61. Kapitel

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Das schaffen wir nicht.

Wir sind müde, verletzt. Ich bin abgelenkt von den trauernden Schreien meiner Tante.

Während dem Rennen gibt mein Bein nach und ich strauchele in den Schnee. Es ist kalt.

Mein Gehirn scheint alles kommentieren zu wollen. Vielleicht um einen letzten Rest geistiger Kraft vorzutäuschen. Aber meine Gedanken werden langsamer und dumpfer.

Und immer wieder schiebt sich das Bild meines lächelnden Onkels in den Kopf, bevor er zusammensackt, wie eine Marionette, deren Fäden man durchschnitten hat.

Wir sind zu dritt.

Der letzte Wolf der anderen Gruppe hat sich uns angeschlossen.

Die anderen liegen im Schnee. Zwei atmen noch. Aufstehen werden sie allerdings erstmal nicht.

Drei Wölfe gegen drei Jäger.

Das schaffen wir nicht, denke ich, während sich ein Gewehr auf uns richtet. Wir sind müde, erschöpft, verletzt.

Mein Fell ist kalt vom Schnee und verklebt vom Blut. Mein Hals ist eng und atmen ist so schwer geworden. Mein ganzer Körper pocht und ich höre mein flatterndes Herz.

Schnell, schnell, schnell.

Ich werfe mich nach rechts, um einem Schuss auszuweichen, der allerdings ausbleibt.

Der Jäger schreit frustriert auf, klappt hastig das Gewehr zurück und schüttelt die verbrauchte Munition heraus. Als er in seine Tasche greift und nach mehr Patronen sucht, springe ich ihn an und beiße ihm die Waffe aus der Hand.

Hanako schlängelt sich zwischen den Beinen der Jägerin neben mir hindurch und greift sie von hinten an. Die letzte Jägerin wirft gerade unseren Kameraden zu Boden und hält ihn unten.

Ich kann ihm nicht helfen. Der Jäger hat sein Gewehr aufgegeben und sucht nun mit seiner freien Hand nach einem Messer. Er findet es für meinen Geschmack viel zu schnell.

Ich lasse seine Hand los, als er zu einem Hieb ausholt. Ich weiche zurück und mein Bein knickt wieder weg. In den letzten Tagen ist es von der Kälte taub und gefühlslos geworden.

Wäre ich doch bloß nie in diese verdammte Falle getreten!

Der Jäger packt mich am Maul und presst meine Zähne aufeinander. Ich hocke vor ihm im Schnee und habe keine Möglichkeit, mich zu wehren. Ich werfe den Kopf hektisch nach links und rechts, kann mich aber nicht aus dem Griff lösen. Meine Augen sind weit vor Panik.

Was ist passiert, dass ich hier sterben werde? Göttin, was habe ich falsch gemacht?

Der Jäger setzt mir das Knie auf die Brust und drückt mich zu Boden. Ich kratze verzweifelt gegen die Arme des Mannes, der mich töten wird.

Meine Brust ist eng, eng, eng und er drückt immer weiter alle Luft daraus. Dann hält er mir das kalte Messer an den Hals.

Aus meinen Krallen werden Finger, ohne dass ich einen bewussten Gedanken daran verschwende. Ohne Fell ist der Schnee noch kälter. Mein Körper streckt sich unter dem Knie des Jägers und ich bäume mich verzweifelt auf. Vielleicht reicht die Überraschung. Vielleicht...

Die Augen des Mannes sind genauso kalt wie der Schnee.

Er presst mir immer noch die Hand auf den Mund und drückt meinen Kopf nach hinten, um an meinen Hals zu kommen. Meine Hände stoßen gegen seine Brust, versuchen ihn auf Abstand zu halten und meine Beine strampeln. Es bringt nichts.

Meine Finger krallen sich in die Jacke, die der Mann trägt. Meine Augen füllen sich mit Tränen, die gegen die rauen Finger auf meinem Gesicht perlen.

Er erwidert meinen Blick.

Ich schaue zur Seite. Dieser Mann soll nicht das letzte sein, das ich sehe.

Ein Schuss ertönt und ich kann nur hoffen, dass niemand getroffen wurde. Jemand schreit. Die Kälte an meinem Hals bohrt sich tiefer in die weiche Haut meiner Kehle.

Meine Tränen tropfen in den Schnee.

Alles ist verschwommen. Alles ist weiß.

Nur ein bronzener Fleck jagt durch mein Blickfeld.

Ich reiße die Augen auf.

Das Gewicht von meiner Brust ist verschwunden, ehe ich blinzeln kann, und ein erstickter Schrei ist alles, was ich noch von dem Jäger höre.

Ich richte mich vorsichtig auf und sehe meine Mutter, die über der Leiche des Mannes steht. Sie schenkt mir einen tiefen Blick tiefer Erleichterung, bevor sie zu meinem Vater eilt, der einen Jägerin von Hanako vertreibt.

Meine Augen richten sich auf Lyall, der neben meiner Mutter gewartet und den Jäger von mir gezerrt hat.

Mir laufen Tränen über das Gesicht, aber ich lache und breite meine Arme aus.

Sofort wirft sich Lyall gegen mich, drückt sich an mich, als hätte er Angst, dass ich verschwinde. Ich schlinge meine Arme um ihn und kralle mich in sein Fell.

„Ich hatte solche Angst", flüstere ich.

Ich auch, wispert er zurück. Ich dachte, ich würde dich verlieren.

Er rückt ein Stück von mir ab und blick mich durchdringend an. Tu das nie wieder, hörst du? Du hast mir versprochen, dass du zu mir zurückkommst!

„Ja", hauche ich und weine immer noch. „Ja."

Er leckt mir die Tränen von den Wangen. Gut. Und verwandel dich wieder. Es ist zu kalt in dieser Gestalt!

Ich nicke und als meine Brust wieder eng wird, presse ich mein Gesicht in sein Fell, bis ich spüre, dass meine Nase eine Schnauze geworden ist und ich nur noch Lyall rieche.

Kein Blut, keine Schmerzen, nur Sommerregen auf heißen Steinen.

Für eine Sekunde ist der Schnee vergessen.

Dann rappele ich mich wieder auf und tapse mit Lyall gemeinsam zu den anderen.

Die eine Jägerin ist geflohen, die andere liegt tot neben dem anderen.

Valerie kommt auf mich zu geschossen und reißt mich in eine Umarmung.

Ich belle überrascht. Solltest du nicht gefangen in der Hütte stecken?

Sie schnippst mir gegen die Ohren. „Meine Mutter hat mich befreit."

Deine Mutter? Erstaunt zucke ich zusammen.

„Lange Geschichte...", murmelt sie. Dann drückt sie mich fester: „Und jetzt, lass mich dich einfach umarmen!"

Ich lasse mich umarmen.

Als sie mich nach einer kleinen Ewigkeit wieder loslässt, drücke ich mich kurz an meine Eltern und sehe dann zu Hanako.

Und was jetzt?

Sie sieht sich kurz um. Alle die noch laufen und kämpfen können, kommen mit mir. Wir schauen, ob die letzte Gruppe Unterstützung braucht!

Ich schüttele kurz meinen Pelz und schließe mich dem Trupp dann an.

Das Wiedersehen mir Val und Lyall hat mir nochmal einen Energieschub gegeben! Ich hoffe nur, dass mit Eric alles in Ordnung ist.


Und ob dem so ist, erfahrt ihr dann auch im nächsten Kapitel...

Die ganze Sache nochmal aus Erics Sicht und dann war es das auch hoffentlich mit dem blutigen Teilen der Geschichte....

Ich hoffe, ihr nehmt mir Silas Nahtoderfahrung nicht allzu übel ;)

Bis zum nächsten Mal 😊


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