27. Mateo - Mein Vater

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Noch lange nach dem Event hallte Zoes Geschichte in mir nach. Am liebsten hätte ich sie für immer festgehalten und dafür gesorgt, dass ihr nie wieder jemand wehtun könnte.
Mein Herz tat weh für das Mädchen, was einfach nur dazu gehören wollte.

Das das Gefühl bekommen hatte, nicht genug zu sein.
Das so sehr am Boden gewesen war, dass es sich in einer Schutzschicht aus Ironie und Schlagfertigkeit eingewickelt hatte.
Das manchmal so in Gedanken war, dass es die Realität vergaß.
Das eine ungesunde Beziehung zu Essen aufgebaut hatte.

Sie dachte, dass ich es nicht bemerkt hätte. Doch ich war nicht dumm. Ich kannte die Anzeichen. Und ich war mir fast sicher, dass es die Ursache dafür war, dass sie vor unserer ersten Begegnung ohnmächtig geworden war.
Wenn ich daran dachte, dass sie noch dazu zu Hause nicht gut klarkam und ihre Eltern ihre Zukunftspläne nicht unterstützen, fragte ich mich, wie viel ein Mensch noch ertragen konnte. Zoe war so stark.
So viel stärker als ich.
Und das wurde mir am heutigen Tag einmal mehr bewusst. Als ich dem Mann gegenüberstand, der die Bezeichnung Vater nicht verdient hatte.

Es traf mich völlig unvorbereitet. Es war das letzte wirkliche Training vor dem Finale. Das ausgerechnet gegen den Gastgeber Deutschland war. Welches Trikot Zoe wohl tragen würde? Ganz in Gedanken verloren verließ ich die Umkleiden und machte mich auf den Rückweg zum Trainingslager.
„Du hast Besuch," begrüßte mich Laura, die Dame am Empfangstresen und ich blickte verwirrt auf. Niemand besuchte mich hier, denn alle wussten, dass wir hier unsere Ruhe haben und uns fokussieren wollten. Wenn dann besuchte ich meine Familie.

„Dein Vater wartet auf dich im Gemeinschaftsraum."

Plötzlich wurde mir eiskalt. Ich musste mich verhört haben oder sie musste sich irren. Eins von beiden. Bitte, lass es eins von beiden sein. Denn eine solche Konfrontation war das Letzte, was ich gerade gebrauchen konnte. Falls ich es jemals gebrauchen konnte.
Ihn jemals gebrauchen konnte.

Nichtsdestotrotz überwand ich mich schließlich in den anliegenden Raum zu treten, nur um am liebsten sofort schreiend wegzurennen.
Er war es.
Ich erkannte ihn sofort, auch wenn ich gerade mal drei Jahre alt gewesen war, als er uns verlassen hatte.
Als hätten sich seine Gesichtszüge in mein Gedächtnis gebrannt
Das spitze Kinn mit dem leichten Bartschatten. Die etwas zu lange Nase und die gleichen braunen Augen, aus denen ich ihn musterte. Unter denen tiefe Schatten lagen.
Das dunkle Haar, was mittlerweile eher grau geworden war.
„Hallo, Mateo. Hast du ein paar Minuten?"

Nein. Nein die hatte ich nicht.
Ich könnte sie mir nehmen, ja. Aber nicht für ihn. Nicht, wenn ich keine Chance dazu hatte, mich hierauf vorzubereiten.

„Was willst du hier?" Es klang wütender, als ich wollte. Doch ich konnte nicht anders. Denn da war nichts als Hass und Enttäuschung, als ich ihn ansah. „Setz dich doch."
Als wäre das hier nicht meine Unterkunft, sondern seine.
Ich unterdrückte ein Schnauben.
„Ich steh hier ganz gut."

„Ich bin stolz auf dich, mein Sohn. Alles, was du dir hier aufgebaut hast, das ist...wirklich toll." Mein Sohn.
„Bist du deswegen hier? Willst du jetzt Kontakt zu mir, weil ich berühmt bin?", fragte ich kalt. Mein Erzeuger schüttelte den Kopf. „Ich kann verstehen, dass du nicht viel von mir hältst, das habe ich nicht anders verdient, schätze ich. Aber nein, ich bin hier, um dir eine Erklärung zu geben. Mich zu entschuldigen, für das, was ich euch angetan habe." Ich schwieg. Ich war mir nicht sicher, ob ich es hören wollte. Trotzdem gab ich ihm einen abwartenden Blick, der ihm bedeutete fortzufahren.

„Dass ich deine Mutter damals verließ, lag vor allem daran, dass ich in Spanien nie wirklich heimisch geworden bin. Ich war nie wirklich...zu Hause und machte deine Mutter dafür verantwortlich. Es war nicht fair, das weiß ich jetzt. Aber noch viel schlimmer daran war, dass ich nicht nur sie, sondern auch euch verlassen habe. Ich hatte Angst, ich könnte euch kein guter Vater sein, euch nicht gerecht werden."
Ich lachte auf.
„Und deshalb hast du es lieber gar nicht erst probiert? Weil du Angst hattest zu scheitern? Ganz ehrlich, ein beschissenerer Vater hättest du nicht sein können, du warst nämlich überhaupt keiner!" Wir sprachen auf Spanisch, was mich nur noch wütender auf ihn machte. Auf den Mann, der niemals da war, obwohl ich es mir so oft gewünscht hatte.

„Jetzt verstehe ich das. Aber damals war es wie ein Tunnelblick. Ich dachte einfach, ihr wärt besser ohne mich dran."
Das konnte er nicht ernst meinen.
„Kein Kind ist besser ohne seinen Vater dran, schon gar nicht drei Söhne. Wir hätten dich wirklich gebraucht."
Ich wollte nicht, dass ich so verletzt klang. Er hatte kein Anrecht darauf, mich weiter zu verletzen.

„Ich weiß und es tut mir so unendlich leid, dass ich nicht für euch da war. Ich wünschte wirklich, dass ich es ungeschehen machen könnte-"
„Das kannst du aber nicht. Und es gibt keine Entschuldigung der Welt, die das rechtfertigt," unterbrach ich ihn.
„Lass mich wenigstens versuchen, es wieder gut zu machen. Gib mir eine Chance, Mateo." Er hatte uns damals auch keine Chance gegeben. Warum also sollte er sie nach all den Jahren bekommen?

„Vielleicht hätten wir dich damals gebraucht. Aber heute tun wir es nicht mehr, denn du hast uns dazu gezwungen, dass wir lernen ohne Vater zu leben. Du hast dich für ein Leben ohne uns entschieden und jetzt musst du mit den Konsequenzen leben."

Ich war hart zu ihm, das wusste ich. Vielleicht würde ich es eines Tages übers Herz bringen, die Dinge anders zu sehen. Der Mann gegenüber, der mir so ähnlich sah und doch ein Fremder war, kritzelte eine Nummer auf einen Zettel auf dem Tisch, an dem er saß. „Falls du es dir irgendwann anders überlegen und doch einen Vater brauchen solltest, ruf mich an. Ich weiß, dass ich diese Chance nicht verdient habe, aber ich würde mich wirklich freuen, eine Rolle in deinem Leben spielen zu dürfen. Und nein, nicht weil du jetzt berühmt bist, sondern weil du mein Sohn bist."

Ich schluckte. „Und warum bist du dann nur zu mir und nicht zu den anderen gekommen?"
Er erhob sich langsam. „Weil du der einzige warst, den ich finden konnte, Mateo. Es war schön dich wieder gesehen zu haben. Viel Erfolg beim Finale, auch wenn ich eigentlich für mein Heimatland sein müsste," sagte er zwinkernd, bevor er mich sitzen ließ.
Ein zweites Mal. Aber diesmal, weil ich es so wollte. Auch wenn mein Kopf schmerzte und mein Puls wie wild schlug, wusste ich, dass diese Begegnung wichtig für mich gewesen war.

Ich hatte zwar nur Antworten auf einen Bruchteil der Fragen, die sich in den Jahren angesammelt und die ich nie hatte stellen können, aber es reichte.
Denn jetzt hatte ich wenigstens einen Grund. Und der war nicht ich, sondern er.
Er hatte mich nicht zu wenig lieb gehabt, sondern war einfach ein feiges Arschloch gewesen.

Und komischerweise war das unglaublich erleichternd.
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