36. Kapitel

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Ich blinzle mir immer wieder Tränen aus den Augen.

Eric liegt immer noch an mich geschmiegt unter der Decke und schläft, während ich dazu übergegangen bin die Schneeflocken vor dem Fenster zu zählen.

Hundertsiebzehn, hundertachtzehn, hundertneunzehn,...

Ich seufze erschöpft und versuche die gemeinen Gedanken mit den eintönigen Zahlen zu überlagern. Hundertzwanzig, hunderteinundzwanzig, hundertdreiundzwanzig, nein, warte! Ich hab hundertzweiundzwanzig vergessen, oder? Dann jetzt also hundertdreiund...? Wo war ich?

Verdammt, ich hab schon wieder den Faden verloren!

Auch Eric wird unruhig, wälzt sich stöhnend hin und her und greift verzweifelt nach der Luft.

Ich streiche ihm über die Haare und beginne leise zu singen. Vielleicht beruhigt es ihn ja. Mir zumindest wird es helfen.

„Oh, I hope I don't lose you. Please stay, I want you, I need you, oh God don't take these beautiful things that I've got. Please don't take..."

Erics Atem wird langsamer und er scheint wieder in einen tieferen Schlaf abzudriften, seine Hand umklammert hilflos meinen Pulli.

Ich unterdrücke das Bedürfnis erneut zu seufzen. Stattdessen singe ich leise weiter.

„I found my mind, I'm feeling sane. It's been a while, but I'm finding my faith. If everything's good and it's great, why do I sit and wait 'til it's gone?"

Mein Blick wandert wieder aus dem Fenster zu den Schneeflocken und ich beobachte die weißen Punkte, die sich munter aus dem Himmel stürzen.

„Oh, I'll tell ya, I know I've got enough, I've got peace and I've got love, but I'm up at night thinkin' I just might lose it all!"

Und ich denke wieder. Auch wenn ich versuche es nicht zu tun. Ich denke an Adrian und Eric, an Hanako und an das Rudel. Ich denke auch an meine Eltern und an Lyall. Besonders an Lyall. Was war beim Frühstück bloß mit ihm los?

Ich schüttele den Kopf, als ob ich die Gedanken dadurch vertreiben könnte und fahre mit zittriger Stimme fort.

„Please stay, I want you, I need you, oh God don't take these beautiful things that I've got.

Please stay, I want you, I need you, oh God, I need these beautiful things that I got!"

Meine Stimme verklingt im Raum. Ich starre immer noch aus dem Fenster.

Ein Räuspern an der Tür schreckt mich schließlich auf.

Lyall steht unsicher im Türrahmen: „Ich wusste gar nicht, dass du singst. Also, dass du gut singst -schön singst-, aber auch, also, dass du überhaupt..."

Er unterbricht sein Stottern und atmet tief durch, während ich ihn nur erstaunt mustere. Mein Herz pocht nervös. Er räuspert sich verlegen: „Können wir reden?"

Ich nicke und er tritt aus dem Zimmer. Ich wende mich zu Eric und löse behutsam seine Finger aus meinem Pulli und entwirre unsere ineinander verschränkten Beine. Dann fahre ich ihm ein letztes Mal über die Haare, bevor ich unter der Decke hervor schlüpfe und Lyall aus dem Zimmer folge.

Er wartet im Flur auf mich und führt mich wortlos in die Küche und anschließend nach draußen.

Ich sehe ihn abwartend an: „Worüber wolltest du mit mir sprechen?"

Lyall öffnet den Mund, bringt aber für die nächsten zwanzig Sekunden trotzdem kein Wort über die Lippen. Ich versuche geduldig zu sein und ihm Zeit zu lassen, fange allerdings nach den nächsten dreißig Sekunden heftig an zu zittern. Es hat nicht aufgehört zu schneien und ich überlege gerade, ob ich zurückgehen soll, um mir eine Jacke zu holen, als Lyall dann doch endlich zu reden anfängt.

„Liebst du Eric noch?", platzt es aus ihm heraus und er verzieht dabei das Gesicht, als würde es ihm Schmerzen bereiten auch nur daran zu denken.

Ich blinzle überrascht: „Natürlich!"

„Nein, ich meine, empfindest du noch... romantische Gefühle... für ihn?", druckst Lyall verlegen herum.

Ich runzele die Stirn: „Warum ist das wichtig? Also, jetzt?"

Er guckt mir kurz in die Augen, bevor er seinen Blick zu Boden richtet: „Du hast also noch Gefühle für ihn?"

Ich zucke angespannt mit den Schultern: „Vielleicht? Ich hatte nicht wirklich viel Zeit mich damit zu beschäftigen! Warum ist das dir auf einmal so wichtig?"

„Du bist die ganze Zeit bei ihm und umsorgst ihn und siehst ihn an, mit diesem Blick", Lyalls Stimme wird mit jedem Wort frustrierter.

„Bist du bescheuert?", fauche ich ihn an: „Sein Vater ist gestorben und du hast nichts Besseres zu tun als jetzt eine Eifersuchtsnummer zu schieben? Er ist immer noch mein bester Freund, du Arsch! Natürlich kümmere ich mich da um ihn. Tut mir leid, falls das dich und deinen Stolz verletzt hat!" Ich mache auf dem Absatz kehrt und laufe zurück zum Haus.

Lyall packt mich am Handgelenk und hält mich zurück: „Warte! Ich weiß, es ist dumm und es..." Er schluckt und räuspert sich: „Aber denkst du nicht, du kümmerst dich ein bisschen viel? Du klebst die ganze Zeit an ihm und..."

„Er braucht mich gerade!", fahre ich dazwischen und starre Lyall wütend ins Gesicht: „Du hast doch keinen blassen Schimmer, wie schlimm es ihm gerade geht!"

„Trotzdem, denkst du nicht, es wäre eher Valeries Aufgabe nach ihm zu sehen?", jetzt wird er auch lauter.

„Val?", ich kneife irritiert die Augen zusammen: „Warum Val? Was hat sie damit zu tun? Sie kennt Eric doch noch nicht lange..."

Lyall lässt mich überrascht los: „Er hat dir nichts erzählt?"

Ich schlucke nervös: „Was erzählt?"

„Eric und Valerie sind Mates...", Lyall guckt immer noch so erstaunt, als könnte er nicht fassen, dass ich davon als letztes erfahre. Mir geht es genauso. Ich versuche irgendeinen klaren Gedanken zu erfassen, aber es ist viel zu schlucken. 

Ich weiß nicht mal genau warum. Ich habe auch einen Mate. Und ich bin nicht mehr in Eric verliebt, oder? Das versuche ich mir doch die ganze Zeit einzureden! Dass ich durch den Mate-Bund jetzt in Lyall verliebt bin und das stimmt ja auch, aber es gibt immer noch Eric. Und es tut weh, dass er eine Mate hat. Oder tut es weh, weil er es mir nicht erzählt hat? Er hatte doch Zeit?

„Wie lange schon? Also wie lange, weißt du es?", meine Stimme ist rau und ich räuspere mich, um ihren verletzten Klang zu übertönen.

„Ich weiß es seit der Zeit mit deiner... Verwandlung. Ich glaube, Eric hat es gleich an dem Tag gemerkt, an dem wir euer Lager besucht haben!"

Ich nicke zittrig. Also quasi schon die ganze verdammte Zeit.

„Ich...", ich versuche irgendetwas sinnvolles aus meinem Mund zu bekommen: „Ich gehe mal wieder rein. Es ist kalt!"

Dann drehe ich mich um und renne ins Haus.

Mir stehen Tränen in den Augen. Schon wieder.


Es wird immer später, ich weiß...

Mein Zeitmanagement ist ein bisschen rar (also quasi nicht vorhanden ;))

Wir sehen uns dann nächstes mal wieder mit einem (hoffentlich) erfreulicherem Kapitel

Bye 😊


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