2. Zoe - Das Universum hasst mich (vielleicht) doch nicht

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„DAS GIBT'S NICHT!", schrie ich begeistert, nachdem ich das dritte Mal die Zeilen der E-Mail überflog, die ich gerade erhalten hatte, um sicherzugehen, dass meine Augen mich nicht verarschten. Ich konnte es nicht glauben. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Ich hatte Tickets für die Europameisterschaft bekommen. Und auch noch hier in Berlin. Deutschland gegen Spanien. Ahhh! Vielleicht hatte sich doch nicht das gesamte Universum gegen mich verschworen. Tränen verschwammen meine Sicht. „Zoe?" Erst jetzt realisierte ich, wo ich mich gerade befand. Nämlich mitten in der Schule. Im Unterricht. Und die ganze Klasse starrte mich an.

Das mit dem Universum nehme ich wieder zurück.

„Sie hat bestimmt Geld von ihrem Suggar-Daddy bekommen." Daisies Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, aber natürlich bekam es trotzdem jeder mit. Ein Kichern ging durch die Runde. „Wer weiß, was sie ihm dafür gegeben hat," kam es von Chloe, ihrer besseren Hälfte. Unfassbar, dass die beiden einmal die wichtigsten Menschen in meinem Leben gewesen waren. Unfassbar, dass ich für sie alles getan hätte. Getan habe, um ehrlich zu sein. So viele Dinge und Situationen, in denen ich ihnen einfach nur gefallen wollte, statt für mich selbst einzustehen. Naives, dummes Mädchen. Denn all das war umsonst. Egal wie sehr ich es versucht hatte, ich war niemals gut, hübsch oder weiblich genug, um zu ihnen zu gehören. Eines Tages hatten sie sich dann entschlossen, sich von mir anzuwenden und machten mir seither das Leben zur Hölle, wo sie nur konnten.

Ich versuchte darüber zu stehen. Die Chance zu nutzen, um endlich ich selbst zu sein. Mich nicht mehr unterkriegen zu lassen. Aber egal wie kalt ich äußerlich blieb und wie selbstsicher und sarkastisch ich auf ihre Beleidigungen reagierte, manche Sachen trafen mich doch mehr, als ich es zugeben wollte. So wie jetzt. Verdammt, sogar das letzte bisschen Lebensfreude mussten die beiden mir kaputt machen. Schon mehrmals hatte ich mit dem Gedanken gespielt, die Schule zu wechseln. Neu anzufangen. Aber erstens wollte ich ihnen nicht diese Macht über mein Leben geben und zweitens waren es ohnehin nur noch ein paar Monate bis zu meinem Abitur. Dann war ich endlich frei. Ich musste es nur irgendwie so weit bringen.

„Sprichst du aus Erfahrung, Daisy?", fragte Gina neben mir. Ich lachte leise auf und fand es ausnahmsweise mal in Ordnung, dass ich mich nicht allein verteidigen musste. Auf den ersten Blick würde man Gina niemals ansehen, dass sie jemals etwas gemeines zu jemandem sagen würde. Sie sah aus wie ein Engel. Aber kannte man sie richtig, wusste man, dass sie kein Problem damit hatte, für sich und ihre Freunde einzustehen. Zu denen ich seit einiger Zeit gehörte. Genauer gesagt, seitdem sie beschlossen hatte, das stille, ausgegrenzte Mädchen aufzunehmen und in ihr riesiges Herz zu schließen. Sie war für mich der wichtigste Grund hier zu bleiben. Weiterzumachen. An mich selbst zu glauben. Ich schenkte ihr ein dankbares Lächeln, dass sie kopfschüttelnd abwehrte. Ich bezweifle, dass sie eine Ahnung hatte, wie sehr sie mir geholfen hatte. Wie sehr ich am Boden war, bevor sie kam und mich wieder aufgerichtet hat. Mir gezeigt hat, wer ich bin und wo ich hingehöre. Und dafür werde ich ihr immer dankbar sein. Denn ich weiß nicht, wo ich heute ohne sie sein würde. Ob ich überhaupt noch sein würde...

„Also, wen nimmst du mit zu diesem Spiel?", fragte mich Gina betont beiläufig, doch natürlich entging mir das Funkeln in ihren Augen nicht. „Hm, schwere Entscheidung," antwortete ich ironisch. Schließlich wusste sie genau so gut wie ich, dass niemand außer ihr in Frage kam. Meine Eltern interessierten sich überhaupt nicht für Fußball und Geschwister hatte ich keine. Klar, ich hätte jemanden aus meiner Fußballmannschaft fragen können, aber keiner davon bedeutete mir annähernd so viel wie Gina. „Schildegard?", schlug sie grinsend vor. Seit sie von meiner Schildkröte und ihrem zugegeben etwas albernen Namen erfahren hatte, ließ sie mich damit nicht mehr in Ruhe.
„Ich war sechs, okay? Aber ja, wenn du so weiter machst, ist meine Hausschildkröte womöglich eine angenehmere Begleitung als du." Ginas Grinsen wurde breiter. „Ich komme zwar nur wegen den heißen Spaniern mit, aber freue mich trotzdem."

Ich rollte mit den Augen, auch wenn ich wusste, dass das nicht stimmte. Gina war vielleicht nicht so ein Fußballfan wie ich, aber seit wir befreundet waren, hatte sie keins meiner Fußballspiele verpasst. Und sie hatte auch kein Problem damit, ihre Meinungen über den Schiedsrichter lautstark zu äußern. „Kai Havertz hat auch Potenzial," ging ich dennoch auf sie ein. „Okay, aber hast du mal Gavi gesehen? Ich meine HALLO?" Unrecht hatte sie nicht. Aber tatsächlich war das Aussehen der Fußballer nicht unbedingt das, worum es mir ging. Auch wenn es natürlich ein angenehmer Nebeneffekt war...

Wenn ich nur zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, dass dieser Nebeneffekt sich früher oder später als gar nicht so nebensächlich herausstellt, hätte ich vielleicht anders darüber gedacht.
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