11. Mateo - Deutsch ist scheiße schwer

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Da ich jetzt wusste, wie sie hieß, war es eine Leichtigkeit, sie im Netz zu finden. Gut, das war vielleicht ein wenig übertrieben. Es hatte mich ein paar Stunden gekostet, bis ich sie schließlich auf Instagram fand. Und das nur, da sie ihren Twitch-Kanal in ihrer Beschreibung verlinkt hatte, der mir verriet, dass es wirklich sie war.

Bereits seit ein paar Tagen hatte ich nun ihre Accounts, unschlüssig, was ich als Nächstes tun sollte. Schließlich wollte ich sie nicht bedrängen. Auch wenn ich letzte Woche im Club das Gefühl hatte, dass mein Interesse nicht ganz so einseitig war, hatte sie mir zuvor unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie mich nicht näher kennenlernen wollte. Außerdem durfte ich mich nicht zu sehr von ihr ablenken lassen, schließlich hatte ich eine Europameisterschaft zu gewinnen.

Aber wem machte ich etwas vor? Trotzdem ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich in kleinen Momenten, auf dem Weg zum Training oder abends im Bett durch ihre Beiträge scrollte. Es war ein öffentlicher Account mit knappen 10k Followern. Gar nicht mal wenig. Es musste daran liegen, dass sie ab und an auf Twitch streamte. Auch dort hatte ich das ein oder andere Mal reingeschaut.

Auch wenn ich kaum Deutsch verstand, klang es irgendwie niedlich, wie sie sprach. Und eventuell hatte es mich dazu gebracht, gelegentlich ein bisschen Deutsch mit einer App auf meinem Handy zu lernen. Ja, so weit war es schon gekommen.

Obwohl ich das tatsächlich nicht wegen ihr tat. Zumindest nicht nur. Es war durchaus hilfreich, zumindest ein paar Grundlagen der Sprache des Landes zu beherrschen, in dem man sich die nächsten Monate aufhielt. Was zudem auch die Muttersprache meines Vaters war.

Es gefiel mir in Berlin. Ich hatte zwar nicht sonderlich viel Zeit, die Stadt zu erkunden, aber zumindest dem Brandenburger Tor hatte ich schon den ein oder anderen Besuch abgestattet. Das „Hotel", was meine Familie bekommen hatte, glich eher einer Penthouse-Wohnung und war fast doppelt so groß, wie unser zu Hause in Cádiz. Natürlich liebte ich es auch dort, schließlich war es meine Heimat. Aber wir hatten nie besonders viel gehabt, da Mom sich schon immer allein um mich und meine zwei Brüder kümmerte. Es hatte mir zwar nie wirklich gefehlt, aber trotzdem war ich umso stolzer, meiner Familie jetzt ein wenig Luxus ermöglichen zu können. Auch wenn ich den Großteil meiner Zeit im Trainingslager verbrachte, versuchte ich so oft es ging bei ihnen vorbeizuschauen und meine wenige Freizeit mit ihnen zu verbringen.

Es schien, als hätten auch sie sich gut mit unserer vorübergehenden, neuen Lebenssituation angefreundet. Dexter, der nach der Schule angefangen hatte, Jura zu studieren, hatte dies nach einem Jahr wieder abgebrochen und sprang seitdem von Job zu Job. Vielleicht half ihm die kleine Auszeit in Deutschland, um darüber klar zu werden, was er wirklich machen wollte. Auch wenn er bisher nur auf Partys oder mit neuen Freunden herumgelungert hatte, was meine Hoffnung etwas dämpfte.

Mein kleiner Bruder Fynn machte gerade sein Abitur, oder besser gesagt sein Bachillerato, wie wir Spanier es nannten. Aber glücklicherweise fiel meine Zeit in Deutschland genau auf seine Sommerferien, sodass es auch für ihn kein Problem war, mit uns hier zu sein. Er lernte viel, zumindest sah ich ihn fast jeden Tag über seinen Büchern hängen und wenn nicht, dann las er ein anderes Buch oder erkundete Berlin. Auch wenn mir eigentlich Dexter mehr Kopfschmerzen bereitete, war Fynn mein kleines Sorgenkind. Ich bekam schließlich mit, dass er oft in Gedanken war und sah, dass es ihm nicht immer so gut ging, wie er vorgab. Vielleicht würde auch ihm die Zeit in Deutschland helfen, sich weiterzuentwickeln.

Meine Mom, die zu Hause ihre eigene kleine Bäckerei hatte, die nun durch ihre Mitarbeiter weitergeführt wurde, hatte einen Teilzeitjob in einem spanischen Restaurant gefunden. Auch wenn ich ihr mehrmals vorgeschlagen hatte, sich einfach mal eine Auszeit zu nehmen, da das Geld, was ich nun verdiente, für uns alle zusammen reichte, war sie nicht davon abzubringen. Erstens wollte sie nicht die ganze Zeit untätig rumsitzen und zweitens wollte sie sich nicht von ihrem Sohn finanzieren lassen. Sie war zu stolz, um all das anzunehmen.

Es hatte mich allein große Überzeugungskünste gekostet, sie zu überreden, hier zu wohnen.

Ich seufzte und fragte mich, ob meine Mutter jemals meine finanzielle Unterstützung annehmen und realisieren würde, dass sie sich nicht mehr halb tot arbeiten musste. Sie liebte zwar ihren Job, aber mir war nicht entgangen, wie fertig sie nach einem Tag in der Bäckerei gewesen war. Sie hatte lang genug für uns geschuftet. So gern würde ich ihr ermöglichen können, dass sie sich einfach mal zurücklehnte und ihr Leben genoss. Und es für sich selbst führte.
Eine Benachrichtigung riss mich aus meinen Gedanken. Zoe.zockt ist jetzt live auf Twitch.

Mit einem viel zu breiten Grinsen verfolgte ich ihren zweistündigen Stream, der sich anfühlte, wie fünf Minuten. Während sie spielte, worin sie übrigens wirklich gut war, redete sie mit ihren Fans ein bisschen über Themen, die sie in den Chat schrieben. Ich verstand kaum etwas und hielt daher einige Male mein iPad mit GoogleÜbersetzer daneben. Leider funktionierte das überhaupt nicht und da Zoe recht schnell sprach und gleichzeitig Kommentare über ihr Computerspiel abließ, bekam ich außer ein paar deutschen Schimpfwörtern nicht viel mit.

Es war die perfekte Gelegenheit. Als sie ihrem Stream beendete, überwand ich mich, ihr eine Nachricht zu schreiben. Auch wenn es vielleicht komisch ankam. Was hatte ich schon zu verlieren?

Hab deinen Stream gesehen. Ich hab zwar kein Wort verstanden, aber du warst gar nicht mal schlecht, Zoe.
23:13

Ob sie darauf überhaupt antworten würde, wusste ich nicht. Aber ich wusste, dass ich es wenigstens versuchen musste. Keine Minute später vibrierte mein Handy.

Stalkst du mich, Celoso?
23:14
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