Kapitel 22

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Nach einigen Minuten spüre ich, wie die Müdigkeit mich übermannt, und ich schlafe ebenfalls ein.

Es ist früh am Morgen, als ich meine Augen öffne und bemerke, dass Ran nicht mehr neben mir liegt. Er ist in der Dusche. Ich strecke mich und spüre, wie mein ganzer Körper schmerzt, aber es tut andererseits auch gut, sich einfach mal zu strecken. Meine Augen brennen, und sie sind wahrscheinlich geschwollen. Ich möchte am liebsten gar nicht wissen, wie ich aussehe. Wohl ziemlich beschissen. Ich stehe auf, und es klopft an der Tür. „Y/N?" fragt eine vertraute Stimme. Es ist Koko. „Ja?" antworte ich, und er kommt herein mit zwei riesigen Tüten in der Hand. „Hier, die sind für dich. Zieh das Rote am besten an", sagt er lächelnd und verlässt den Raum, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
„Wer war das?" fragt Ran aus der Dusche heraus, und ich antworte neutral: „Koko." Ich höre, wie er das Wasser abstellt, und keine Sekunde später steht er in einem Handtuch gewickelt an der Badezimmertür. „Du solltest dich auch fertig machen, du siehst echt schrecklich aus", bestätigt er meine befürchteten Gedanken über mein Aussehen. Müde und halbherzig gehe ich an ihm vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, und um ehrlich zu sein, ist mir seine Anwesenheit egal. Der Gedanke, heute vielleicht noch meinem Vater zu begegnen, ist schlimm genug. Ich ziehe mich aus, obwohl er noch im Badezimmer steht, und blicke ihn durch den Spiegel hindurch an.
Seine Miene kann ich nicht deuten, aber er sieht nachdenklich aus. Weder erregt noch grinsend noch sonst etwas. Fragend. Als hätte er etwas zu sagen. Ich wende meinen Blick ab und gehe in die Dusche. Das heiße Wasser tut so gut auf der Haut, und meine Muskeln entspannen sich allmählich. Vielleicht ist es auch das letzte Mal, dass ich dusche. Ich wäre am liebsten noch länger unter der Dusche geblieben, aber ich weiß, dass wir schon recht bald losmüssen.
Also mache ich seufzend das Wasser aus und bewege mich aus der Dusche heraus. Ich durchsuche die Tüten von Koko und finde von Unterwäsche bis Schlafanzügen alles, bis hin zu dem roten Kleid. Es sieht eng aus und körperbetont. Am Rücken sind Schleifen, die man zusammenbinden muss, und ich muss meine Augen verdrehen, weil ich weiß, dass ich sie niemals alleine zubekommen werde. In der Tüte sind auch einige Kosmetikartikel, mit denen ich nichts anfangen kann, außer einer Gesichtscreme. Ich creme mich ein und ziehe die Sachen von Koko an, und natürlich hatte ich recht. Ich habe es natürlich versucht, selber zuzubekommen, aber leider vergebens. Als ich aus dem Badezimmer herauskomme, ist das Zimmer leer. Niemand da. Na toll, jetzt muss ich also noch raus und um Hilfe bitten oder wie?
Ich öffne die Zimmertür und blicke direkt in die Augen von Kakucho, der mich grinsend ansieht. Mein Blick lässt ihn etwas verdutzt dastehen, und er wartet auf eine Antwort von mir, wahrscheinlich weil er wusste, dass ich etwas sagen will. „Du... Kakucho... sag mal... kannst du mir das Kleid hinten zu machen?" frage ich ihn, und sehe, wie seine Augen vor Freude aufblitzen. Kakucho war echt nett zu mir, schon als wir im Auto waren nach der Aktion mit Hanma, fand ich die Geste von ihm nett, als er zu Takeomi meinte, er solle die Musik leiser drehen. Kakucho und Kononoi mochte ich echt sehr gerne. „Du siehst gut aus, diese Farbe steht dir echt gut", sagt Kakucho, als er unbeholfen versucht, die Schleifen fest zu binden. „Mhmm. Y/N?" kommt es aus ihm heraus, und ich drehe meinen Kopf nach hinten. „Hm?" gebe ich von mir und sehe, wie er nach Worten sucht. „Darf ich fragen, woher du diese Narben hast?" fragt er mich ganz leise und flüstert dabei, während er immer noch versucht, sich einen Überblick zu verschaffen. „Das war mein Stiefbruder", sage ich, ohne weiter zu reden, und ich mochte es, dass er das Thema direkt so belassen hat und nicht weiter gefragt hat.
„Weißt du, sie mögen alle streng zu dir sein, aber in Wirklichkeit wollen sie dich nur abhärten. Du wirst das schon schaffen, wir passen auf dich auf. Vielleicht mag das für dich nicht so aussehen, aber Ran und Rindou machen sich echt große Sorgen um dich", sagt er, und ich muss das erste Mal laut lachen, und blicke Kaku direkt in die Augen, der mich erneut fragend anschaut. „Ich bezweifle, dass Rindou sich überhaupt auch nur ansatzweise Sorgen um mich macht", sage ich und muss weiter lachen. Kakucho fasst sich an den Hinterkopf, und ich merke, dass er echt überfordert ist mit dem Kleid, und passend zu der Situation kommt Kokonoi. „Was, habt ihr das Kleid nicht angezogen bekommen? Komm mal her, Y/N", sagt er und schüttelt den Kopf, als er die Schleifen in die Hand nimmt. „Lass das sein, ich mache das", funkt Ran dazwischen und schubst Koko einfach zur Seite und nimmt die Schleifen in die Hand und bindet sie geschickt zusammen. Seine Hände streichen über meine Hüften, richten das Kleid, und ich bekomme direkt Gänsehaut.

Schicksal in Bonten: Zwischen Macht und VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt