1. Kapitel - Eric

312 8 8
                                    


„Eric!"

Ich zucke bei der lauten Stimme meines Vaters zusammen und versuche möglichst unauffällig wieder aus der Küche zu verschwinden. Blöderweise fängt meine Mutter mich direkt an der Tür ab und schüttelt ohne einen einzigen Funken Mitleid den Kopf.

Ich knirsche genervt mit den Zähnen. Wenn sich meine Eltern gegen mich verbünden, habe ich keine Chance mich unbemerkt aus dem Haus zu schmuggeln.

„Es ist wichtig! Und es wird bestimmt nicht allzu lange dauern!", versucht mich meine Mutter zu beruhigen, als sie mich mit einer Hand auf der Schulter ins Wohnzimmer führt.

Meine Mutter ist klein. Sie reicht mir gerade mal bis zur besagten Schulter. Trotzdem legt sich im Rudel niemand mit ihr an. 

Sie ist klug und die einzige Person, die sich traut mit meinem Vater, dem Alpha, zu streiten. 

Ich senke geschlagen den Kopf. Nicht einmal ich traue mich, meiner Mutter zu widersprechen.

Im Wohnzimmer angekommen sehe ich, dass mein Vater anstatt auf dem Sofa auf dem Sessel sitzt.

Ich werfe meiner Mutter einen angesäuerten Blick zu. Von wegen ‚dauert nicht lange'! Wenn mein Vater so sitzt, ist es gleichbedeutend mit einem ernsthaften Vater-Sohn-Gespräch.

Das letzte Gespräch, bei dem ich auf diese Weise gezwungen war, ihm durchgehend in die Augen zu starren, war Wie kleine Wölfchen entstehen und ehrlich gesagt, versuche ich es immer noch aus meinem Gedächtnis zu löschen.

Nervös setzte ich mich ihm gegenüber in die Ecke des Sofas, die am weitesten von ihm entfernt ist.

Gibt es einen zweiten Teil vom Aufklärungsgespräch? 

Mein Magen dreht sich einmal bei diesem Gedanken und ich schlucke.

Mein Vater richtet seine stahlgrauen Augen auf mich: „Eric!"

Ich setzte mich unwillkürlich aufrechter hin. Ich bin zwar ein Alpha genau wie mein Vater, aber noch ist er der Leitwolf des Rudels und seine Liebe zu mir, verlangt auch immer Respekt.

„Du erinnerst dich doch bestimmt an das Rudel auf der anderen Flussseite, nicht wahr?"

Rhetorische Frage oder nicht, ich nicke trotzdem.

„Ihr Alpha hat kürzlich Kontakt mit mir aufgenommen, um über eine wichtige Sache zusprechen, die dich vielleicht sogar mehr betrifft als mich.

Du wirst mich schließlich bald als Alpha ablösen und deswegen wirst du in dieser Sache genauso beteiligt sein wie ich!"

Ich werde zunehmend nervöser. Auch wenn ich es nicht wahrhaben will, weiß ich, dass mein Vater in seiner Wolfgestalt immer mehr weiße Haare um seine Schnauze sammelt.

Niemand aus unserem Rudel würde seine Führungskraft in Frage stellen, aber was ist mit einem fremden Rudel. Hat er darum das andere Rudel erwähnt?

Meine Augen zucken kurz zu meiner Mutter, die im Türrahmen steht und mir beruhigend zuzwinkert.

Okay, wenn meine Mutter nicht ausflippt, ist es bestimmt nichts Schlimmes...

Mein Vater räuspert sich und ich richte meinen Blick wieder auf seine einnehmende Gestalt.

„Das andere Rudel hatte in letzter Zeit mit einigen Problemen zu kämpfen. Ihr Teil der Stadt wird zunehmend von der Stadtverwaltung übernommen, so auch ihr Wald."

Die Stadt, in der wir leben, wird schon seit Ewigkeiten von zwei Rudeln geteilt. Niemand weiß mehr genau, wie es dazu kam, aber man meidet sich wie die Pest und bleibt in der Regel auf seiner Seite. Der kleine Fluss, der den Wald und die Stadt trennt, markiert dabei die Grenze zwischen den Gebieten. An sich ist es nicht verboten die Grenze innerhalb der Stadt zu überqueren, nur im Wald, der die Stadt umgibt. Trotzdem tut man dies eigentlich nur, wenn es wirklich nicht anders geht.

Die meisten Bewohner sind allerdings sowieso Menschen, die nichts von dem stillen Revierkampf mitbekommen.

Der Wald auf unserer Seite steht unter Naturschutz und wird so von Menschen gemieden, wie das andere Rudel, das hinbekommt, weiß ich nicht.

Allerdings scheint ihre Methode nicht besonders wirkungsvoll.

„Der Alpha hat vorgeschlagen, die beiden Rudel zu verbinden. Bis zu einem gewissen Grad sei das ohnehin unvermeidbar, da die Schule auf der Nordwest-Seite der Stadt geschlossen wird. Der Bürgermeister hat es scheinbar satt, Steuergelder für eine zweite Schule zu verschwenden...

Und da sich die junge Generation der beiden Rudel also vermischen wird, egal was wir tun, sollten wir uns vorher in Freundschaft verbinden. Das ist zumindest der Plan", erklärt mein Vater.

Ich nicke zögerlich. Die beiden Rudel zu vereinen, scheint tatsächlich keine so schlechte Idee zu sein.

Und langsam verstehe ich auch, warum es mich so betrifft.

Der Kampf um die Machtposition des gemeinsamen Rudels wird vermutlich eher in der nächsten Generation ausgetragen, also in meiner. Davor ist alles noch zu neu, man wird diesen zerbrechlichen Frieden nach allen Mitteln wahren wollen.

Ich schlucke und fahre mir durch das dunkle Haar. Das zu schaffen wird eine große Verantwortung.

Meine Mutter legt mir von hinten eine Hand auf die Schulter. Mein Vater steht auf und legt seine obendrauf. Fest umschließt sie die kleine Hand meiner Mutter und verspricht mir Sicherheit.

„Wir schaffen das, Eric, alle zusammen!", meine Mutter streicht mir meine Haare nach hinten und küsst mich auf die Stirn.

„Du wirst das nicht allein schaffen müssen!", versichert mir auch mein Vater und drückt meine Schulter noch einmal, bevor er sie loslässt.

Ich grinse: „Natürlich schaffen wir das!"

Dann springe ich auf.

„Ich wollte mich eigentlich mit Silas treffen und zwar schon vor...", mein Blick schweift zur Uhr über dem Kamin: „ziemlich genau zehn Minuten, also sollte ich wohl so langsam los!"

Ich winke kurz und verschwinde dann aus der Tür, bevor meinen Eltern einfällt, dass ich heute eigentlich beim Wohnungsputz helfen sollte.

Auf der Veranda angekommen sauge ich gierig die frische Luft ein und verdränge die Gedanken an das Gespräch erstmal.

Wenn ich noch später komme, geht Silas womöglich noch ohne mich los!



So, das erste Kapitel ist hiermit beendet :)

Ich würde mich freuen, wenn ihr mir eure Meinung dazu verraten würdet!

Ansonsten, bis zum nächsten Mal ...

By your sideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt