Taubheit

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PoV Arvid:

Es war spät als ich aus dem Krankenhaus zurück kam.

Lange hatte ich am Bett meiner Mutter gesessen und sie hatte fast nur geschlafen.

Ich hab ihre Hand gehalten, ihren nun haarlosen Kopf gestreichelt.

Sie wirkte so zerbrechlich, so ängstlich, so klein und ich habe das Gefühl es wird mit jedem Tag schlimmer.

Die Ärzte sagen etwas anderes, sie sagen die Chemo schlägt an. Zwar langsam aber wirkungsvoll.
Sie sagen sie ist auf dem Weg der Besserung und dass ich mir keine Sorgen machen soll.
Eine Chemo ist anstrengend für den Körper.

Ich höre ihre Wort, verstehe sie, aber ich glaube ihnen nicht.

Jedesmal wenn ich sie seh wirkt sie blasser, dünner und die Geräte um ihr Bett werden mehr.
So sieht niemand aus dem es besser geht.

Ich bin wütend, ich bin frustriert, doch vorallem habe ich Angst.

Es tut mir so weh sie so zu sehen.

Meine einst so starke, unabhängige Mutter wirkt gebrochen, verwandelt, als würde der Krebs ihr Stück für Stück die Persönlichkeit nehmen.
Sie und alles für das soe stand im Keim ersticken und auslöschen.

Ich schließe die Tür hinter mir, leise um meinen Vater nicht zu wecken.

Unnötig, wie ich im nächsten Moment bemerke.

Er ist noch wach, sitzt in der Küche über Briefen und ordnern.

Auch er ist älter geworden.
Er gibt es nicht zu, aber die Angst nagt auch an ihm.

Sie ist eine ständige Begleiterin, ein Schatten der sich über alles zieht was er tut.

„Komm rein." bittet er mich.

Er klingt niedergeschmettert und resigniert, seine Stimme trägt den Klang eines aufgebenden Menschens.

Langsam gehe ich auf ihn zu, er schaut mich nicht an, schiebt mir nur langsam einen Brief zu, eine Rechnung.

„Kannst du mir das erklären?" seufzt er und ich überfliege sie.

Die Krankenhauskosten sind zu großen Teilen getilgt, der nächste Chemoblock schon angezahlt.

Ich schüttel den Kopf. „Nein." meine ich knapp.

Ich möchte nur noch oben, den Krankenhausgeruch von meinem Körper waschen und in ein stilles, friedliches Land der Träume fallen.

„Bist du dir sicher?" fragt er erneut und ich nicke kraftlos.

„Die letzte Rechnung." murmelte er, als er mir einen zweiten Brief zuschob.

Ich brauch ihn nicht anzusehen, ich weiß was drauf steht.

>Wenn der zu bezahlende Betrag nicht getilgt wird, kann die Behandlung nicht weitergeführt werden und wird im folgenden eingestellt<, darunter ein 5-Stelliger noch zu zahlender Betrag.

Die Nächte im Krankenhaus, die Ops, die Medikation, die Therapien, Schutzhosen, Kanülen, Astronautennahrung, es ist eine Unsumme an Geld.

„Vielleicht hat irgendjemand mit viel Geld einen guten Tag gehabt." meine ich gleichgültig. „Ich mein was interessiert es uns? Warum können wir nicht einfach dankbar sein, darüber das unser Schulenberg kleiner wird und Mom weitere Chemos und Bestrahlungen erhält?" frage ich energielos.

Heute Mittag hätte ich mich mit ihm um das Thema gestritten, jetzt bin ich nur noch erschöpft.

„Ich wäre dankbar, wenn die erste Zahlung nicht auf mysteriöse Weise ein paar Wochen nach dem Einbruch in dieser Stadt getätigt worden wäre und danach in regelmäßigen Abständen mittelhohe 4-stellige Summen geflossen wären." seufzte er resigniert und sah das erste Mal seit beginn der Unterhaltung zu mir hoch. „Ich frage dich noch einmal, willst du etwas dazu sagen?"

Wieder schüttel ich den Kopf.

„Alles klar Arvid, ich habe das komplette Haus inklusive Garten auf den Kopf gestellt. Jede Diele angehoben, jeden Schrank verrückt, jedes Polster geöffnet und ich finde nichts, wo ist der Schmuck?" seine Stimme wurde schneller, der Ton lauter.

„Offensichtlich habe ich ihn nicht!" meinte ich höhnisch, „Ich wurde doch schon verdächtigt. Romys Familie hat geschlossen für mich ausgesagt und sie glauben mir, denn ich war dort."

„Das höre ich zum x-ten Mal." seufzt mein Vater erneut. Seine Stimme wird wieder ruhiger, ich sehe wie ausgelaugt er ist. „Sie ist ein gutes Mädchen. Ich bin froh das du sie hast. Auch wenn ich es nicht verstehe."

Ich nicke. „Ist sie." und ich meine es so, sie ist ein gutes Mädchen, aber vorallem ist ihr Kinderzimmer ein gutes Versteck.

Mit dem Hacken, dass ich regelmäßig bei ihr sein muss um den Schmuck aus ihrem Haus zu schaffen. Stück für Stück und leider ist mir kein besserer Weg eingefallen, als die Beziehung.

Weswegen sonst sollte jemand so häufig bei ihr sein.
Freunde? Das würde niemand glauben.

„Wann stellst du sie deiner Mom vor?" fragte Dad, ich wusste, dass er mir nicht glaubte, aber auch er hatte -ähnlich wie die Polizei und auch Romy zuvor- keine Beweise. Ich hatte keinen Schmuck und ein Wasserdichtes Alibi, also was blieb ihm über?

„Wenn es ihr besser geht." meinte ich nur Schulterzuckend. „Die Ärzte sagen die Chemo schlägt an."

„Das ist erleichtert zu hören. Weiß sie von der Krankheit?"

Wieder schüttelte ich den Kopf.

„Es hat sich noch nicht richtig angefühlt und ich möchte sie nicht belasten." erklärte ich und mein Dad nickte.

Das war das schöne an ihm, er verstand mich häufig nicht, aber das war okay, denn er akzeptierte.

Langsam nahm er seine Brille ab, rieb sich müde die Augen und ich verstand diese Geste als mein Zeichen endlich gehen zu dürfen.

Romy und Arvid Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt