Meine Mutter zuckt bei meinem bissigen Tonfall zurück und sieht mich so verletzt an, dass ich meine Worte fast zurückgenommen hätte.
Stattdessen beiße ich mir auf die Zunge und wende mich ab.
Sie seufzt hinter mir. „Du kannst mir immer noch nicht verzeihen, oder?"
Ich zucke mit den Schultern. „Die Lager werden angegriffen, ich muss zu den anderen!"
„Du bist verletzt!", protestiert meine Mutter.
„Na und?", fahre ich sie an. „Denkst du etwa, die anderen kommen unbeschadet durch diesen Kampf?" Ich drehe mich um und erstarre.
Meine Mutter weint.
Ich blinzele verwirrt. Das ist falsch. Mütter weinen nicht! Erst recht keine Mütter, die ihre Kinder verfluchen und sie dann allein lassen!
Als sie meinen Blick bemerkt, fasst sie sich überrascht an die Wange. „Oh", macht sie.
Dann lächelt sie.
Und ich drehe mich weg, weil es mir auf einmal so eng um die Brust ist. „Willst du mitkommen?"
Ich kaue unsicher auf meiner Lippe herum. Warum sollte sie mitkommen wollen? Sie ist doch zuerst weggegangen! Sie will hiervon nichts mehr wissen!
„Natürlich!", flüstert sie hinter mir und ich wische mir kurz über die Augen.
„Okay."
Ich flüchte durch die Tür nach draußen und sauge gierig die kalte Luft ein. Drei Tag in der Hütte waren viel. Drei Tage in der Hütte und von meiner Mutter befreit zu werden war zu viel!
Ich laufe eilig voraus, stoppe aber abrupt, als ich merke, dass mir meine Mutter nicht folgt. „Was machst du...?"
Ich drehe mich genervt zu ihr um und beobachte dann fasziniert, wie sie in aller Seelenruhe die Hände der Jäger fesselt und eines ihrer Gewehre schultert. Das andere wirft sie mir zu. „Es sei denn, du willst dich verwandeln?", fragt sie noch und schließt zu mr auf. Sprachlos schüttele ich den Kopf.
„Hat Vater dir erzählt, dass wir ein Bündnis mit dem anderen Rudel schließen?", frage ich, während wir mit schnellen Schritten den Waldpfad entlang gehen.
Sie nickt. „Euer Lager, also das von deinem Vater, ist aber soweit sicher. Ich habe dem Rudel auf dem Weg zu dir einen Besuch abgestattet. Dort haben sich diejenigen versammelt, die nicht kämpfen können oder wollen."
Sie lächelt leicht. „Es freut mich, dass ihr euch mit dem anderen Rudel versteht!"
Ich betrachte schweigend ihr Profil. Ihre Haut ist mit Sommersprossen bedeckt, die selbst jetzt im nahenden Winter noch deutlich zu sehen sind. Ihre Augen sind blau. Sie sieht mich an. Habe ich sie vermisst?
„Ich habe dich vermisst", flüstere ich leise. Ihre Augen weiten sich. „Warum bist du damals gegangen?"
„Ich dachte, du wolltest mich nicht mehr bei dir haben...", murmelt sie.
„Nein, ich meine davor. Warum hast du dich von Vater getrennt? Ihr wart Mates."
Sie zuckt hilflos mit den Schultern. „Wir hatten diese Verbindung, ja, aber da war so viel anderes. Ich hätte problemlos ein Leben mit Ralf führen können, mit euch Kindern. Aber da war noch das Rudel und so viel Erwartung, so viel Engstirnigkeit. Ich habe es einfach nicht ausgehalten." Sie seufzt und streicht sich eine nicht vorhandene Locke hinter das Ohr. „Ich wollte Ralf nicht weiter behindern und habe deswegen den Bund gebrochen."
„Warum hast du nicht gewartet?", meine Stimme zittert. „Warum hast du nicht einfach noch ein paar Monate gewartet?"
„Gerade als ich mit dir schwanger war, hat dein Vater sich immer mehr von mir abgewendet. Der Alpha ist kinderlos gestorben und als sein Beta hat Ralf das Rudel übernommen. Aber es gab Probleme und er ist immer härter geworden. Er ist abends nicht mehr nach Hause gekommen. Er hat Lyall mit seinen zwei kümmerlichen Jahren schon unter Druck gesetzt. Er musste sich dem Rudel unbedingt beweisen und ich... Ich konnte das einfach nicht. Ich habe versucht mit ihm zu reden, aber er wollte nicht zuhören. Wir haben gestritten."
Sie fängt meinen Blick mit ihren Augen auf. „Ich hatte es nicht geplant. Ich war nur so wütend. Ich hatte so viel für deinen Vater aufgegeben und das sollte der Dank sein? Mir sind diese Worte rausgeplatzt, bevor ich überhaupt richtig darüber nachdenken konnte... Ich wollte dich nie verletzten!"
Ihre Augen flehen mich an, ihr zu glauben.
Ich umklammere den kalten Griff des Gewehrs und nicke zögerlich. „Okay."
„Okay?" Sie sieht so unsicher aus. Nicht wie eine Mutter. Wie eine Frau, die viel gegeben hat und nun hofft etwas zurückzubekommen.
„Okay!" Ich greife langsam nach ihrer Hand. „Mehr kann ich dir im Moment nicht anbieten."
Sie nickt und lächelt und weint. Und vielleicht bin ich ein klein bisschen stolz auf mich.
Hat nicht Lyall einmal dasselbe gesagt? Dass er stolz darauf ist, dass ich verzeihen kann?
Ich winziges Lächeln umspielt meine Lippen.
„Danke, dass du mich retten gekommen bist!", wispere ich und meine Mutter strahlt. So glücklich kann ich einen Menschen machen? Mit so wenig? Nur ein paar Worte?
„Wir sollten uns beeilen!", meine ich hastig. Meine Ohren sind heiß.
„Ja." Göttin, sogar ihre Stimme klingt glücklich.
Nach einer Weile hören wir Schüsse im Wald. Ich werfe meiner Mutter einen Blick zu. Sie nickt und zückt entschlossen das Gewehr. „Ich bin bereit, Liebes!"
Ich nicke und wir rennen auf den Lärm zu. Je näher wir kommen, desto lauter werden Schreie und Geheule.
Nach ein paar Schritten läuft uns ein Jäger entgegen. Ich erkenne ihn nicht, aber ich richte warnend eine Waffe auf ihn.
Er würdigt uns allerdings kaum eines Blickes, als er an uns vorbei hastet, eine Hand auf seine linke Gesichtshälfte gepresst. Er hinkt und als er auf unserer Höhe ist, stolpert er und seine Hand rutscht nach vorne.
Ich würge und halte mir eine Hand vor den Mund. Da, wo vorher das Ohr des Jägers war, ist ein klaffendes Loch. Mir dreht sich der Magen um und wäre ich die letzten Tage nicht quasi am Fasten gewesen, hätte ich wahrscheinlich gekotzt.
Meine Mutter stützt den Mann und drückt ihm einige Kräuter in die Hand. „Gegen die Schmerzen. Sie sollten aber trotzdem in ein Krankenhaus!"
Der Jäger starrt sie für einige Sekunden verwirrt an, bevor er sich einfach wegdreht und weiterhumpelt.
Sie schaut ihm hinterher. „Kämpfe sind nicht schön", murmelt sie und ich kann ihr nur zustimmen.
Trotzdem bin ich nicht auf die Hölle vorbereitet, die uns hinter den nächsten Bäumen erwartet.
Sooo...
Jetzt ist hoffentlich auch die Beziehung zwischen Valerie und ihrer Mutter klarer. Sie heißt übrigens Violca. Und ja, das ist ein tatsächlicher Name!
Naja, bis zum nächsten Mal... Wahrscheinlich wird es wieder ein bisschen blutig :)
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By your side
RomanceEric, der zukünftige Alpha seines Rudels, ist bisher eigentlich ziemlich zufrieden mit seinem Leben als Werwolf. Als zwei Rudel dann plötzlich vereint werden sollen, kommt es allerdings zu einem Haufen Probleme... Er findet seine Mate (aber auch irg...