Kapitel 22

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Wie betäubt saß ich zum ersten Mal auf dem Rücken des Tigers und ließ mich schnell durch das schroffe Gelände tragen. Ich war zu wach und mein Kopf zu voll mit Gedanken, als dass ich mich auf seinem Rücken hätte ablegen können, wie die Male davor.
Minghao war irgendwo über unseren Köpfen und flog über die Baumwipfel. Wir hatten ausgemacht, dass wir uns kurz vor dem Dorf wieder treffen würden.

In meinem Kopf ratterte es, ob ich irgendetwas hätte anders machen können. Ich fühlte mich einfach wieder so klein und unbedeutend. Und vor allem einfach unnütz.

Ich hatte nicht einmal die simple Aufgabe, die die Feen mir aufgetragen hatten alleine erfüllen können.
Jetzt ging Minghao mit ins Dorf und würde die Elfen warnen und zum Aufbruch überreden. Ich hätte von Anfang an eigentlich auch In der Höhle sitzen bleiben können und verrotten. Wäre den Elfen, denen ich morgen begegnen würde, eh am liebsten gewesen.

Ich wollte nicht ihre Reaktion miterleben...
Dass ich den Heiltrank bei mir hatte, würde meine Situation auch nicht wirklich verbessern.

Ich seufzte leise. Eigentlich könnte Yoongi auch alleine weiter. Ich würde ihm die Ampulle umbinden und dann bräuchte er mich nicht weiter schleppen. Dann wäre er vermutlich auch etwas schneller...

"Da dem Bach folgen...", murmelte ich ihm zu. Er zuckte mit einem Ohr, dass er verstanden hatte und schlug diese Richtung dann ein.

Da er spürte, dass ich wach war und mich gut auf ihm halten konnte, lief er nicht mehr ganz so vorsichtig, als da wo ich verletzt und krank auf ihm lag. Ich fand es beeindruckend, wie grazil und doch zügig er jetzt die Steine und Felsen überquerte und sich durch das Unterholz schlängelte.

Irritiert stellte ich nur irgendwann fest, dass er langsamer wurde und plötzlich stehen blieb.

"Alles okay?", fragte ich unsicher.

Er ging etwas runter und ich rutschte von seinem Rücken runter, da er wollte dass ich abstieg. Verwirrt sah ich ihm hinterher, wie er ein paar Schritte ging und sich auf eine kleine von Mondlicht beschienene Lichtung stellte. Immer noch irritiert sah ich zu wie er sich verwandelte.

Still blickte mich der Kobold an, ehe er tief seufzte.
"Komm her, Jimin..."

Unsicher folgte ich seiner Aufforderung und blieb nicht weit vor ihm stehen.

"Was denkst du?", wollte er dann von mir wissen.

Verständnislos sah ich ihn an.

"Was?", erwiderte ich nur dumm.

"Was denkst du?", wiederholte er geduldig seine Frage.

"Wie meinst du das?", fragte ich unsicher, woraufhin er nur seufzte.

"Was geht in deinem Kopf vor? Was denkst du, wie fühlst du dich?", versuchte er mir klar zu machen, was er von mir wollte.

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf sagen sollte. Vor allem, weil bisher niemand mir je so eine Frage gestellt hatte.

"Ich merke doch, dass dich jetzt die Situation beschäftigt...", versuchte er es erneut.

"Findest du es doof, dass Minghao jetzt mit dabei ist? Schau... Ich habe ihn gebeten dabei zu sein, weil ich nicht will, dass du noch mehr verletzt wirst. Ich kann mich als Tiger zwar vor dich stellen, aber dich verbal verteidigen kann ich leider nicht. Und so kann jetzt Minghao das Reden übernehmen und du musst dich nicht so angehen lassen, wie in den letzten Dörfern.", begann er zu erklären und sah mich mitfühlend an.

Überrascht weiteten sich meine Augen. Er wollte mich so einfach nur beschützen? Das...

"Ist es das was dich stört?", wollte er bestätigt haben.

Langsam schüttelte ich den Kopf.

"Das ist zwar echt lieb gedacht, aber ich glaube nicht, dass das reicht...", antwortete ich ihm leise.

Er runzelte seine Stirn. "Wie meinst du das?"

Ich schluckte und sah zu Boden.

"Wenn sie mich sehen, werden sie schon ausrasten...", flüsterte ich und ich begann zu zittern.

Ich hatte Angst zurück in das Dorf zu kommen. Vor allem nachdem was ich im Feenreich erfahren hatte...

Ich zuckte erschrocken zusammen, als jemand meine Hände nahm. Doch es war nur der Kobold, der sich vor mir nieder gelassen hatte und meine Hände in seiner genommen hatte. Beruhigend drückte er sie leicht.

"Was macht dir solche Angst? In den anderen Dörfern hattest du doch auch nicht solche Angst?" Er klang ernst und sorgenvoll ruhte sein Blick auf mir.

Unsicher biss ich mir auf die Lippe. Sollte ich es ihm tatsächlich sagen? Anderseits, was hatte ich schon zu verlieren. Die Peinlichkeit mit der Magie wusste er ja auch schon. Ich sah zu Boden.

"Ich sollte nicht mehr wieder kommen. Im Austausch für das Feenhaar, hatten sie mich als Sklaven für die Feenkönigin gedacht...", fasste ich bitter den Inhalt des Briefes zusammen, den ich der Königin überbracht hatte.
Kurz war es still.

"Ist das dein Scheiß Ernst?!"

Geschockt sah ich durch meinen Tränenschleier, der sich soeben gebildet hatte zu dem Kobold, der halber am explodieren war.

Er riss seine Hände aus meinen, stand auf und trat ein paar Schritte weg von mir. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und ich sah seine verhärteten Gesichtsmuskeln. Wütend starrte er in den Himmel und versuchte wohl sich selbst wieder zu beruhigen.

"Ich hätte wohl nicht fragen sollen...", schnaufte er vor Wut lodernd.

Angespannt schloss er die Augen und atmete tief ein und aus, bis auch ich ihm ansah, dass er wieder ruhiger wurde.

Als er sich wieder beruhigt hatte, atmete er ein letztes Mal tief aus und öffnete wieder die Augen und sah zu mir. Schnell hatte er den Abstand zwischen uns überbrückt und schloss mich in seine Arme.

"Tut mir leid, falls ich dir gerade Angst eingejagt habe...", entschuldigte er sich leise.

"Ich kann nur nicht fassen, mit was für Arschlöchern du zu tun hattest..."

Etwas überfordert legte ich meine Arme auch um ihn herum und hielt mich an ihm fest. Ich spürte wie er eine Hand von meinem Rücken löste und stattdessen auf meinen Kopf legte.

Falls ich mich nicht schon davor geborgen fühlte, war das spätestens jetzt der Fall. Wohl unbewusst begann er meinen Kopf zu kraulen und ich konnte nicht anders, als mich diesem ungewohnten schönen Gefühl hinzugeben.

Ich wusste nicht wie lange wir so da standen. Meinetwegen hätte der Moment auch ewig dauern können. Doch irgendwann hörte er mit der Bewegung auf und löste sich etwas von mir, ohne mich allerdings aus der Umarmung zu lassen.

"Am liebsten würde ich dich gar nicht mehr in dieses Dorf lassen, aber ich hab das Gefühl das geht leider nicht.", seufzte er etwas frustriert.

"Versprich mir, dass du in meiner Nähe bleibst, weil ich verspreche es dir ebenfalls! Ich passe auf, dass dir niemand mehr zu nahe kommt!"

Ungläubig blinzelte ich ihn an und spürte wie wieder mein Gesicht warm wurde. Er streichelte sanft über meine Wange.

"Ich wünschte, das wäre nicht die letzte Vollmondnacht. Ab morgen kann ich dich nicht mehr verbal unterstützen wie jetzt...", flüsterte er und in seiner Stimme schwang bedauern und Reue mit.

"Aber ich werde dir auch in meiner tierischen Gestalt nicht mehr von der Stelle weichen, bis du in Sicherheit bist!", versprach er.

"Du bist nicht mehr alleine, Jimin."

Wie in Trance nickte ich und sah in seine wunderschönen katzenhaften Augen. Und zum ersten Mal seit Ewigkeiten spürte ich wieder Hoffnung in mir aufkeimen.

The Way To Your DestinyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt