38. Kapitel - Eric

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Ich wache auf, öffne aber noch nicht die Augen.

Die Decke ist warm und es ist dunkel. So lange meine Augen zu bleiben, kann ich mir vorstellen, dass die Welt genauso ist. Gemütlich und sicher.

Der letzte Tag ist nie passiert und die zwiegespaltenen Gefühle in meinem Inneren existieren nicht.

Ich taste blind nach Silas. Der Platz neben mir ist leer und kalt.

Für einen Atemzug fühle ich wieder den kalten Körper meines Vaters neben mir und ich reiße panisch die Augen auf.

Ich bin allein. Weder mein Vater noch Silas sind hier. Wohin ist er gegangen? Ist was Wichtiges passiert?

Ich kneife wieder die Augen zusammen. Jeder Gedanke an die Welt da draußen, wird weitere Gedanken mit sich ziehen, die ich nicht denken will. Weitere Gefühle, die ich nicht fühlen kann, ohne den Verstand zu verlieren.

Wird es irgendwann besser werden?

Ich verlangsame meine Atmung und zwinge mich dazu, meinen Körper zu entspannen.

Schlaf einfach weiter. Die Welt wird dich früh genug wieder einholen.

Die Welt wartet genau siebenundzwanzig Atemzüge, bevor sie sich wieder in meinen Kopf schleicht.

Frustriert öffne ich die Augen wieder und starre aus dem Fenster.

Es schneit.

Am Morgen nach der Totenwache hat es auch geschneit. Ich brauche einen Moment, um zu verstehen, dass das erst heute Morgen war.

Mein Vater ist erst seit gestern tot. Wie kann es sich trotzdem so anfühlen, als hätte ich Jahre damit zugebracht ihn zu vermissen?

Ich setzte mich auf, den Blick immer noch auf die Schneeflocken gerichtet.

Mein Magen knurrt. Ich habe zwar keinen Appetit, aber ich war auch nicht müde und habe trotzdem geschlafen.

Vorsichtig setzte ich meine Füße auf den Boden und schaudere, als die kalten Dielen meine nackte Haut berühren.

Ich fühle noch. Ich habe Hunger, mir ist kalt. Ich vermisse und bin wütend.

Trotzdem erscheint mir alles seltsam gedämpft, wie ein Schleier, der sich um mich gelegt hat und eine Distanz zwischen mich und die Welt bringt.

Ich gehe nach unten und richte mir eine Schale Müsli.

Ich setzte mich an den Tisch und esse Löffel um Löffel. Ich starre still auf den leeren Platz mir gegenüber und schlucke mühsam am Kloß in meinem Hals vorbei. Ich bemerke erst, dass ich weine, als die salzigen Tropfen in die Milch fallen.

Ich stehe auf und räume das schmutzige Geschirr weg.

Als ich auf leisen Sohlen durch das Haus schleiche, sehe ich im Wohnzimmer Silas und Lyall auf dem Sofa. Dich zusammengekuschelt halten die beiden sich aneinander fest.

Ich will das auch. Neid steigt mir in der Kehle hoch, bis ich beinahe beginne zu schreien. Oder zu weinen. Ich will meinen Vater so umarmen.

Ich wende mich ab und laufe weiter, bis zur Schlafzimmertür meiner Eltern.

Das leise Schluchzen meiner Mutter hallt im Raum wider und kriecht durch das Schlüsselloch hindurch in meine Ohren. Ich halte mir die Ohren zu wie ein kleiner Junge und kneife die Augen zusammen.

Die Welt hat mich wieder verloren. Ich sehe nichts, ich höre nichts. Es ist dunkel, wenn auch nicht warm.

Die Gefühle in mir bleiben.

Ich kralle meine Finger in meine Haare und presse sie stärker auf meine Ohren. Das Weinen meiner Mutter dringt trotzdem hindurch. Meine Augen sind zu, aber ich sehe immer noch den leblosen Körper meines Vaters. Ich werfe meinen Kopf hin und her und sinke haltlos zu Boden.

Ich rieche Blut, schmecke es in der Luft. Ich spüre die Gestalt des Jägers vor mir, seinen Puls unter meinen Pfoten.

Ich reiße die Augen auf, aber er ist immer noch da. Verhöhnt mich grinsend, als ich von ihm ablasse. War da nicht Angst in seinen Augen? War da nicht Menschlichkeit in seinen Zügen?

Ich erinnere mich nicht.

Aber ich bin wütend. So unglaublich wütend.

Ich ziehe mich hoch und stehe wieder wacklig auf den Beinen. Mein ganzer Körper zittert und heiße Tränen rinnen mir über die Wangen.

Warum darf er leben und mein Vater nicht?

Was gab ihm das Recht ihn zu töten?

Mein Kiefer schmerzt, weil ich die Zähne zu fest aufeinanderpresse und meine Hände suchen Halt an meiner Kleidung, zerren und ziehen und trotzdem ist es nicht genug.

Ich gehe den Flur entlang und versuche die Familienfotos zu ignorieren, die mich von der Wand anlächeln.

Mein grinsendes Gesicht, meine strahlende Mutter, mein glücklicher Vater. Mein lebender Vater.

Ich hole aus und werfe das Bild zu Boden.

Der Rahmen zerspring, das Glas zerschmettert und die Scherben fliegen umher.

Das Bild starrt mich vom Boden aus an. Ich bilde mir ein, den Vorwurf in den Gesichtszügen meines Vaters zu sehen. Warum machst du dieses schöne Bild kaputt? Warum willst du diesen Mann töten?

Wie konnte mein Vater mich davon abhalten, seinen eigenen Tod zu rächen?

Ich komme nicht zurecht. Nicht ohne ihn, nicht mit dieser Last und der Verwirrung.

Ich bin wütend, ich will den Jäger töten, für mich und für meinen Vater. Für Rache, für Gerechtigkeit.

Aber mein Vater wollte nicht, dass ich ihn töte.

Ich starre das Bild an und verzweifle an der glücklichen Miene meines Vaters.

Ich lasse mich auf den Boden fallen und fahre sacht über das Foto, über die fröhlichen Gesichtszüge und kauere mich zusammen.

Ich weine und schreie, bis meine Mutter mir ihre kleine Hand auf die Schulter legt.

Keine Sekunde später drückt sich Silas an meine Seite und umarmt mich. Lyall kniet neben ihm und fährt mir mit der Hand über den Rücken.

„Shsh", macht meine Mutter und ich falle in ihre Arme, weil es sonst nichts gibt, das mir Halt geben könnte. „Ganz ruhig. Alles wird wieder, irgendwie..."

Sie klingt leise und müde und trotzdem schwingt ihre Liebe zu mir in jedem Wort.


Tada, da bin ich wieder.

Spät wie immer mit einem deprimierenden Kapitel für euch ;)

Irgendwann wird es wieder besser, Leute, glaubt mir. Aber manchmal braucht das eben ein bisschen Zeit und die will ich den Personen in der Geschichte auch geben...

Allzu lang wird das allerdings nicht mehr dauern (glaube ich, den Schreibplan hab ich nach dem 13. Kapitel komplett über den Haufen geworfen. Ich hab quasi genauso viel Ahnung, was passieren wird wie ihr 😉)

Bis zum nächsten Mal dann!


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