würde ich es begrüßen, Sie einmal wöchentlich in dieser Kunst zu unterrichten. Sie scheinen zu den Menschen zu gehören, die sehr anfällig gegenüber magischen Übergriffen sind, zweifellos bedingt durch den Angriff des Lords während Ihrer Kindheit. Was Ihre Suche nach dem magischen Schild betrifft, so bin ich bereit, Sie und ihre Kameraden hierbei zu unterstützen, sofern das in meiner Macht liegt. Versprechen Sie mir jedoch, mich sofort über jede Neuigkeit zu informieren."

Harry nickte, obwohl er den Gedanken an die verhassten Okklumentikstunden nicht besonders reizvoll fand. Doch die Erklärungen des älteren Blonden klangen logisch; Harry erzitterte bei dem Gedanken, was wohl passiert wäre, hätte er den Geist nicht aus seinem Körper vertreiben können. Diese Frage stellte er wohl laut, denn Lucius geriet ins Grübeln.

„Dann wäre Draco jetzt nicht mehr am Leben. Da Ihre Seele jedoch immer noch in Ihrem Körper war, wenn auch unterdrückt, wage ich zu behaupten, dass sie dadurch Schaden genommen hätte. Dieser Furnius hätte wohl nicht zwölf Tage warten müssen, um Ihren Körper völlig zu unterwerfen", meinte er nach kurzer Überlegung.

„Warum eigentlich zwölf Tage?", erkundigte sich Harry. „Voldemorts Seelenteil war über 16 Jahre in meinem Körper, ohne dass meine eigene Seele verschwunden ist."

Lucius konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. „Wissen Sie eigentlich, dass mein Sohn mich das Gleiche gefragt hat? Sie beide sind sich wahrhaft ähnlicher, als es anfangs schien. - Nun, wie wir heute wissen, waren Sie ein Horcrux. Durch Magie wurde eine Seele gespalten und die Bruchstücke in verschiedene Gegenstände und Wesen eingepflanzt. Da Sie damals noch ein Kleinkind waren und nicht verstanden, was da um Sie herum passierte, wehrten Sie sich auch nicht gegen den Eindringling und konnten so jahrelang gemeinsam mit ihm leben. Furnius hingegen drang als Geist gegen Ihren Willen in Sie ein. Die Abwehrhaltung, zu der Ihre Seele daher gezwungen war, ist kräftezehrend, so dass diese nach spätestens zwölf Tagen abstirbt wie eine tote Pflanze. Doch nun erholen Sie sich noch ein wenig von den Strapazen. Letztendlich konnten Sie Furnius vertreiben und das allein zählt."

Harry bedankte sich und schloss müde die Augen, als ihm plötzlich noch etwas einfiel. „McLaggen!"

„Was ist mit Mr. McLaggen?", fragte Lucius nach. „Meinem Wissen nach wurde er doch aus Hogwarts ausgeschlossen."

„Er hat Furnius freiwillig aufgenommen und arbeitet selbst jetzt noch für ihn. Kann man mehrmals von einem Geist besessen sein?"

„In Ihrem Fall halte ich das für ausgeschlossen. Sie haben sich erfolgreich gegen ihn verteidigt, mit welcher mentalen Waffe auch immer, aber es schien etwas für ihn Unangenehmes zu sein. Wenn Mr. McLaggen sich jedoch wieder freiwillig anbietet, ist es durchaus vorstellbar, dass sich Furnius erneut in dessen Körper einnistet."

Plötzlich verstummte Lucius und blinzelte Harry zu, während er auf die Tür deutete. Er legte den Finger an den Mund und signalisierte dem Dunkelhaarigen damit, ruhig zu sein. Dann schwang er den Zauberstab und riss die Tür magisch auf.

Mit viel Schwung fielen Ron, Hermine, Blaise, Neville, Milli, Theo und Draco ins Zimmer und kullerten übereinander. Amüsiert blickten Lucius und Harry auf das Durcheinander an Armen und Beinen.

„Ich schätze es nicht, belauscht zu werden", schimpfte Lucius. „Noch dazu in meinem eigenen Haus. Wie lange seid Ihr schon da?"

„Erst seit McLaggens Name gefallen ist", antwortete Draco beschämt.

„Tut das nie wieder!", ermahnte der Hausherr die Schüler und verließ das Zimmer, nicht ohne die Jüngeren noch zu ermahnen. „Harry braucht noch Ruhe. In spätestens 30 Minuten seid Ihr verschwunden, verstanden?"

Aus den 30 Minuten wurden dann doch zwei Stunden, dann bemerkten die Schüler, dass es Harry zunehmend schwer fiel, die Augen offen zu halten. Sie verabschiedeten sich und zogen sich zurück, als Harry leise rief: „Draco?"

Der Angesprochene drehte sich zu seinem erschöpften Freund um. „Ja?"

„Bleib bitte. Ich kann nicht schlafen, wenn Du nicht hier bist."

Diesem Wunsch erfüllte ihm der Blonde nur zu gerne und als Lucius und Narzissa wenig später in das Krankenzimmer traten, sahen sie die beiden Jungs, die friedlich aneinandergekuschelt im Bett lagen und schliefen. Harry hatte den verbundenen Kopf an Dracos Brust gelegt, der Blonde seinen Arm beschützend um seinen Freund geschlungen.

„Sind die zwei nicht süß?", flüsterte Narzissa entzückt. „Sie sehen aus wie zwei Engel."

„Aber auch nur, wenn sie schlafen", brummte Lucius. „Worauf habe ich mich da nur eingelassen?"

Der letzte Tag in Malfoy Manor verging wie im Flug. Harry durfte unter Lucius' Aufsicht sogar für eine Stunde das Bett verlassen und im Haus herumspazieren. Draco maulte zwar ein wenig, weil er genauso gut auf Harry aufpassen konnte, ein scharfer Blick seines Vaters brachte ihn jedoch schnell zum Schweigen.

„Deine Art, auf Deinen Freund aufzupassen, kann ich mir lebhaft vorstellen. Noch braucht Harry Ruhe und Schonung, keine wilden Bettgeschichten. Wenn wir in Hogwarts sind, werde ich ihn erst einmal zu Madam Pomfrey bringen. Bevor sie nicht ihr Okay gibt, bleibst Du erst einmal aus seinen Hosen draußen."

„Spielverderber", warf Draco seinem Vater an den Kopf, bis er schließlich alle Worte Lucius' verarbeitet hatte. „Moment mal, wieso bringst DU ihn zu Madam Pomfrey? Begleitest Du uns etwa?"

Lucius verzog gequält das Gesicht. Da hatte er Harry das Versprechen abgenommen, zu schweigen, und nun verriet er sich selbst. Dann straffte er die Schultern und warf seinem Sohn einen strengen Blick zu. „Vor Dir steht Dein neuer Lehrer in Verteidigung gegen die dunklen Künste. Ich erwarte, dass alle Dumblesnape-Schüler und vor allem mein eigener Sohn ausschließlich Bestleistungen bringen."

Draco sah Lucius voller Stolz an. „Vater, das ist großartig. Aber was wird aus Mutter?"

„Ich werde ebenfalls in Hogwarts unterrichten", verkündete Narzissa mit glockenheller Stimme. „Soeben hat Minerva mich per Eule gebeten, ihren Verwandlungsunterricht zu übernehmen, da ihr die Aufgaben über den Kopf wachsen."

Freudestrahlend trat sie zu ihren beiden Männern und schloss diese überglücklich in die Arme.

„Darf ich auch mitkuscheln?", fragte Harry, der am oberen Ende der Treppe stand und jedes Wort gehört hatte. „Oder gilt das nur für die Familie?"

„Aber Harry, da gehörst Du doch jetzt dazu", lächelte die blonde Hexe und Lucius hielt ihm einladend die Hand entgegen. „Willkommen in unserem Kreis!", begrüßte er den Dunkelhaarigen, als dieser mit wackeligen Beinen die Treppe herabstieg. 

Der Magische Schild - HP FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt